Vranje- eine erste Bestandsaufnahme
džezva, kaffana, pleskavice... für mich keine böhmischen Dörfer mehr.
Nach nun gut einer Woche habe ich mir einen ganz guten Einblick verschaffen können und werde nun auf ganz reflektierte Weise beschreiben, wie die Stadt so ist, in der ich die nächsten 12 Monate verbringen werde. Wenn man das Leuten hier erzählt, machen sie alle großen Augen und beschwören, dass ich mich bald sehr langweilen werde. Ist wohl alles eine Frage des Betrachtungswinkel.
Vielleicht erstmal soviel zu meinen Erwartungen, die ich zu Vranje hatte: eine Stadt mit ca. 55.000 Einwohnern (jeder hier hat zur Einwohnerzahl übrigens eine andere Zahl parat) im Süden von Serbien am Highway zwischen Belgrad und Skopje und dazu noch an der Grenze zum Kosovo. Wie mag so eine Stadt wohl aussehen. Grau, langweilig, traurig, gespannte Lage. Und was ich bei meiner Ankunft zu sehen bekam, war wie schon erwähnt eine große Überraschung. Freitagnacht waren die Straßen unglaublich belebt und bunt und fröhlich. Man könnte fast meinen, man befände sich am bunten Eck in Dresden. Wären da nicht die lauten Gespräche in einer Sprache, die mir bis dato noch völlig unbekannt war. Mal ausgenommen von dem hilflosen Gespräch, was ich mit der hilfsbereiten Frau im Bus führte.
Es ist eine lebendige und vor allem positive Stadt. An jeder Ecke findet man Geschäfte, Imbisse, hunderte Bars (auf das warum komme ich noch zu sprechen), Apotheken, Popcornverkäufer, Obsthändler, Fleischburgerbuden, deren Grillduft durch die vollen Straßen zieht. Es gibt Modegeschäfte, über deren Geschmack sich streiten lässt, Friseure und sogar Fotoläden, die noch Filme entwickeln. Gefahren werden hier die guten alten Zastava und Yugo, die in Serbien offensichtlich noch keine Auslaufmodelle darstellen.
An Samstagen gibt es einen „grünen“ Markt, mit dessen Lebensmitteln mal wohl ganz Dresden für ein Wochenende satt bekäme. Im August wird hier schon mal auf Vorrat gekauft. Denn es wird Zeit, das Gemüse und Obst für den Winter einzukochen. Hunderte von enormen Wassermelonen, die wohl kein Mensch schleppen kann. Aber auch Klopapier, Sonnenbrillen und komische Schuhe aus Gummi kann man kaufen, sowie „džezva”, türkische Kaffeetöpfe, mit den mein neues Lieblingsgetränk aufgebraut wird. Gekocht wird zurzeit mit dem frisch in Vranje gerösteten Kolumba-Kaffee. Über die Qualität dieses Kaffees existieren unterschiedliche Meinungen. Es soll allerdings Leute geben, die ihn kiloweise aus dem Land schmuggeln.
Angesichts der hohen Arbeitslosigkeit (jemand sprach von 50%) scheint die positive Ausstrahlung der Stadt verwunderlich. Wenn sogar die Stadtmöblierung von Freiwilligen im fröhlichen Grasgrün gestrichen wird, kann irgendwas nicht stimmen. Ich habe mir jedoch erklären lassen, dass Menschen hier so zufrieden sind, da sie sich für wenig Geld die Zeit in „kaffanas“ vertreiben. Der Kaffee ist unglaublich billig. So sitzt man in den heißen Sommermonaten also mit seinen arbeitslosen Freunden im Café und lässt sich den Sprühnebel, der alle fünf Minuten aus Düsen sprüht auf den Nischel regnen und gibt sich seiner Situation mehr oder weniger zufrieden hin. Wer hier arbeitet, hat entweder einen Job im örtlichen Militär, in der britisch-amerikanischen Tabakfabrik, schraubt Heizöfen zusammen, oder bedient Menschen in einer der zahllosen gastronomischen Einrichtungen. Ein Gang durch diese mit „kaffanas“ bevölkerten Straßen ähnelt für mich momentan noch einem Spießrutenlauf. Ich fühle mich leicht bis extrem underdressed. Frauen, die was auf sich halten, stylen sich bis zur totalen Künstlichkeit, gleich ob Tussi oder Hippie und dass muss dann nicht mal bedeuten, dass man sich deshalb nicht mit ihnen unterhalten kann. Es ist einfach ihre Art, Weiblichkeit zu zeigen. Ich fühle mich allerdings erschlagen von den High Heels der Damen, die nicht aufpassen, wo sie hinlaufen, wenn sie gerade ein Schaufenster passieren, in dem sie den Sitz ihrer Frisur prüfen.
Ein Großteil der jungen Menschen gehen an die Universität und studieren Lehramt. Darauf ist nämlich die örtliche Fakultät spezialisiert. Viele, die studieren, wohnen bei ihren Eltern und finden das völlig normal, weil es einfach billiger ist. Selbst meine Serbisch-Lehrerin Lidija lebt im schicken Haus ihrer Eltern. Die Dame des Hauses begrüßt mich jedes Mal mit einem unglaublichen Lächeln besteht darauf, mir einen „kafa“ (natürlich türkisch) anzubieten, selbst, wenn der Unterricht schon vorbei ist. Da rollen dann schon mal die Augen des halberwachsenen im Haus lebenden Nachwuchses, die wohl ansonsten kein Problem darin zu sehen, in einem Mehrgenerationenhaus zu leben.
Ich hatte ja schon anfangs von fehlenden vegetarischen Fastfood-Alternativen gesprochen. Pleskavica ist hier das absolute Fastfood-Highlight. 200 Gramm pures Rindfleisch gegrillt und im Brötchen serviert, ohne alles. Für den halbtrunkenen hungrigen Geist sicher das Richtige, nicht jedoch für heiße Sommermonate. Aber siehe da! Vor nicht allzu langer Zeit eröffnete in der Fußgängerzone eine Falafelbude, von deren Qualität sich übrigens einige Dresdner Läden was abschauen könnten. Bojana schwärmte und ich sah mir das Ganze gleich mal live an - drei mal innerhalb einer Woche. Das wird wohl mein neuer Keke-Kasim-Kumpir. Drin in der kleinen, aber feinen Bude stehen zwei putzige, sehr einfache junge Frauen, die sehr glücklich sind, dass sie eine neue Stammkundin begrüßen dürfen, die zu allen Überdruss noch ihre Englischkenntnisse aufzupeppen imstande ist. Ich habe die beiden jetzt schon ins Herz geschlossen.
Abgerundet wird diese serbische Märchenwelt durch das herrliche Bergpanorama, welches Vranje umgibt. Zumindest trägt es erheblich zu meinem Wohlbefinden bei und ich kann es kaum erwarten, die umgebenden Gipfel zu erklimmen, um mir das ganze Schauspiel dann von oben anzusehen.