Viva la noche! Viva la... crisis?
Es ist Donnerstag und 0 Uhr. Madrids Straßen, Restaurants und Bars sind jetzt noch besser besucht als bei Tageslicht. Jede Generation scheint vertreten: die junge Mutter mit Baby, die sich mit einer Freundin trifft, der Pokerstammtisch von alten Herren und natürlich die jungen Nachtschwärmer. Die letzte Gruppe lockt vor allem eines an: die unwiderstehlich günstigen Trinkangebote überall.
Wer in Madrid ausgehen möchte, ist flexibel in seiner Abendplanung: es gibt keinen Wochentag ohne fiesta (Party) und keinen Stadtteil in dem das Leben nicht pulsiert. Besonders besucht sind dabei die studentische Gegend um Moncloa, die urbane Umgebung rund um die Gran Vía und Puerta del Sol oder die alternativen Stadtteile La Latina und Lavapiés. Die Ausgehkultur der Madrileños ist eine besondere, denn während sich andernorts ein Büroangestellter nach einem langen Arbeitstag lediglich nach seinem Sofa und einem guten Buch sehnt, bedeutet Feierabend in Madrid vor allem Geselligkeit. Man trifft sich mit Arbeitskollegen, Freunden und Familie in Cervecerías (Bierstuben) oder Tapas Bars.
Krisenfreies Ausgehen
Die Auswahl an Bars ist immens, das Angebot von erschwinglichen Drinks und Snacks noch größer. Unentbehrlich für jeden Tisch sind cañas (kleines Bier) und tapas. Diese
"Appetithäppchen" werden in der Regel frisch zubereitet und sind in ihrer Natur und Qualität von Bar zu Bar unterschiedlich. Generell gilt: wo mehr getrunken werden soll, werden die Tapas reichlicher und fettiger serviert. Eine caña gibt es bereits für 0,40 €, ab 1,50 € ist die Kombination von Bier und Tapas erhältlich und wer den Eimer mit fünf cañas bestellt zahlt gerade einmal das doppelte. Natürlich sind diese Angebote für die Gäste attraktiv: sie können schlemmen und trinken, ohne dass ihnen gleich der Geldbeutel weh tut. Ganz schmerzfrei ist dieser Trend für die Gastronomie jedoch nicht. Mit der Finanzkrise sind nicht nur die Immobilienpreise gefallen. Selbst noble Lokale müssen ihre Preise senken, um sich an das "Krisenumfeld" anzupassen.
Wie dieses Umfeld aussieht ? Eine düsterer Arbeitsmarkt und eine aussichtslose Zukunft für Spaniens Jugendliche. Obgleich guter Ausbildung oder einem Studium - rund die Hälfte der unter 25-jährigen sucht vergeblich nach Arbeit in ihrem Land. So wenig Chance und Perspektive, verdirbt das nicht komplett die Lust auf Feierei? Meinem ersten Eindruck nach nicht. Mein Abendspaziergang durch das belebte Zentrum ist ein Klangkonzert. Gläserklirren und Gesprächskulisse mischen sich mit Flamenco- und Rockklängen. Madrids Jugend in Feierlaune - von Krisenstimmung keine Spur.
"Sie leben, feiern und träumen weiter"
Aber die Ansammlung von geleerten Biergläsern und Tapastellern ist ein trügerisches Bild. Das bunte, laute und ausgelassene Madrid können sich nicht mehr alle leisten. Marta kann, Ana nicht. Ich treffe die beiden Mädchen in einem der "cien montaditos" in der Nähe von Puerta del Sol. Beide trinken ein Glas Sangria, sind 19 Jahre und studieren in Madrid. Der Unterschied: Marta wird mit Freunden später noch in eine Diskothek gehen (Eintrittspreis 12 Euro), Anas Abend endet hier mit ihrem Sangria und Nachos für insgesamt 3 Euro.
Meistens kauft Ana ihr Bier im Supermarkt, trifft sich mit Freunden oft in Parks oder auf öffentlichen Plätzen. "Aber "cien montaditos" geht auch, ist ja sehr günstig", sagt sie. Sie ist vor einem Jahr ist sie aus Valladolid in die Hauptstadt gezogenund studiert an der öffentlichen UCM Politikwissenschaften. Obwohl sie noch nicht lange in der Stadt lebt, kennt sie sich bestens aus, wo man für wenig Geld lecker essen und trinken kann. In Clubs geht sie nur dann, wenn sie kostenlos sind.
Einen Tisch weiter sitzt Marta. Die Madriderin liebt ihre Stadt und Party machen. Sie studiert Jura an der privaten Universität Francisco de Vitoria. Wenn sie es mit dem Lernen vereinbaren kann, geht sie am liebsten Donnerstag, Freitag und Samstag aus. Wohin ergibt sich meistens spontan, spät und teuer werden die Abende eigentlich immer.
Die beiden Spanierinnen haben vielleicht wenig gemeinsam, aber heute Abend wurden beide von den niedrigen Verzehrpreisen zum selben Ort gelockt. Auf mich wirkt die Krise fast wie ein falscher Freund dieser Generation: einerseits vereint sie und lädt sie alle zum Feiern ein, indem sie das Ausgehen so günstig wie nie zuvor macht. Auf der anderen Seite spaltet sie diese Generation, nimmt Besitz und Hoffnung von vielen und gibt Wohlstand und Erfüllung an wenige. Aber das bedeutet nicht, dass sie die Jugend den Kopf in den Sand steckt. Ana möchte Journalistin werden, Marta erfolgreiche Anwältin. In diesem Punkt sind die jungen Spanier unverwüstlich: sie leben, feiern und träumen weiter.