Unverhofft kommt oft.
...oder darüber, dass sowieso immer alles anders kommt, als man denkt.
Diese Woche war eine besondere Woche (02.10.-08.10.17). Dienstag sollte ich zum ersten Mal spielerisch unterrichten und am Donnerstag war der große Tag: das Erntedankfest. Die erste Veranstaltung, die wir im Kindergarten durchführen sollten. Am Freitag stand das Jugendlichen-Treffen an und das erste Schwimmbuddy-Meeting wollte auch nicht auf sich warten lassen. Aber mein Titel sagt; es kommt dann eh alles anders, als man gedacht hätte. Deshalb, hier mein Bericht:
Dienstag sank meine Laune mit jeder Stunde, die der Deutsch-Unterricht näher rückte. Bis jetzt ist diese Tätigkeit für mich nur eins: deprimierend. Egal wie sehr ich mich anstrenge, es klappt irgendwie nicht und ich fühle mich unwohl mit meinen mangelhaften Polnisch-Kenntnissen. Als meine Stimmung nicht hätte schlechter werden können, gab mir Maryna eine Stunde vor Unterrichtsbeginn noch Bescheid, dass sie mir heute nicht helfen könne, da sie so viel zu tun habe. Ich war schon gar nicht mehr überrascht. Irgendetwas musste ja kommen. Also gab ich sämtliche Lehrersätze wie: „Bitte nicht vorsagen.“ oder „Bitte arbeitet in zweier Paaren.“ bei Google Übersetzer ein (Mein Retter in der Not!) und schrieb sie auf Polnisch auf ein Blatt Papier. Nun hieß es hoffen, dass Google mir nichts furchtbar Peinliches oder Zweideutiges übersetzt hatte. Naja und selbst wenn; ich bin Ausländer, ich darf Fehler machen!
Meine Hoffnung, die Kinder wären vielleicht durch die letzte völlig unkoordinierte und langweilige Stunde abgeschreckt worden, erfüllte sich leider nicht. Im Gegenteil, meine Schüler erschienen zahlreich und überpünktlich. Na sowas? Ich war etwas genervt, denn aus Langeweile fingen sie an Gegenstände im Raum anzufassen, herumzuwerfen und die Knöpfe des Aufzugs zu drücken. In meiner vollkommen gleichgültigen Verfassung nahm ich den Kindern ihr Spielzeug weg und wies sie an, sich hinzusetzen. Streng bat ich um Ruhe und wies einzelne Kinder an, jetzt mal zuzuhören.
Tatsächlich hatte ich einige Spiele vorbereitet. Das erste hieß „Heiße Kartoffel“ und stieß zu meiner Freude bei den Kindern auf Begeisterung. Der Vorsager Adam nervte mal wieder, aber dank meines Superdupa-Googledidoodle-Lexikon konnte ich ihn zum schweigen bringen. Zwar erinnerten die Kinder sich nicht an vieles aus der letzten Stunde, doch sie versuchten es zumindest. Heute sollten sie lernen, sich und andere vorzustellen. Also teilte ich sie in Paare ein und gab ihnen Zettel zum ausfüllen. Ich brachte ihnen bei, wie sie sagen, was sie mögen. Mein Handy inklusive Lexikon waren mein Sprechrohr. Als die Kinder wieder mit herumblödeln anfingen und ihr Handy herausnahmen kam meine „Böse-Mutti-Stimme“ (mein kleiner Bruder kann von ihr Lieder singen) zum Einsatz: „Nie kumúrka!“. Veronica wollte sich aber nicht beruhigen und so nahm ich sie als erste dran, vor allen anderen ihren Partner vorzustellen. Eine miese Lehrer-Methode und sie tat mir schon währenddessen irgendwie leid, weshalb ich sie sehr viel lobte. Tatsächlich wurde sie dadurch mutiger und meisterte ihre Aufgabe nicht schlecht! Und das Beste war: danach war sie so stolz auf sich selbst, dass sie den Mund hielt und den anderen zuhörte. Welch Erfolgserlebnis für mich!
Die Kinder waren diese Stunde zwar ziemlich anstrengend, aber man hat ihnen angemerkt, dass sie Spaß hatten und doch schon ein wenig von mir gelernt haben. Zum Abschied kam die Jüngste, sie heißt Ola, noch einmal zu mir und fragte ganz schüchtern: „Paniii?“ „Tak?“, war meine Antwort. „Co mówię do widzenia po niemieckuuu?” „Auf Wiedersehen!”, erwiderte ich und bekam ein süßes Kinderlächeln und ein freudiges: „Auf Widasäääään!” zurück. Nun mit guter Laune, räumte ich auf. Ich hätte es nicht gedacht, aber heute hatte ich tatsächlich auch meinen Spaß! :D
Die Vorbereitungen für das Erntedankfest im Kindergarten liefen auf Hochtouren und selbst Mattis verriet mir, dass er echt aufgeregt war. Mein sonst so entspannter Kollege war etwas neben der Spur, was auch an seiner leichten Erkältung liegen mag. Das führte dazu, dass ich de Zügel im Prinzip alleine in der Hand hielt und ich ihm sagte musste, wie er mir helfen kann, da er dazu nicht wirklich in der Lage war. Dadurch lastete ein großes Stück Verantwortung auf meinen Schultern. Dass ich letzte Woche die perfekt organisierten und kreativ durchgeführten Themen-Tage im Kindergarten erleben durfte, ließ meine Nervosität nicht gerade sinken. Die Leute, die mich kennen, wissen, dass ich eine leidenschaftliche Planerin bin. Natürlich hatte ich dieses Fest schon genaustens durchdacht. Doch egal, wie sehr man plant, es kommt eben doch oft anders...und der große Tag kam, schneller als gedacht. Mattis und ich hatten eine Stunde, um alles vorzubereiten. Trotz Nervosität blieb ich ruhig und behielt alles im Überblick und traf Entscheidungen. Ich dachte immer, ich sei nicht sehr belastbar, aber vielleicht hat sich das ja auch schon innerhalb dieses Monats verbessert... Hier werde ich einfach ins kalte Wasser geworfen. Vor Herausforderungen weglaufen ist einfach nicht drin. Die Leute hier zählen auf mich und ich möchte sie nicht enttäuschen.
Der Kindergarten hatte uns eine Zeit vorgegeben, zu der wir starten sollten. Allerdings war die Gymnastiklehrerin zu diesem Zeitraum noch im Hauptsaal, sodass wir den Veranstaltungsort verschieben und unsere Deko kurzfristig abnehmen und woanders wieder anhängen mussten. Ich hatte eine Geschichte vorbereitet, die mit zwei Gruppen gemeinsam gelesen werden sollte. Die eine Erzieherin hatte sie aber schon ihrer eigenen Gruppe erzählt, sodass wir diesen Programmpunkt irgendwie überspringen und etwas anderes als Einleitung nutzen mussten. Also bat ich die Kindergärtnerin, etwas über die Ernte generell zu erzählen und zu vergleichen wie es damals und heute abläuft. Währenddessen bereitete ich meine Bluetooth-Box für den „Song der Songs” vor. Wir hatten mit den Kindern nämlich das deutsche Lied „Hejo, spann den Wagen an” geübt. Ich war völlig verblüfft, wie schnell sie es gelernt hatten. Schon nach zwei Mal üben! Dazu hatte ich mir noch Bewegungen ausgedacht. Also sangen wir nun alle zusammen und machten meine super coolen Dance-Moves (man bemerke die Ironie): Winken. Gehen. Ausschau halten nach dem Regen. Mit den Fingern Regen andeuten. Nachbarn mit gefalteten Händen dringlich bitten, doch bitte die „goldenen Garben” vom Felde zu holen! Im Anschluss tanzten wir. Wer jetzt denkt, ich sei die geborene Kinderbetreuerin, die gerne singt, alberne Bewegungen macht und dann noch tanzt, der täuscht sich. Mir ist so etwas normalerweise unangenehm. Nicht unbedingt vor den Kindern, sondern vor den Erzieherinnen. Doch das ist nun mal mein Job. Also sang ich, machte begeistert die Bewegungen...und es kam noch besser: Ich miemte einen „dicken Tanzbären” und tanzte mit Mattis Hand in Hand in der Mitte des Kreises von eiiiiinem auf das annnnndre Bein! Na, wer kennt den Song noch aus seiner Kindheit? Ich muss ehrlich zugeben, ich habe ihn geliebt!
„Ich bin ein dicker Tanzbär und kooooomme aus dem Wald! Ich such mir einen Freund aus und fiiiiiinde ihn schon bald. Ei wir tanzen hübsch und fein, von einem auf das andre Bein! Ei wir tanzen hübsch und fein...”
Das Beste an dem Lied ist, dass die Tanzbären sich in jeder nächsten Strophe weitere Freunde suchen und bis alle am Ende in der Mitte tanzen. Der Tanz war ein voller Erfolg. Vergnügt und kreischend tanzte der ganze Kindergartenraum und ich war sehr erleichtert, dass es funktionert hatte. Nach dem musikalischen Teil trennten wir die beiden Gruppen und spielten im kleinen Rahmen „Obstsalat” und „Eichhörnchen, such deine Nüsse”, da diese Spiele zumindest ein wenig mit Ernte oder Obst zu tun hatten. Die polnischen Spielerklärungen lieferte natürlich mein bester Freund; „Google Übersetzer”.
Das i-Tüpfelchen des Festes sollte mein selbstausgedachtes Spiel: „Kartoffelernte” sein. Mattis und ich hatten vierzig Kartoffeln gekauft und sie im Sandkasten vergraben. Ja, ihr habt richtig gehört! :D Das Ziel dieses Spiel sollte sein, möglichst schnell alle Kartoffeln zu finden und so den Arbeitsaufwand einer Ernte am eigenen Leib zu erleben. Schon einige Tage trieb Mattis und mich die Angst, dass es regnen würde. Und wie es das Schicksal so will, regnete es natürlich. Allerdings nicht doll, weshalb wir den Erzieherinnen trotzdem sagten, die sollten mit den Kindern herausgehen. Diese waren davon allerdings nicht sehr begeistert; die Kinder könnten ja krank werden, sie hätten nicht alle gut genuge Jacken, die Eltern von nebenan könnten sie sehen... Gott! Ich bin als Kind bei jedem Wetter herausgegangen. Wir sind doch nicht aus Zucker! Nachdem die Direktorin unsere Aktion mit einem kritischen Nicken genehmigt hatte, ging es dann doch raus. Die Kinder sollten die Kartoffeln finden, drei Mal um einen Baum rennen und dann die Kartoffeln in einen Korb bringen. So der Plan. Die Realität; meine Gruppe fand erstmal bestimmt eine Minute lang keine einzige Kartoffel! :D Dabei waren ZWANZIG Stück in diesem Sandkasten. Am Ende ging es dann doch etwas schneller. Jedoch erblickten 6 kleine Kartoffeln nicht mehr das Tageslicht. Wer weiß, vielleicht wachsen ja nächstes Jahr Kartoffeln im Kindergarten? :D Als Preis gab es „Nimm zwei Süßigkeiten”, Obst, total gesund und so. Natürlich für beide Gruppen.
Der zweite Durchgang mit den anderen zwei Kindergarten-Gruppen verlief wesentlich strukturierter ab. (Mattis und ich haben jeweils zwei Gruppen von Kindern im Kindergarten. Mattis hat die kleineren, die „Sonnenstrahlen” und die „Zwerge”. Und ich habe die „Hasen” und die „Kängurus”.) Während eine der Kindergärtnerinnen die Geschichte vorlas, teilte mir Mattis mit, wie dankbar er für meine Planung ist und dass ich das gut hinbekommen habe. Sehr süß von ihm. :-) Er ist generell ein echt dankbarer, begeisterterter und kreativer Mensch und ein cooler Kollege. Ich bin auch dankbar, ihn zu haben! Die Kinder sangen und tanzten begeistert mit. Die Spiele kamen auch bei ihnen super an. Die Kartoffelernte ließ ich für sie allerdings weg, da es immer noch regnete. Stattdessen bastelten wir Windmühlen aus Kastanien, Stecknadeln und einfachem Papier. Die Kinder waren glücklich und ich auch. Geschafft!
Ach, und denkt bitte nicht, dass ich meinen Job nicht mag. Eigentlich war es mein Wunsch, mit Jugendlichen zu arbeiten, aber ich merke auch immer mehr, wie schön die Arbeit mit Kindern sein kann. Sie kommen ständig zu mir und umarmen mich, wollen kuscheln, sagen, dass sie mich mögen. Eine hat mich sogar mal „Mama” genannt. :D Außerdem haben Kinder so viel Freude in sich, das ist echt ansteckend! Und da kann man sich als Erwachsener echt mal etwas von abschneiden. Des Weiteren nehmen sie mich wie ich bin, auch wenn ich ihre Sprache nicht kann. Das ist echt ein Geschenk für mich.
Am Freitag sollte das Jugendtreffen stattfinden. Durch zahlreiche Erzählungen der ehemaligen Freiwilligen und Maryna wussten wir, dass die Jugendlichen ziemlich unzuverlässig sind und nur eine Minderheit von ihnen zu motivieren möglich ist. Wir versuchten also unser Glück und luden sechs Leute ein in unsere Wohnung. Wir dachten uns, dass das persönlicher ist und zu einer entspannten Atmosphäre beiträgt, um sich besser kennenzulernen. Emilia und ihr Bruder Maks sagten begeistert zu. Marcel sicherte uns seine Anwesenheit zu und versprach, Pawel zu fragen, ob er auch kommt. Mattis kontaktierte die Brüder Klemens und Maks aus der Gemeinde, dessen Familie wir besucht hatten. Doch es kam keine Antwort. Mattis sendete mehrere SMS und rief an, aber vergebens. Wir rechneten beide damit, dass sie keinen Bock auf das Treffen hatten. Einen Tag vorher erfuhren wir dann noch von Iza, dass ihre Tochter (Emilia) gar nicht kann am Freitag, da ihre Tante vorbeikommt. Na wunderbar. Wir hatten bereits alle Vorbereitungen getroffen, Zutaten zum Kochen gekauft und Bier besorgt. Da es so aussah, als würden Mattis und ich den Abend alleine verbringen, sagte ich Marcel und Pawel ebenfalls ab. Etwas enttäuscht, aber tapfer entschlossen wir uns, uns einen schönen WG-Abend zu machen. Doch dann gab es eine Überraschung. Die Brüder Maks und Klemens sagten zu. Aber wir zögerten. Sollten wir sie wieder ausladen? Schließlich hatten wir ein Jugendtreffen angekündigt und kein „Doppeldate”. Allerdings hatten wir nun selbst schon in Erfahrung gebracht; bei den Jugendlichen hier muss man nehmen, was man kriegen kann. Also ließen wir sie kommen.
Wir beide waren etwas nervös, da das letzte Treffen eher wortkarger verlaufen war und es schwierig ist, gemeinsame Themen mit den Jungs zu finden, auch aufgrund des Altersunterschieds. Und abermals wurden wir überrascht und es kam anders, als wir dachten. Die Brüder waren wie ausgewechselt, wir unterhielten uns gut und aßen begeistert unser erstes Ofengericht in dieser Wohnung. Wir durften erfahren, dass die beiden sich im Deutschunterricht oft langweilen, dass die jungen Polen sich tatsächlich viel untereinander beleidigen, aber aus Spaß. Das gehe auf Deutsch nicht so gut, meinte Klemens. Auf Polnisch kann man nämlich mehrere Schimpfwörte ohne Probleme miteinander kombinieren und zu einem noch prüderen steigern. Wir durften ein paar davon lernen. :D Klemens hat bereits an einem internationalen Debatierwettbewerb teilgenommen, der auf Deutsch stattgefunden hat. Also ist er politisch interessiert. Finde ich super! Er erzählte uns ebenfalls, dass es in Polen keinen richtigen Politik-Unterricht gibt, was sich bemerkbar gemacht hat, als er und seine Mitschüler mit ihren deutschen Austauschschülern über ein politisches Thema diskutieren sollten. Anstatt sich einzubringen, schwiegen die Polen und aßen alle Kekse auf. Ohje, ohje... Krümelmonsteralarm! Nachdem die Jungs gegangen waren, hatten Mattis und ich dann Bock auf ein Bier. Es entstand ein chilliger Kartenspielabend, bei dem wir gute Gespräche hatten. Wir entschlossen uns, nun regelmäßig zusammen zu kochen und waren beide stolz auf uns, dass das Treffen mit den Jungs doch so gut gelaufen ist.
Samstag ging es sehr entspannt weiter. Ich habe mit der Kamera den beeindruckenden Hauptbahnhof erkundet, da ich dort sowieso ein Ticket kaufen musste. Der Bahnhof sieht echt mehr aus wie ein Palast, echt ansehnlich. Dann war ich noch alleine schwimmen, da mein Schwimmbuddy leider erkrankt ist und habe zum ersten Mal ganz alleine hier ein leckeres Ragout für mich gezaubert. Am Sonntag besuchte ich den Gottesdienst der Deutsch-Polnischen-Gemeinde, da dort das Erntedankfest gefeiert werden sollte und Lilla mich mal wieder eingeladen hatte. Die Predigt handelte von Dankbarkeit und anschließend aßen alle gemeinsam Kuchen und Früchte und dazu gab es Kaffee! :D Wieder fragten einige Leute interessiert, was ich hier in Breslau mache und ich durfte Mattis Familie näher kennenlernen, die den Gottesdienst auch besucht hatten. Am Ende erfuhr ich noch von einer Frau aus der Gemeinde, dass es vielleicht einen Chor mit jungen Leuten gibt, in den ich passen könnte.
Als ich schon gehen wollte, sprach mich Roy an. Er arbeitet in der Suppenküche der Gemeinde und fragte mich einfach frei heraus, ob ich nicht mithelfen wolle. Sie würde nur im Winter stattfinden und es würden jedes Mal circa 200 Obdachlose erscheinen. Außerdem versicherte er mir, dass immer ein polnischsprechender Mann dabei sein würde. Ich freute mich wirklich darüber, dass er mich ansprach. Warum? Nun, eigentlich hatte ich einmal vor gehabt, für Obdachlose zu arbeiten in meinem Freiwilligenjahr. Nun bekam ich die Möglichkeit dazu, mit Obdachlosen langsam in Kontakt zu treten und mich vielleicht später auch im Obdachlosenheim zu engagieren. Außerdem erhoffe ich mir, auch einige Menschen der Gemeinde durch die Arbeit kennenzulernen und gemeinsam Kochen macht Spaß, also was habe ich zu verlieren? Es kommt doch eh immer anders als man denkt. Und das ist manchmal auch gut so.