Unparteiische Geschichten aus Wald und Flur bei abnehmendem Licht
Neben Ausflügen, der WM, Wanderungen und Wahlkampfhilfe neigt sich für Johannson die Zeit in Warschau langsam dem Ende zu. Aber es gibt schon neue Pläne.
Spiel und Spaß mit Italienern und Israelis
Donnerstag hatten wir ein Treffen mit einer Gruppe Assistenten aus der Knesset, was angenehm formlos nur mit uns Praktikanten stattfand. Eine von ihnen ist eigentlich Italienerin, sodass wir uns für den Nachmittag verabreden, Italien beim WM-Ausscheiden zuzuschaun. Zwar traf ich sie erst nach dem vereinbarten Termin, konnte aber trotzdem noch genug deprimierten Italiener im italienischen Kulturverein genießen. Später wollten die Israelis unbedingt ins Casino, wohin ich zum ersten Mal ging und auch merkte, ich mag keine Casinos.
Früher an diesem Tag besuchten wir deutschen Praktikanten die Friedrich-Ebert Stiftung, deren Chef endlich mal eine erfrischend klare und politisch unkorrekte Meinung zu Polen, Deutschland und den Beziehungen dazwischen hatte.
Im Bronkobus
Am folgenden Mittwoch ging dann die Mehrheit der Praktikanten auf Wahlkampf. Wenige Tage vor der entscheidenden zweiten Runde fahren Busse mit Anhängern von Bronislaw Komorowski durchs Land und werben. Das war insbesondere eine Gelegenheit, den Norden der Wojwodschaft kennen zu lernen, und in der Tat haben wir vier hübsche kleine Orte gesehen, und zwischendurch sind wir durch sehr anheimelnde Felder auf dem Land gefahren. Wir Praktikanten sind offiziell zu politischer Neutralität verpflichtet und waren so selbstverständlich nur als Beobachter da, haben nur ganz allgemein zur reinen Teilnahme an der Wahl aufgerufen und garantiert keine Fahnen geschwenkt oder Flugblätter verteilt. Ganz ehrlich.
Pultusk
Samstag bin ich für eine nähere Visite nach Pultusk gefahren. Der Ort war mir auf der Bustour besonders aufgefallen. Der Kern ist umgeben von zwei Kanalarmen des Narew, an denen entlang Weiden stehen und auf denen Boote fahren, was mich fast an Cambridge erinnerte. Im Zentrum dieser Insel liegt ein für einen Ort von 20.000 Einwohnern äußerst großer oder besser langer Marktplatz. Wegen großer Kirchengüter in der Nähe bauten sich die Plocker Bischöfe hier einen Sitz mit Schloss und einer ganz tollen Basilika, die ich auch zuerst besuchte, mit einer fantastischen Decke und vor einigen Jahren entdeckten Renaissancemalereien.
Es war heiß und ein Tee am Fluss geradezu idyllisch, weg vom Markt, am Wasser, so richtig mit Enten und Weiden und hölzernen Stakkähnen wie im Spreewald. Das Bischofsschloss etwas weiter, hinter dem neuen Springbrunnen, wo sich kleine Kinder abkühlten, ist heute Hotel und am Fluss darunter wird gebadet oder man fährt Boote, sogar richtige Gondeln werden angeboten.
Danach handfeste Bildung im Regionalmuseum, im gothischen Turm des Rathauses. Pultusk war im Krieg fast komplett zerstört. Das würde man aber nicht denken wenn man den Marktplatz sieht. Vergleichbare Orte dieser Größe und Schicksals wurden fast immer flächendeckend mit Beton beglückt. Hier würde man ohne Belehrung nicht merken, dass das alles mal kaputt war. Nur das jüdische Viertel ist komplett weg, nur ein Haus steht noch.
Wandern bei Otwock
Malgosia, die ich auf dem Ausflug zu Chopins Geburtshaus kennen gelernt hatte, erweist sich als echter Glückstreffer. Als Mitarbeiterin der Kulturredaktion des Polnischen Fernsehens kriegt sie die wichtigen Informationen wo was für wenig Geld zu machen ist. Letztens waren wir zum Theater im Kulturhaus (das ist hier noch sehr lebendig) und Sonntag sind wir mit einer Gruppe des polnischen Fremdenverkehrsvereins wandern gegangen. Das war in einem Wald bei Otwock östlich von Warschau, einem von den ersten Hitzetagen sofort ausgedörrte Streusandbüchse mit Kiefern und einigen Seen. Kurz vor Otwock ein großer und verhältnismäßig gut erhaltener jüdischer Friedhof mitten im Wald. Für uns sehr schön mal aus der Stadt zu kommen, auch wenn die betagte Gruppe langsamer lief als uns lieb war.
Arbeit
...findet quasi nicht mehr statt, da ich mich komplett ums Studium kümmere. Dienstag war Aufnahmeprüfung an der Handelsschule. Sowieso ist bald Schluss. Nächstes Wochenende in Danzig, dann diverse formale und informale Verabschiedungszeremonien. Nach Ende des Wahlkampfs habe ich es doch noch geschafft, Besuchstermine in den Parteifraktionen im Sejm zu bekommen, dazu besuchen wir noch die deutsche Botschaft. Unter den Praktikanten hat Katya aus der Ukraine ihren polnischen Freund geheiratet.
Allein im Heim
Das Wohnheim leert sich mit den Prüfungen mehr und mehr und ich fühle mich einmal mehr wie letzte der das Licht ausmacht. Nicht mal das geht, denn auf den Gängen wird das Licht nicht mal mehr angeschaltet.