Une lettre pour décrire l'indicible
Der Versuch einer Beschreibung einer unbeschreiblichen Freundschaft in einem Brief.
Cher Fadi,
Vor über anderthalb Jahren traf ich dich zum letzten Mal. Wenn Herbst ist und meine Schuhspitzen durch das Laub stieben, denke ich an deine Worte:
„Das Laub sieht so schön aus, aber eigentlich ist es traurig, denn wir laufen durch Totes.“
Beim Sprachkurs warst du zunächst einer von vielen für mich. Doch in der zweiten Stunde sagte ich, inmitten allem Französisch: „Achso“. „Achso“! erwidertest du und lachtest. Zufälligerweise traten wir den Heimweg gemeinsam an, der noch einer von vielen sein sollte. Da erzähltest du mir dann, dass dein Bruder in Deutschland lebt, weshalb du auch ein bisschen Deutsch kannst. Du hast die deutschen Wörter immer so ausgesprochen, fast als wäre es deine Muttersprache. Dagegen stolperte meine Zunge über jedes arabische Wort. Du meintest, ich würde sie gut aussprechen, aber ich glaube, du wolltest einfach freundlich sein. Ich weiß nicht, wie nützlich dir der Satz „Hast du ein Taschentuch?“ noch in deinem Leben sein wird, aber solltest du dich einmal bei deinem Bruder erkälten, wirst du sicher an mich denken. Unsere Lingua Franca, oder „Lindua Fadica“ war Französisch. Auch das konntest du ziemlich gut, wenn ich auch die einzige Person war, mit der du dich länger auf Französisch unterhalten hast.
Deine Tram kam immer einen un petit peu früher als meine und dir war das gar nicht recht, weil du nicht wolltest, dass ich alleine in der Kälte stehe.
Der Regen machte dir zu schaffen und so lange von der Familie getrennt zu sein. In deinem Land warst du ein erfolgreicher Geschäftsmann und hier war es dir nicht einmal möglich, zu arbeiten. Du hattest Geschäftsideen, wie beispielsweise einen belgischen Waffelstand in Saudi-Arabien zu eröffnen. Als einziger Mann hast du mit lauter belgischen Rentnerinnen einen Waffelbackkurs mitgemacht- dabei magst du gar keine belgischen Waffeln. Eine meiner schönsten gemeinsamen Erinnerungen ist die Weihnachtsfeier in der Sprachschule. Wir haben nie ausgemacht, uns etwas zu schenken. Und dennoch- auf dem Rückweg habe ich dir mein Weihnachtsgeschenk gegeben und du hattest auch etwas für mich.
Irgendwann sagtest du mir, du würdest mit deiner Familie in einen Teil des Iraks gehen, in dem es scheinbar sicher wäre und gute Arbeit gäbe. Ich habe mir Sorgen gemacht, weil ich lange nichts mehr von dir hörte. Schließlich hast du mich nach einigen Monaten wieder besucht- du bist nicht in den Irak gegangen. Du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr mich das erleichtert. Denn selbst wenn ein Teil des Iraks sicher sein soll, ich weiß, wie sehr du Krieg hasst und fern von dir wäre er dir da nie. Ich bewundere dich. Du warst in Belgien, einem sicheren Land und bist trotzdem für eine Weile in dein Land zurückgekehrt, weil deine dort gebliebene Familie Hilfe brauchte. Als du wiederkamst, erzähltest du:
„Es ist verrückt. Viele Menschen feiern dort die ganze Zeit. Sie haben sich lange genug versteckt und das hat nichts geholfen. Jetzt feiern sie. Ein Café, wo vor einer Stunde noch ein Anschlag war, ist sofort wieder gefüllt mit Menschen.“
Diese Beschreibung ist für mich logisch vielleicht nachvollziehbar, übersteigt aber all meine Vorstellungskraft. Ich weiß, du bist wieder in Belgien mit deiner Familie- und ich glaube an euch, ihr bekommt das schon hin. Vielleicht siehst du deine Tochter in Gummistiefeln und Regencape durch die Pfützen hüpfen und du kannst so den Regen besser ertragen. Oder du hüpfst einfach mit.
Ich wünsche dir alles erdenklich Gute. Jeder, der auch nur einmal meint, warum müssen diese Leute denn alle nach Europa, die sollen doch am besten wieder zurücklaufen, sollte mal einmal unseren ehemaligen Weg von der Sprachschule zur Tramhaltestelle mitlaufen und dir lauschen.
Bis bald, vielleicht in Belgien, vielleicht kommst du mich mal in Deutschland besuchen. Und ich wünsche mir so sehr, dass ich irgendwann deiner Einladung folgen kann, dein Land zu besuchen, wenn der Krieg endgültig vorbei ist.
Avec des meilleurs veux- Linda