Und an der Grenze ist doch was los...
Neun Sonnenstunden in der deutsch-polnischen Doppelstadt Bad Muskau/Łęknica. Ein Ausflug in die Realitäten entlang einer offenen Grenze durch Familienfeste und Parklandschaften hin zu Fürsten und Sowjetkämpfern. Von Malte Koppe.
Endlich 'mal raus aus Berlin. Das war meine Hauptmotivation, um an der Eröffnung des Familienfests "Polnischer Frühling" in Bad Muskau teilzunehmen. So schnell lässt den Stadtmensch seine Metropole jedoch nicht los. So drehen sich die ersten Gespräche auf der sonnigen Terasse der Turmvilla noch um Vor- und Nachteile der Hauptstadt. Die Turmvilla - das ist das soziokulturelle Zentrum des Ortes Bad Muskau. Noch ahne ich nicht, dass heute der schönste Tag des bisherigen Jahres werden wird. Nicht zuletzt, weil es endlich einmal wieder nach Polen geht.
Bad Muskau, "Mužakow" in der Sprache der slawischstämmigen sorbischen Minderheit in der Lausitz, liegt an der Neiße direkt an der Grenze zu Polen. Bekannt wurde die Stadt durch den Fürsten Hermann von Pückler-Muskau, der im 19. Jahrhundert im Ort eine weitläufige Parkanlage anlegte. Sie gilt unter Kennern bis heute als einmalig. Der größte Teil liegt auf der polnischen Seite der Neißegrenze.
Im bunten Treiben des "Polnischen Frühlings" weiß ich schon in der ersten Stunde nicht mehr, wer hier Pole und wer Deutscher ist. Man hört beide Sprachen, manchmal aus dem selben Kindermund. Wer noch Probleme hat, kann bei professionellen Sprachanimateuren erste Schritte in die andere Sprache mithilfe von Memorykarten wagen. Unter freiem Himmel bereiten Köche Thüringer Bratwurst und polnische Pierogi (Teigtaschen) zu. Extra aus Wrocław (Breslau) ist ein zweisprachiges Luftballonkünstler-Duo gekommen. Die Animateure basteln mit den Kindern Tiere aus bunten Ballons. Auch wir Erwachsenen dürfen mitmachen. So lernen wir kinderleicht Tiernamen in zwei Sprachen.
Für die Älteren spielt das aus einer polnischen Nachbarstadt angereiste "Mild Jazz Trio" entspannende Töne. Die Harmonie unter den Parkbäumen ist einmalig - hier blüht der Großstädter auf. Und auch die Laufkundschaft der Wanderer, die den bewaldeten Teil des Parks mit ihren Schluchten erkunden, nähert sich neugierig dem bunten Treiben. Eine ältere Dame neben mir im Restaurant redet auf ihren Mann ein: "Was ist denn dieser Krupnik?" Nach einigem Zögern probieren beide den polnischen Honigschnaps. Man muss einfach neugierig bleiben.
Einige Meter weiter unten, hinter der ins polnische Łęknica führenden Neiße-Brücke gibt es auf einem Basar ebenfalls polnische Spezialitäten - für deutsche Tanktouristen. Von pfandfreier Limonade über Spargel, Blumen, deutsche DVDs und sogar metallene Briefkästen (!) ist hier alles zu haben, was in Polen billiger hergestellt wird. Die Gassen durchzieht auf groteske Weise deutsche Schlagermusik gemischt mit polnischem Bratwurstgeruch. Und dazwischen die bulgarischen Händler mit chinesischer Textilimportware. Gezahlt wird cash - gern auch in Euro.
Ein junges Mädchen am Gemüsestand antwortet auf die Frage nach einem Bankautomat im polnischen Ortsteil: "Gibt es, aber der steht in der Polizeiwache und die ist am Sonntag geschlossen." Zwischen den Äpfeln und Birnen der Verkäuferin liegen ein Taschenrechner und ein deutsch-polnisches Wörterbuch. Paradox: Auf deutscher Seite kann man am Sonntag Geld abheben, aber nichts kaufen. Die Ortskirche habe ich nicht gefunden. Auf polnischer Seite blüht der Handel dagegen auch am Ruhetag. Und elegant gekleidete Damen schlendern zur Katholischen Mittagsmesse.
Wieder zurück in der etwas höher in den Ausläufern eiszeitlicher Gletscher gelegenen Turmvilla rege ich die Diskussion an: Ist der Handel unten am Fluß schlecht? Kommt es auch dort zu Begegnungen von Menschen oder zockt man sich gegenseitig ab? Die Meinungen sind geteilt. Die Organisatoren des Sommerfestes erwähnen, dass noch immer Busladungen aus ganz Sachsen nur zum billigen Einkaufen kämen. "Wie es auf dem Markt auf polnischer Seite aussieht!" bemägelt ein anderer Gast "Wie in einem Dritte-Welt-Land mit all den Blechverschlägen."
Ich finde das unpassend. Das kultivierte Treiben oben in der Turmvilla ist so gut wie der Handel unten am Fluß. Waren sind auch Ausdruck von Kultur - jeder stöbert doch gern im Urlaub durch Supermärkte mit fremden Produkten. Profitstreben und Warentausch waren und sind nicht zuletzt Triebfeder der Mobilität der Menschheit. Die Grenzregion braucht beides - Kulturaustausch beim Sommerfest und klassischen Grenzhandel. Und der wäre für beide Seiten weniger rentabel, wenn er in geordneten Geschäften von sich ginge.
Doch noch kenne ich Bad Muskau-Łęknica kaum, um mir endgültige Urteile zu erlauben. Deshalb noch einmal runter in die Realität. Drei Stunden Aufenthalt bleiben noch. Diesmal zieht mich der hinter einem Tannenhain leuchtende rote Stern an. Die deutsche Stadt hat noch ein sowjetisches Soldatenehrenmal. Sorgsam restauriert und gepflegt wie das Schloß des großen Fürst Pückler ist es nicht. Eher dem historischen Verfall preisgegeben.
Der Pückler-Park seinerseits ist deshalb so berühmt, da er zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört. Und dafür hat er sich laut Wikipedia durch "dem Besucher immer wieder aus dem Blick rückende Wege und überraschende Sichtachsen" qualifiziert. Auf den tatsächlich unendlich wirkenden Pfaden höre ich abwechselnd deutsche und polnische Worte. Familien, Rentner - sie alle nutzen den Sommertag zur Erholung. Eine Gruppe Deutscher unterhält sich: "In Polen habe ich neulich meine MasterCard verloren." - "Ja, aber zum Tanken ist es gut dort." Eben auch solche Stimmen vernehme ich.
Manche mögen es bestreiten, aber auch die Provinz wandelt sich. In Bad Muskau symbolisiert dies nichts besser als die Rotbuche vor dem Neuen Schloß. Jahrelang schirmte ihre Pracht die Blicke auf die in DDR-Zeiten zu einer Ruine verfallenen Residenz ab. Heute zeigt eine Ausstellung wie sie mit zunehmender Renovierung in den Neunziger Jahren immer mehr an Pracht verlor bis sie gefällt werden musste. Sie hatte wohl einfach ihren historischen Zweck erfüllt.
Der Tag in Bad Muskau neigt sich dem Ende entgegen - nach einem lokalen Schwarzbier und einem polnischen Tyskie geht es nach Hause. Die Veranstaltungsreihe "Polnischer Frühling" endet am 18. Mai mit einer Podiumsdiskussion mit Jugendlichen zum Thema "Hier ist doch eh‘ nichts los ...! Mag stimmen ... und nun?". Sicher, nicht alles ist rosig im Grenzgebiet. Aber zurück nach Berlin zieht mich nach diesem idyllischen Tag auch nichts. Und als Tourist muss mich keiner mehr überzeugen - hier an der Grenze wächst langsam etwas zusammen...