Übermaß an Toleranz
Samstags Nachmittag. In der Tram. Irgendwo in Deutschland.
Die Menschen sind auf dem Weg zum Hauptbahnhof, zu ihren Familien, um das Wochenende zu genießen. Jeder ist mit sich selbst beschäftigt und mit den Gedanken woanders. Smartphones sind gezückt, Kopfhörer sperren die Außenwelt aus. Typisches Schweigen in einer typisch deutschen Straßenbahn. Ein Rentner, eine junge Mutter mit Kind und ein Typ mit schwarzem Hoodie hetzen offen gegen Flüchtlinge. Facebookschmäh in der Öffentlichkeit. Alle hören zu, niemand gibt einen Laut von sich. Das Gespräch wird stillschweigend toleriert.
Darf das sein? Manche würden sagen ja. Sie würden argumentieren mit Meinungsfreiheit und ich will in nichts hineingezogen werden, was mir Probleme bereiten könnte, vong wegen Stress und so. Diese Argumente haben Berechtigung. Auf Facebook. Wenn man keine Counterspeech betreibt gegen abstrakt-allgemeine Hass-Kommentare.
Doch machen sich die Umstehenden in der Tram nicht dieser Meinung konform, wenn sie diese tolerieren und nicht widersprechen?
In gewisser Weise schon. Im öffentlichen Raum haben Diffamierungen und Hetze eine andere Qualität. Eine individuelle-konkrete. Wenn solche Konversationen stattfinden, bezieht man im öffentlichen Raum Umstehende mit ein, egal ob diese das wollen oder nicht. Deshalb dürfen sich Menschen, die sich in der Öffentlichkeit unterhalten, damit rechnen, dass Dritte mitreden, wenn Bullshit behauptet wird. Und das sollte auch geschehen. Farbe bekennen gegen Fremdenfeindlichkeit. Einen Moment der sozialen Ächtung kreieren. Schranken der gesellschaftlich akzeptierten Meinungen aufzeigen. Nicht resignieren.
Von der Meinung bis zur Tat ist es kein großer Schritt, wenn keine Intervention vorhanden ist. Es ist immer noch leichter einer “Meinung” entgegenzuwirken als einen Brandanschlag auf ein Flüchtlingsheim verhindern.
Jeder gestaltet die Gesellschaft, in der er lebt, durch sein Handeln selbst mit. Eine Gesellschaft mit offener Feindlichkeit gegenüber anderen Menschen ist keine lebenswerte. Deswegen muss Menschenfeindlichkeit immer widersprochen werden. Egal wo.
Weil Toleranz der erste Schritt zur Akzeptanz ist. Somit ist Toleranz schon zu viel.
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