Über das Reisen und darüber, wie schwer es ist, die Welt zu sehen
„Ich will die Welt sehen!“, habe ich mir gesagt. Und ich möchte dieses Jahr damit anfangen!
Nun wird mir aber auf einmal klar, wie schwer dies ist.
Ich bin jetzt in Ungarn, Ungarn ist mein Anfang. Klar habe ich vorher schon ein paar Orte besucht. Unglaubliche Orte! Viele davon waren auch in Deutschland. Oft wird vergessen, wenn man sich vornimmt die Welt sehen zu wollen, dass man damit im eigenen Land anfangen sollte. Als Kind war ich in den Sommerferien mit meiner Familie oft am Meer. In Deutschland oder auch in den Niederlanden. Ich habe mit meinen Freundinnen die Westküste Frankreichs besucht und Surfen gelernt. Mein Freund hat mich für ein Wochenende mit nach Prag genommen. Als ich dann auch noch vor zwei Monaten in Ungarn landete, hatte ich das Gefühl, mein Ziel schon fast erreicht zu haben. Dieses Gefühl reichte aber nur für einen sehr kurzen Moment, bis mir wieder bewusst wurde, wie groß die Welt ist:D.
Seit ich hier in Ungarn bin, ist mir nicht nur das bewusst, sondern auch, wie schwer es ist, sie wirklich zu sehen. Es reicht mir nicht, die Hauptstadt eines Landes zu besuchen, um zu glauben, das Land zu kennen. Das ist nicht schwierig nachzuvollziehen. In Ungarn bin ich nun schon einmal quer durchs Land gereist. Ich kenne die flache, beeindruckende Steppenlandschaft des Hortobagy Nationalparks, das Kulturzentrum Debrecen, die bezaubernde Weingegend um Tokaj, das rauschende Leben Budapests und ein paar Orte am Ufer des ungarischen Meeres. Aber Orte zu sehen, das habe ich begriffen, reicht lange nicht aus, um ein Land zu kennen!
In den 10 Tagen des Workcamps hier, an dem auch Franzosen teilgenommen hatten, habe ich mehr über Frankreich gelernt, als in den 10 Tagen, in denen ich wirklich dort war. Aber nur dieses Gelernte, ohne jemals da zu sein, reicht natürlich auch nicht aus! Es ist das Wissen und die Sprache, welche uns oft fehlt, wenn wir ein Land bereisen. Man braucht Zeit um in eine Kultur einzutauchen. Zeit, die man oft gar nicht hat!
Nun bin ich seit zwei Monaten in Ungarn. Ich habe einen der wichtigsten Nationalfeiertage miterlebt und nahezu jegliches spezielles Essen gekostet, was das Land zu bieten hat. Ich habe mit ein paar Ungarn gesprochen und begonnen, die Sprache zu lernen. Ich habe immer mehr über die Geschichte des Landes erfahren und ungarische Lieder lieben gelernt („Ha volna ket eletem“ von zorall ist echt super:D). Aber bedeutet das nun, dass ich das Land tatsächlich kenne?
Es gibt unendlich viele Orte, die ich noch nicht gesehen habe (Und Ungarn ist ein verhältnismäßig kleines Land). Es gibt unendlich viel, wovon ich noch nicht einmal gehört habe, für jeden einzelnen Ort. Und auch die Menschen hier, habe ich immer noch nicht ganz durchschaut. In zwei Monaten! Es ist verdammt schwierig ein Land wirklich zu kennen. Und ich spreche gerade nur von Ungarn. Wenn es schon so schwierig ist, ein Land zu bereisen, zu verstehen und mit all seinen Traditionen zu erleben, wie schwer ist es da, die ganze Welt zu bereisen?!
Seit ich hier in Ungarn bin, bin ich mir nicht mal mehr bewusst, ob ich Deutschland tatsächlich kenne. Titzian hat mit mir Franzbrötchen gebacken, ein scheinbar typisch deutsches Gebäck, nachdem er herausfand, dass ich noch nie davon gehört hatte. Und auch, wenn mich meine Mum stets an eine Menge Orte überall in Deutschland mitgenommen hat, fallen mir immer noch welche ein, an denen ich noch nie war. Bremen zum Beispiel. Ich war noch nie auf dem Hamburger Fischmarkt und das obwohl ich schon ein paar Mal in Hamburg war.
Und nun bin ich in Ungarn und versuche ein Land in einem Jahr kennenzulernen, wobei ich dies bei meinem Heimatland scheinbar nicht einmal in 18 Jahren geschafft habe. Das klingt sehr frustrierend:D. Das soll es aber gar nicht und ich möchte natürlich auch nicht den Traum, die Welt sehen zu wollen, zerstören. Ich will nicht sagen, man hat dazu keine Chance und ich will niemanden von dem Ziel abhalten. Was ich jedoch sagen möchte, ist, dass man dem Ziel folgen sollte, ohne sich zu sehr darin zu verrennen. Durch dieses Ziel hatte ich nämlich schon oft das Gefühl, nur möglichst schnell von Ort zu Ort reisen zu wollen und möglichst an keinen doppelt. Es wirkte wie ein Abhaken auf einer To-Do-Liste, die schnell erledigt sein sollte. So sollte das aber nicht sein, denn die Welt zu sehen bedeutet viel mehr und braucht Zeit! Zeit zum Durchatmen. Ab und zu muss man Straßen kleiner Orte fünf Mal entlanglaufen, um die bedeutenden Besonderheiten in ihnen wahrzunehmen. Ab und zu muss man Städte und Länder doppelt bereisen und auf einmal erlebt man sie ganz anders. Ab und zu sollte man sich zwei Tage mehr Zeit nehmen, um einfach nur auf einer Mauer zu sitzen, um die Menschen zu beobachten (Nein, das soll jetzt nicht nach einem Stalker klingen:D). Manchmal ist es wichtig, auf einem Berg zu stehen und stundenlang die Aussicht zu genießen oder in einer Wiese zu liegen und die Luft tief einzuatmen. Man sollte sich auf Begegnungen mit Menschen einlassen und vielleicht auch in das ein oder andere Museum gehen. Neben den Städten die man besucht, sollte man auch die Natur mit seinen Wundern nicht vergessen.
Vielleicht kommt man seinem Ziel viel näher, wenn man ein paar weniger Orte auf seiner Liste abhakt, diese aber dafür tatsächlich erlebt.
Ich möchte weiterhin so viel wie möglich von der Welt sehen, daran hat sich nichts geändert, aber langsam begreife ich, dass ich dafür viel mehr Zeit brauche als gedacht. Das bedeutet aber nicht, dass ich mein Ziel nicht erreichen werde. Ich brauche dafür wohl nur einfach länger!
Klar werde ich niemals alle Orte und Länder sehen, die es gibt. Das muss man aber auch gar nicht. Das heißt aber nicht, man kann es nicht versuchen. Das sollte man nämlich!