Tradition ganz traditionell - ungarischer Folk
Von meinem ungarischen Tanzabend ganz ohne Touristen.
Als wir den Raum betreten ist es kalt. Die Heizung ist nicht an. Und das Anfang Februar. Es ist noch ziemlich leer in dieser Bar, in der später die Tanzfläche glühen soll. Am Rand stehen Tische, Stühle und Sofas, in der rechten Ecke eine kleine Bar. Vor der kleinen provisorischen Bühne ist eine freie Fläche, dort soll später getanzt werden. Insgesamt eine gemütliche Atmosphäre, wenn man von der Kälte absieht. Und so langsam füllt sich der Raum. Immer mehr Menschen kommen, hauptsächlich jüngere Frauen. Manche sind alltäglich gekleidet, mit Jeans und T-Shirt. Andere tragen lange bunte Röcke und wechseln ihre Winterstiefel gegen luftige Tanzschuhe. Sie stehen in Grüppchen zusammen, reden und lachen. Auf der Bühne richten die Musiker ihre Instrumente. Ein Geiger ist dabei, auch eine Flöte und ein Kontrabass. Die Instrumente und auch die Tanzschritte unterscheiden sich von Region zu Region, der Kontrabass jedoch ist ein fester Bestandteil. Dann betritt der Tanzlehrer die freie Fläche und alle gesellen sich in einem großen Kreis zu ihm. Die Musik beginnt. Erst langsam, dann immer schneller. Leidenschaftlich, bunt und temperamentvoll. Die Tanzschritte sind einfach und werden während des gesamten Liedes nicht oder nur leicht abgewandt. „Bal“ und „jobb“ ruft der Lehrer in regelmäßigen Abständen. Verstehen tut man jedoch nicht viel – die Musik, die Tritte aufs Parkett und gelegentliche Lacher und Jauchzer übertönen alle zugerufenen Anweisungen und Hilfen. Schlimm ist das jedoch nicht. Die meisten Tänzer kommen regelmäßig zum Tanzen her oder können die ungarischen Tanzschritte schon von klein auf. Da in einem Kreis getanzt wird, kann man sich immer wieder links und rechts vergewissern, dass man alles richtig macht. Und Fehler werden hier einem keineswegs übel genommen. Ich fühle mich sehr wohl unter all diesen tanzenden Ungarn. Als die letzten Töne des ersten Liedes verklingen, wird applaudiert. Ein kurzes durchatmen, sich sammeln und schon geht es weiter. Ein neues Lied, ein neuer Tanz. Bei ungarischem Folk wird meistens in der Gruppe getanzt, einfache Schrittfolgen, rechts, links, rechts, links. Auch nach vorne und hinten wird sich ab und zu bewegt. Es ist sehr viel Beinarbeit gefragt, die Arme haben kaum etwas zu tun. Gelegentlich wird auch ein Paartanz in den Gruppentanz eingebaut. Bei einem drehen sich die Frau und der Mann zusammen um die eigene Achse, wechseln die Richtung und integrieren sich wieder in den großen Kreis. Männer sind jedoch nicht so stark vertreten, weshalb auch viele Tanzpaare weiblich sind. Der nächste Tanz ist wieder etwas ruhiger. Nach links, in die Mitte und wieder zurück. Dazwischen wird häufig mit den Füßen kräftig aufgetreten, was besonders durch die vielen Tanzschuhe einen wirklich schönen Klang zur Musik erzeugt. Dann stimmt eine der Tanzlehrer ein Lied an und um mich rum fangen alle an, eine schöne fröhliche Musik zu singen. Meine Mentorin erklärt mir, dass es sich um ein Liebeslied handle, eine Liebe, die nicht in Erfüllung gehen konnte. Auf meine Gegenfrage, ob es sich also um ein trauriges Lied handle, schaut sie mich total erstaunt an und verneint. Dann wird die Pause eingeläutet. Alle strömen Richtung Bar, um sich zu erfrischen. Daneben wird gerade ein Tisch mit verschiedenen Gerichten eingedeckt. Der Reihe nach wird jeweils ein Stück Pulizska auf einen Teller getan und an die hungrigen Tänzer weitergereicht. Pulizska ist eine Art transilvanische Polenta, ein kuchenförmiges Maisgrießgericht. Daneben stehen Schüsseln mit gedünsteten Zwiebeln, Rotkraut und Paprika, auch Brot kann man sich noch dazu nehmen. Nach der Pause geht es weiter, neue Tänze, mal in der Gruppe, mal in Paaren. Es wird gesungen und zwischendurch auch immer zur Musik gejauchzt. Nach drei Stunden geht es dann so langsam dem Ende entgegen. Erschöpft setzten wir uns auf die Stühle und Sofas am Rand. Abschließend wird uns allen von den Lehrern noch ein Lied beigebracht. Ein schöner, ruhiger Song. Liedblätter werden ausgeteilt, die Lehrerin singt vor und alle singen mit. Ich klinke mich aus und genieße die letzten Minuten meines ungarischen Kulturabends, ganz fern von jeglichem Touristenkitsch.
So kann ungarischer Folk aussehen:
www.youtube.com/watch?v=friMHw40jG8&list=RDg0CXOIQMjl4
Das Liedblatt des Abschlusslieds liegt noch immer neben meinem Bett:
www.youtube.com/watch?v=mQ8Wpz9BpkQ