Sulina - eine sich auflösende Grazie an der Donau
Wie sich eine der ehemalig wichtigsten Hafenstädte Rumäniens gen Niedergang bewegt
Eine Stadt ist nicht selbst in der Lage, um ihren Fortbestand zu kämpfen. Das ist eine Pflicht, die ihre Bewohner auf sich nehmen müssen. Doch was passiert wenn bei Menschen keinerlei guter Wille vorhanden ist?
Wille haben die meisten Menschen zwar schon, meistens jedenfalls, nur eingesetzt wird er oftmals falsch. Also wie sähe eine Welt aus, in der jeder nur seinen eigenen Interessen nachgeht?
Bei meiner Rumänienreise des letzten Jahres durfte ich ein Fuß in einer solchen Welt setzen.
Alles begann mit einem mulmigen Gefühl. Den hatte ich, als ich mich in einem 6-Personen-Motorboot mitten in einer weiten Wasserlandschaft vorfand, nämlich in dem Donaudelta, mitten auf einem der drei Flussarme, und zwar dem Sulina-Arm, nur drei Kilometer von dessen Einmündung in das Schwarze Meer. Wegen der Mündung bin ich aber nicht hier, nein, ich möchte nur die Stadt besichtigen, nach dem dieser Flussarm benannt wurde, die Hafenstadt Sulina.
Ich weiß nicht genau, wie ich mir diese Stadt vorstellen soll. Ähnelt sie wohl der größten rumänischen Hafenstadt Konstanz, mit ihrem historischen Stadtzentrum, mit ihren Ausgrabungsstätten und Museen? Wohl kaum. Konstanz ist mit ihren über 300.000 Einwohnern wohl kaum mit der Kleinstadt Sulina vergleichbar, die nichtmal 5000 besitzt. Ähnelt Sulina dann vieleicht einem der Dörfer, die wir gestern flussaufwärts besichtigt haben? Eine Mischung aus alten Fischerhäuschen und luxuriösen Villen? Oder ist Sulina einfach nur mit kommunistischen Plattenbauten bedeckt?
Bevor ich weitere Vergleiche aufstellen kann ist es soweit: Die endlose ferne wird plötzlich unterbrochen. Wir sind am Rande der Stadt Sulina angekommen. Zum Vorschein kommen erste klotzartige Bauten, vor denen kleine und große Schiffe ankern. Jetzt erscheinen moderne Wohnhäuser, die sich entlang der Donau reihen.
Das Motorboot fährt unbeirrt weiter, wir sind noch nicht an der Haltestelle angekommen. Die Wohnhäuser gehen langsam in bunt angestrichene Hochhäuser über, die sich bis hin zum Himmel strecken. Und da, plötzlich nähert sich das Boot dem Ufer. Bevor ich mich umschauen kann werden wir zu Ausstieg aufgefordert.
Ich befinde mich auf einer recht schön hergerichtete Promenade, die den rechten Ufer des Sulina-Arms ausmacht. Ich schaue mich nach den Plattenbauten um, die haben wir aber anscheinend schon längst hinter uns gelassen, denn vor uns haben sich einstöckige Altbauten bequem gemacht. Die meisten sind auch frisch angestrichen und im Erdgeschoss mit Restaurants und Läden ausgestattet.
Wir haben genau zwei Stunden Zeit um die Gegend zu erkunden, bevor das Boot abfährt. Es bietet sich auch ein Reiseleiter an, doch ich bevorzuge es, die Ortschaft alleine zu besichtigen. Zuerst nehme ich mir vor, bis hin zum anderen Ende der Promenade zu laufen und zu fotografieren, was mir interessant vorkommt.
Für das Erste bietet sich immer dasselbe Bild: Eine Mischung aus bunten, frisch sanierten und leicht schäbigen Gebäuden, die aneinandergelehnt die Donau betrachten, wahrscheinlich seit über hundert Jahren.
Plötzlich ändert sich das Bild drastisch. Völlig unpassend erhebt sich am Rande der Promenade eine Reihe kommunistischer Hochhäuser. War das denn schon alles was die Hafenstadt Sulina sehenswert macht? Nur fünfzehn bunte Häuser? Ich frage eine Einheimische, wo das Rathaus dieser Stadt denn sei. Sie meint, ich soll meine Richtung beibehalten.
Ich laufe neugierig weiter. Dieser Abschnitt der Promenade ist nicht mehr so populär wie der davor, kaum mehr Restaurants sind zu sehen, stattdessen hin und wieder Supermärkte und Bäckereien. Die Plattenbautenreihe neigt sich gen Ende. Was ich dahinter sehe, das kann ich zuerst gar nicht glauben.
Mächtig steht die Ruine des ehemaligen luxuriösen Hotels Camberi, den Namen erfuhr ich erst später über das Internet, neben einem alten Filmtheater, der sich wohl selbst an seiner letzten Vorstellung kaum noch erinnern kann. Das Tor steht offen, beziehungsweise ist nach innen eingestürzt. Ich schaffe es gerade noch rechtzeitig mich davon abzuhalten, in das Gebäude reinzugehen.
Ein paar Überraschungen späterstehe ich vor einer Kathedrale, die mitten in Sanierungsarbeiten steckt. Das hat sie auch nötig, denn an der Kuppel, die aus dem Baugerüst hinausschaut, erkennt man das die Außenwand stark beschädigt ist.
Ein Schild zeigt in einer Seitenstraße hinein. "Orthodoxe Kathedrale des St. Nikolas" steht darauf. Ich weiche von meinem Plan, das Rathaus zu sehen, ab und gerate in dieser Seitenstraße. Was mir jetzt zum Vorschein kommt, das vernichtet alle meine Erwartungen.
Vor mir steht eine Art graues Ungeheuer. Beim genaueren Hinsehen erkenne ich eine hoch eingezäunte Kathedrale, zur Hälfte aus bröckelnden Steinen, die andere Hälfte flüchtig aus grauem Holz aufgestellt, sodass das ganze geradenoch nach einer Kathedrale aussieht. Der Kirchturm steht schräger als der Schiefe Turm von Pisa und wurde mit eisernen Seilen an das Gebetshaus gehängt, sodass er nich auf das Nebengebäude fällt...
Zurück ins Präsens.
Wie kann es sein, dass es in einer solch kleinen Stadt Kontraste gibt? Einerseits riesige Luxuswohnviertel, andrerseits verfallende Kulturdenkäler? Das kann nur passieren, wenn die Bewohner der Stadt nur an sich selbst denken, wenn sie nur für ihr eigenes Wohlergehen Geld investieren. Das ist leider nicht nur in Sulina so, sondern in ganz Rumänien. Deshalb verlassen viele das Land, um einen Ort zu finden, an dem die Welt einfach besser ist, an dem nicht jeder für sich selbst kämpft, sondern alle gemeinsam.