Spuren
Darüber, welche Lasten und Freuden eine wahre Begegnung mit sich bringt.
Du bist schuld daran, dass ich nun durch die Berliner Straßen spaziere, nie ohne deine Musik auf meinen Ohren. Du bist auch schuld daran, dass mir der Geruch von Shisha und verbrannten Müll ein Lächeln aufs Gesicht zaubert, meine Füße wie von selbst ihren Weg nach Neukölln finden, mein Bauch lautstark nach Falafel und Weinblättern verlangt und mein Mund lieber deine als meine Laute formt.
Und es ist auch deine Schuld, dass es mir schwer fällt, meinen Urlaub auf den Kanaren zu genießen, ohne deine Worte zu hören über die Freiheit, die dir fehlt, über die Rechte, die dir genommen wurden, über das Land, das man dir gestohlen hat. Du bist schuld daran, dass mir bei den Bildern im Fernsehen wieder der Geruch von Tränengas in die Nase steigt und ich daran denken muss, womit du Tag für Tag kämpft.
Es liegt an dir, dass ich in meiner Stadt nach deinen Landsleuten suche, um mit ihnen von Behörde zu Behörde zu gehen, um ein bisschen so gut und stark zu sein wie du. Um ein wenig so selbstlos und hilfsbereit zu sein, wie du es warst. Weil ich weiß, dass du es für mich genauso getan hättest. Du hättest mich nicht in der Kälte stehen lassen. Und nun gebe ich hier die Sprache weiter, die du mir damals geschenkt hast.
Du bist es, der schuld daran ist, dass ich mein Land für seine Sicherheit liebe und für seine Ignoranz hasse, wenn sie dich als Terroristen bezeichnen, ohne je einen Tee mit dir getrunken zu haben. Dich als das Fremde abstempeln, ohne je mit dir eine Shisha geraucht oder Weinblätter gegessen zu haben, ohne mit dir zu deiner Musik getanzt, deine Religion verstanden oder nur ein Wort deiner Sprache gelernt zu haben.
Es ist deine Schuld, dass ich so geworden bin wie ich bin, dass ich das Fremde begrüße und mit offenen Armen empfange, dass ich nie aufhöre zu lernen und zu hinterfragen. Du hast mein Leben reicher gemacht. Mir die Ordnung und die Klarheit genommen. Mich zweifeln und trauern lassen. Es ist deine Schuld, dass ich so bin wie ich bin. Und wenn ich mich auf dieser Welt manchmal umschaue, dann danke ich dir dafür von ganzem Herzen.
Es ist deine Schuld, dass ich durch die Berliner Straßen spaziere, deine Musik auf meinen Ohren. Und manchmal hoffe ich, dass auch du gerade meine Musik hörst und mir die Schuld daran gibst, Spuren in deinem Leben hinterlassen zu haben.
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