Seminare und andere Parties
Inzwischen hat sich evil_eva in ihrem Kindertageszentrum gut eingearbeitet. Gerne würde sie schon eigene Projekte mit den Kindern umsetzen, aber erst möchte sie die Sprache besser beherrschen.
Nachdem wir letzten Montag im Projekt einen Elternabend hatten, bei dem unter anderem die Regeln im Tageszentrum besprochen wurden, bin ich inzwischen ziemlich gut über die Organisation meines Projekts informiert.
Das Kindertageszentrum in Elektrenai wurde Mitte der Neunziger für Kinder und Jugendliche aus „Problemfamilien“ gegründet. Jeden Tag kommen etwa 20 Kinder und Jugendliche nach der Schule hierher, um Hausaufgaben zu machen und dann den Nachmittag mit verschiedenen Aktivitäten zu verbringen. Die meisten von ihnen bleiben bis abends um sieben. Die Kinder sind zwischen sechs und 15 Jahre alt und alle kommen aus armen Familien. Viele der Eltern sind alkoholabhängig und schlagen ihre Kinder. Das Tageszentrum ist montags bis freitags zwischen 13 und 19 Uhr geöffnet. Früher war auch an den Wochenenden Programm, aber seit diesem Jahr nur noch unter der Woche.
Elektrenai selbst wurde in den Sechzigern zusammen mit dem Kraftwerk gebaut (daher auch der Name). Es besteht fast ausschließlich aus Plattenbauten, wie sich das für eine zu Sowjetzeiten gebaute Stadt gehört. Aus diesem Grund ist Elektrenai auch trotz seiner 17.000 Einwohner flächenmäßig relativ klein: In jedem Haus wohnen etwa zehn bis zwanzig Familien in winzigen Wohnungen. Im Winter gibt es hier nicht viel zu tun - es gibt das Schwimmbad, in dem ich jetzt schon so oft war und eine Eishalle, die leider nur an den Wochenenden geöffnet ist. Außerdem gibt es rund ums Tageszentrum drei verschiedene Supermärkte, die aber alle recht klein sind und deswegen nicht so viel Auswahl bieten. Um richtig einzukaufen, muss man Richtung Vilnius fahren, wo es mehrere riesige Supermärkte gibt, in denen man auch sehr viele internationale Produkte bekommt (leider auch zu internationalen Preisen).
Im Sommer muss es dafür in Elektrenai umso schöner sein: man kann im See schwimmen und Ausflüge in die Natur machen. Bis jetzt habe ich davon zwar noch nicht so viel mitgekriegt, aber die Natur um Elektrenai muss im Sommer sehr schön sein und auch schnell zu erreichen. So wie das Wetter im Moment ist, kommt der Frühling allerdings frühestens im April, so dass ich noch eine Weile auf den Sommer warten werde. Ansonsten haben wir hier ein sehr schönes und auch billiges Café und eine Bar, vor der ich allerdings gewarnt wurde: Anscheinend hängen da fast nur besoffene alte Männer rum.
Mit meinem Litauischerwerb geht es momentan nur langsam voran. Meinen letzten Unterricht hatte ich vor einer Woche. Außerdem fange ich schon an, Wörter, die ich selten benutze, wieder zu verlernen. Auch die Grundformen der Verben sind für mich sehr schwer zu merken: jedes einzelne Verb ist wie ein unregelmäßiges Verb im Englischen, mit drei scheinbar vollkommen voneinander unabhängigen Grundformen. Dafür lebe ich mich in meinem Projekt von Tag zu Tag mehr ein und habe auch schon Ideen für eigene Angebote. Leider bin ich mir nicht sicher, ob ich diese mit meinen momentanen Litauischkenntnissen schon realisieren kann. Also bleibe ich dabei, sehr viel zu beobachten und zuzuhören und mit den Kindern nur sehr einfache Spiele zu spielen.
Jetzt mal zu meiner Woche: nachdem ich endlich eine Litauerin gefunden habe, die etwa gleich gut schwimmen kann wie ich (sprich sich im Schwimmbad nicht nach jeder Bahn fünf Minuten ausruhen muss), überlege ich mir, ob ich mir nicht eine Monatskarte fürs Elektrenaier Schwimmbad kaufen soll, da es hier sonst sowieso wenig zu tun gibt. Das einzige, was mich davon abhält, sind meine Dauererkältung (letzte Woche auch mit Spuren einer Mittelohrentzündung) und die Tatsache, dass ich keinen Studentenausweis habe, also wahrscheinlich mehr zahlen muss.
Letzten Dienstag haben mich Agné und ihr Mann in ein Restaurant an der Autobahn eingeladen, wo ich dann auch gleich mehrere verschiedene Likör- und Taugtiné-Sorten (Kräuter- oder Obstschnaps) probieren durfte. Das Restaurant war wirklich gut, ist aber leider nur mit dem Auto erreichbar.
Mittwochabend war ich dann mal wieder in Vilnius, wo der zweite Planungsabend für die Freiwilligenparty am Donnerstag stattfand. Irene und ich sind allerdings früh ins Bett gegangen, weil ja am Donnerstag unser Arrival-Seminar begann. Das Seminar war in einem Hotel mitten in Vilnius, was einerseits toll war, weil wir jeden Abend weggehen konnten, andererseits aber auch schade, weil ich Vilnius ja jetzt schon recht gut kenne und gerne auch mal eine andere Stadt gesehen hätte.
Das Seminar selbst war auf jeden Fall interessant: Am Donnerstag ging es hauptsächlich um Gruppenbildung (die Seminarteilnehmer sollten ein Team werden), wozu wir in der Stadt alle möglichen Aufgaben erfüllen mussten, wie zum Beispiel stundenlang mit verbundenen Augen durch die Straßen zu laufen. Mal abgesehen von der Kälte war der Nachmittag extrem lustig und abwechslungsreich! Wir waren übrigens 14 Seminarteilnehmer aus Deutschland, Frankreich, Spanien, Polen, Italien, Russland, der Türkei und Ägypten (ja, da kann man auch einen EFD machen) und drei Trainer.
Abends sind wir in eine Bar, in der man jeden Donnerstag traditionelle Tänze tanzen (oder lernen) kann und haben uns am litauischen Kulturgut versucht. War super lustig aber leider auch ziemlich schwer, weil wir erst über eine Stunde nach Beginn da waren und alle schon viel mehr konnten als wir (mal ganz abgesehen von den Leuten, die jeden Donnerstag kommen). Traditionelle litauische Tänze unterscheiden sich glaube ich auch nicht allzu sehr von alten deutschen Volkstänzen, nur bin ich noch nie auf die Idee gekommen, so etwas in Deutschland zu lernen. Bei diesem Anlass habe ich übrigens auch endlich mal meinen Tutor kennen gelernt, der gerade von einer mehrwöchigen Reise zurückgekommen ist. Im Anschluss waren ein paar von uns noch in einer anderen Bar, waren aber schon gegen eins zurück im Hotel.
Das Seminarprogramm am Freitagvormittag war sehr stark auf Selbstreflexion ausgelegt, aber zum Glück nicht so trocken wie ich befürchtet hatte. Trotzdem fand ich es ziemlich bedrückend, den ganzen Tag im fensterlosen Seminarraum zu verbringen und war froh, als wir zum Abendessen in ein traditionelles litauisches Restaurant gegangen sind. Die Litauer sind sowieso viel mehr auf Tradition aus, als die meisten Deutschen, was vermutlich daran liegt, dass es ihnen so lange verboten wurde, ihre eigene Kultur auszuleben. Später waren die meisten von uns noch mit ein paar der in Vilnius lebenden „älteren“ Freiwilligen in einem Club, in dem (Oh Wunder!) hauptsächlich Rock gespielt wurde. Ich habe mit etwa acht anderen bis um zwei durchgetanzt, weswegen Irene und ich dann auch erst nach vier im Bett und am nächsten Tag etwas müde waren.
Am Samstag, dem St. Kazimir-Tag (litauischer Nationalheiliger), war in Vilnius ein riesiger Markt mit jeder Menge typisch litauischer Produkte: Bernsteinschmuck, Keramik oder Stroh- und Blumenbündel die man hier an Ostern überall ausstellt. Wir durften vormittags auch auf den Markt, mussten allerdings wieder verschiedene Aufgaben erfüllen (unsere Trainer wollten ja nicht, dass uns langweilig wird!): irgendwelche Artikel bei Marktständen verkaufen helfen, eine Tasse Tee oder Kaffee umsonst trinken und die Telefonnummern und Fotos von verschiedenen Litauern sammeln. Wir waren in Dreiergruppen aufgeteilt und sind mehr oder weniger optimistisch losgezogen, weil wir nur zwei Stunden Zeit hatten bis zum Mittagessen.
Gleich die erste Aufgabe hat sich für unsere Gruppe als unmöglich erwiesen: wir haben in einer Mischung aus Englisch und Litauisch (Virginie, die bei mir in der Gruppe war, ist schon seit zwei Monaten hier und kann sich deswegen einigermaßen verständigen) versucht, den Verkäufern zu erklären, dass wir Europäische Freiwillige sind und ihnen gerne helfen würden, etwas zu verkaufen. An den ersten Ständen, an denen wir es versucht haben, wurden wir trotz langwieriger Erklärungsversuche nicht verstanden - ist wohl auch eine ungewöhnliche Bitte.
Als wir endlich zwei Verkäufer gefunden hatten, die nach langen Ausführungen verstanden, was wir wollen, haben die uns eiskalt abblitzen lassen. Danach haben wir uns frustriert darauf geeinigt, uns einfach nur hinter einem Stand fotografieren zu lassen, was dann auch auf Anhieb verstanden und erlaubt wurde. Da auf dem Markt trotz der Kälte weder Kaffee noch Tee verkauft wurden, sind wir danach in einen Coffeeshop, wo wir sofort eine Tasse Kaffee „zum Probieren“ gekriegt haben. Leider mussten wir den Espresso ohne Zucker trinken, was ich echt nicht weiterempfehlen kann!
Die letzte Aufgabe war am Schwersten: Wir sollten Leute in unserem Alter finden und die allermeisten Leute auf dem Markt waren zwischen 60 und 80. Irgendwie haben wir aber doch noch neun verschiedene Litauer (zum Teil auch in Gruppen) gefunden, die uns ihre Telefonnummern gegeben haben und das Ganze wohl auch recht lustig fanden. Dieses Spiel hat mir auf jeden Fall gezeigt, wie weit man in Litauen kommen kann, wenn man wirklich versucht, mit den Leuten zu reden.
Am Samstagabend war die Geburtstagparty von zwei Freiwilligen aus Vilnius: Lorena, die ich schon kannte, und Jenny. Wir sind mit fast allen Seminarteilnehmern hingegangen und am Anfang war es etwas seltsam, weil sich alle anderen schon kannten und wir natürlich mal wieder viel zu spät dran waren. Wir sind aber trotzdem genau rechtzeitig fürs Geburtstagsgeschenk gekommen: Ein paar von den Freiwilligen haben Jenny und Lorena als Gag einen Stripper geschenkt und nachdem der weg war, war die Party in vollem Gange. Die Party war in einem Underground-Club (eigentlich eine zum Club umfunktionierte Wohnung), den Jenny und Lorena für den Abend gemietet hatten, weswegen wir auch unsere eigenen Getränke mitbringen durften. Das hatte allerdings auch seine Nachteile: Ich habe innerhalb der ersten Stunde, die ich da war, etwa eine halbe (kleine) Flasche Vodka getrunken und war danach natürlich ziemlich lustig drauf. Ich bin mir übrigens auch nicht sicher, ob es die Aufgabe des Tutors ist, seine Schützlinge abzufüllen... In Litauen ist Alkohol übrigens sehr abwechslungsreich: Wir hatten uns zu Dritt eine Flasche Vanillevodka gekauft, den ich auf jeden Fall weiterempfehlen kann. Den Rest des Abends habe ich mit sehr viel Tanzen und ein bisschen Reden verbracht und wäre dann um Vier, als der Club eigentlich schließen sollte, auch sehr gerne ins Bett gefallen. Da aber immer noch ein Lied gespielt wurde und wir (etwa sechs Seminarteilnehmer, der Rest ist schon gegen drei gegangen), bis zum Ende bleiben wollten, ist es dann sechs geworden, bis wir Richtung Hotel losgelaufen sind.
Am Sonntag gab es schon eine ganze Stunde früher Frühstück als an den Tagen davor (also bis um neun). Leider sind Irene und ich erst um Punkt neun aufgewacht, weil wir den Wecker überhört hatten. Wie sich rausstellte, waren wir trotzdem noch unter den ersten Seminarteilnehmern, die aufgestanden sind, weil über die Hälfte verschlafen hatte. Das Programm am Sonntagvormittag ist dann auch entsprechend schleppend vorangegangen, weil alle im Halbschlaf herumsaßen und unmotiviert waren. Zum Glück war nach dem Mittagessen dann alles zu Ende.
Eigentlich wollten Irene, Pia, Jenny und ich danach ja nur noch ganz kurz auf den St. Kazimir-Markt, weil wir alle totmüde waren. Irgendwie haben Irene und ich uns aber doch entschieden, dass wir uns den ganzen Markt anschauen wollen. Hätte nie gedacht, dass der so riesig sein könnte! Wir haben noch andere Seminarteilnehmer und Freiwillige getroffen, und eine davon meinte, sie merke dieses Wochenende zum ersten Mal, dass Vilnius eine Großstadt ist. Es waren aber wirklich zwanzigmal so viele Leute auf den Straßen wie sonst.
Nach einem kurzen Mittagsschlaf in Irenes Wohnung war ich noch mit Pia Abendessen, einer Deutschen, die ich schon von meinem Vorbereitungsseminar her kenne, und die seit letzter Woche in Litauen ist. Danach haben Irene und ich uns sogar noch aufgerafft, zu einem Konzert zu gehen: eine polnische Band (irgendwas mit Paprika), die eine richtig gute Mischung aus Ska, Reggae und Punk spielt. Von den vielen Freiwilligen, die außer uns noch kommen wollten, war allerdings nur Shane (aus England) da. Alle anderen waren wohl zu müde...