Schreckliche Komplizen?
Als wäre die Beziehung zwischen Frankreich und Deutschland noch nicht schwierig genug, gibt es noch ein weiteres Kapitel nachbarstaatlicher Geschichte, welches aufgearbeitet werden muss: Die Kollaboration zwischen der Vichy-Regierung und Hitler-Deutschland im zweiten Weltkrieg.
Nach Jahrhunderten währender „Erbfeinschaft“ und den Schrecken des ersten Weltkrieges stehen sich Deutsche und Franzosen wieder einmal gegenüber: Die Nationalsozialisten sind im Begriff, die Westgrenzen Deutschlands auszuweiten und so rollen im Frühjahr 1940 Panzer auf Paris zu. Die Situation ist ausweglos, nach sind keine aliierten Hilfskräfte in Sicht und die deutsche Wehrmacht ist noch unbesiegt. Dieses Szenario weckt die traumatischen Erinnerungen aus dem Ersten Weltkrieg, in welchem 1,3 Millionen Franzosen fielen. Und um Menschenleben zu retten, beschloss Frankreich damals, einen Waffenstillstand den Deutschen anzubieten - Zum Preis der eigenen Souveränität.
Denn Frankreich wurde mit dem Waffenstillstand von Compiege geteilt: 60% des Landes, inklusive der Landeshauptstadt Paris, wurden von nun an von den Deutschen regiert, während sich im Süden ein „ Etat Francais“ formierte, unter dem fast greisem Phillippe Petain. Diese Regierung vertieft gesellschaftliche Risse, die schon vorher das Land durchzogen. Linke und Rechte ringen um die Macht in Frankreich, und das Vichy-Regime bietet viel Spielraum dafür. Pierre Laval, ein Realpolitiker, welcher wenige Jahre zuvor noch eine Allianz mit Italien gegen Deutschland vereinbaren wollte, wurde zu einem engen Kollaborateur der Deutschen.
Er war es auch, welcher die Milice Francais gründete, eine faschistische, paramilitärische Organisation, die den deutschen Besatzern in die Hände spielte: Sie verhafteten Juden/Jüdinnen und Kämpfer/Kämpferinnen der Resistance, töteten sie direkt oder lieferten sie Deutschland aus. Durch brutalste Kriegsverbrechen und weitläufige Unterdrückung zeichnete sich dieses französische Regime aus.
Mit der Befreiung Frankreich 1944 endet auch die Vichy-Regierung, deren Akteure sich nun vor ihrer eigenen Bevölkerung rechtfertigen mussten. Petain und Laval wurden dabei natürlich auch angeklagt, Laval sogar zum Tode verurteilt. Mit dem Wiederaufbau Frankreichs rückte dieses Kapitel der Geschichte in die Vergangenheit, niemand wollte diese fragwürdige Mitverantwortung, eventuell sogar Mitschuld, thematisieren. Während die Nazis verurteilt und die Resistance-Kämpfer verehrt wurden, wurden viele Kollaborateure einfach verschwiegen. Erst in den 1990er Jahren sprach Präsident Jacques Chirac von der „schwarzen Stunde Frankreichs“, welche die französische Geschichte für immer „beschmutzen“ wird. Er klagt damit die Kollaboration an, welche zwar erzwungen war, dann doch aber umso freiwilliger ausgeführt wurde.
Warum ist es immer noch wichtig, über den zweiten Weltkrieg in Europa zu reden? Weil vieles, wie dieses Kapitel der französischen Geschichte zeigt, noch lange nicht aufgearbeitet wurde. Und auf diesen nationalen Narrativen bauen unsere nationalen Identitäten auf, deswegen gibt es nichts fataleres in einer Gesellschaft, als über Geschichte nicht zu reden. Deutschland setzt sich sehr mit seiner Vergangenheit auseinander und wird deswegen oft kritisiert, jeder Nationalstolz und nationales Selbstbewusstsein würde dadurch ausgelöscht. Das liegt allerdings gar nicht im Fokus dieser intensiven Auseinandersetzung mit der Geschichte: Es geht darum, uns als Individuum in unserem Kontext zu begreifen und eine Identität über inhaltslose Nationalismen hinaus zu bilden.
Mehr Infos: http://www.bpb.de/internationales/europa/frankreich/152983/kollaboration-und-widerstand
Interessanter Beitrag über die letzen Anhänger des Vichy-Regimes: https://www.tagesspiegel.de/weltspiegel/sonntag/franzoesische-nazi-kollaborateure-als-die-vichy-regierung-in-schwaben-residierte/11159546.html
Mehr zu Charles de Gaulle, dem Kopf des Widerstandes aus dem Exil: http://www.bpb.de/internationales/europa/frankreich/152651/das-erbe-de-gaulles