Schon einmal etwas von positivem Rassismus gehört?
Bei dem Wort „Rassismus“ denken viele Europäer meistens zuerst an die Diskriminierung gegen People of Color. Wie fühlt es sich an als Europäer/in in China diskriminiert zu werden? Ein Versuch, den Blick auf den Begriff „Rassismus“ zu öffnen.
Was ist „positiver Rassismus“?
Unter „positivem Rassismus“ versteht man die Bevorzugung einer oder mehrerer Personen, meist im individuellen oder institutionellen Kontext. Die Betroffenen werden dabei aufgrund von Aussehen, Herkunft, Geschlecht, Sexualität etc. bewertet und begünstigt betrachtet oder behandelt. Aufgrund einer bestimmten Eigenschaft werden sie einer Personengruppe zugeordnet und mit herrschenden Vorurteilen assoziiert.
Beim Gebrauch des Begriffs „positiver Rassismus“ ist zur Vorsicht geboten: „Positiv“ sollte dabei nicht im Sinne von „angebracht“ verstanden werden, sondern bezieht sich ausschließlich auf die Bevorzugung bestimmter Personengruppen. Diese Begrifflichkeit führt oftmals zu Verwirrungen.
An welchen Orten begegnen wir positivem Rassismus?
Positivem Rassismus begegnet man überall, wo man mit rassistischen Denkmustern konfrontiert ist. Also fast weltweit. Zu den Ländern, in denen Deutsche mit heller Haut und europäischem Aussehen auf positiven Rassismus treffen, zählt zum Beispiel China. Im Folgenden möchte ich darauf genauer eingehen, da ich in diesem Bereich von Erfahrungen berichten kann, die an mich weitergeleitet wurden und die ich ggf. auch selbst gemacht habe.
Wie äußert sich positiver Rassismus in China?
Als Ausländer fällt man in chinesischen Kleinstädten meist sehr auf. Das hängt oft damit zusammen, dass viele Einheimischen noch nie oder selten Touristen oder Immigranten begegnet sind. In Großstädten wie Shenzhen, Peking oder Schanghai wird man weniger großen staunenden Augen begegnen. Als Tourist wird man dennoch überall in China das Phänomen erleben, dass Einheimische Fotos von einem schießen – mit oder ohne Nachfrage. Dies kann teilweise als sehr unhöflich empfunden werden. Schließlich wird man dabei auf sein Äußeres reduziert. An einem Gespräch sind die wenigsten interessiert, wobei es die mangelnden Sprachkenntnisse ggf. auch sehr erschweren würden. Ob das Fotografieren rassistischen Denkmustern zugrunde liegt, lässt sich jedoch nicht eindeutig sagen. Es ist jedoch ein sehr offensichtliches Verhalten, das deutsche Touristen das Gefühl vermittelt, „anders“ zu sein.
Andere Verhaltensweisen, von denen viele deutsche Touristen und Immigranten berichten können, spielen sich in Bars, Clubs und Restaurants ab. Vielfach berichten Betroffene davon, dass ihr Aussehen sie „zu einer Art Attraktion macht und nicht selten zu kostenlosen Getränken in diversen Bars führt“. Ich sammelte außerdem in einem All-You-Can-Eat-Restaurant die Erfahrung, dass ich als einziger Gast keinen Stempel benötigte, um das Lokal verlassen und erneut betreten zu dürfen.
Auch auf dem chinesischen Arbeitsmarkt sind hellhäutige Europäer ständig mit positivem Rassismus konfrontiert. Es lassen sich online unzählige Stellenanzeigen finden, bei denen „white“ (weiß) als eine der Voraussetzungen zur Einstellung aufgeführt wird. Ein serbischer Bekannte berichtete mir von einem Freund, der in der Großstadt Shenzhen einem Job nachgehe, bei dem es trotz nicht-vorhandener Chinesischkenntnisse seine Aufgabe sei, bei verschiedensten Agenturen zu Meetings zu erscheinen. Seine Anwesenheit, sein „europäisches Gesicht“, und der Eindruck, der den Kooperationspartnern damit vermittlelt wird, ist für die Auftraggeber Anlass für eine sehr gute Bezahlung.
Ein weiterer Bereich, in dem Ausländer in China häufig generalisiert werden, ist die englische Sprache. Ausländern wird häufig die Fähigkeit zugeschrieben und Erwartung entgegengebracht, Englisch zu sprechen. So wird einem zum Beispiel „Hello!“ oder „Good Morning“ zugerufen, ohne tatsächlich ein Gespräch anfangen zu wollen.
Woher kommen diese Vorurteile?
Aussagen wie „Alle deutschen Frauen sind hübsch“ entstehen häufig durch Eindrücke, die Filme und Serien transportieren. Schönheitsideale spielen dabei natürlich eine große Rolle. Blässe und helles Haar gelten dabei grundsätzlich als sehr schön. Das hängt mit dem altertümlichen Gedanken zusammen, wohlständige Personen müssten nicht auf dem Felde arbeiten und können sich so ihre helle Haut erhalten. Blässe wird daher mit Wohlstand assoziiert. Das ist nur einer der Gründe, wieso Hellhäutige in China allerlei Aufmerksamkeit auf sich ziehen.
Touristen wird grundsätzlich das Vorurteil entgegengebracht, reich und spendabel zu sein. Allein auf Grund der Tatsache, dass sie sich eine weite Reise nach China leisten können.
In der Arbeitswelt kommt die positive Diskriminerung daher, dass ein „europäisches Gesicht“ in den Augen vieler Chinesen Internationalität und daher Professionalität symbolisieret. Besonders im Marketing für Kindergärten und Schulen wird dies häufig genutzt.
Grundsätzlich lässt sich sagen, dass Vorurteile meistens mit falschen oder unausreichenden Informationen entstehen. Einseitige Berichterstattung kann Vorurteile bestärken, doch vor allem Erziehung und Bildung haben einen großen Einfluss auf rassistische Denkmuster.
Welche Folgen lassen sich aufführen?
Positive Diskriminerung erschwert die Intergration maßgeblich. Obwohl viele Betroffene sich willkommen fühlen, bleibt auch ein Gefühl des Nicht-Dazugehörens. Außerdem trägt positive Diskriminierung dazu bei, dass sich viele Immigranten dazu entscheiden in größere, internationale Städte zu ziehen. Die Kluft zwischen Städtern und Personen, die auf dem Land leben, wird somit noch verstärkt. Die persönlichen Folgen für die jeweilige Psyche der Betroffenen lassen sich allgemein nur schwer abschätzen, da die Vorfälle unterschiedlich wahrgenommen und verarbeitet werden.
Eindeutig lässt sich jedoch sagen, dass durch positive Diskriminerung in der Arbeitswelt die Qualität und Bildung der Arbeitnehmer leidet. Hellhäutige Personen werden leichter eingestellt, ohne Qualifikationen vorweißen zu müssen. Zum Beispiel bei der Ausbildung der chinesischen Kinder kommt das natürlich zum Tragen.
Wie fühlt man sich als „Bevorzugte/r“?
Jeder Mensch reagiert anders auf solche Situationen. Einige Betroffene genießen und erfreuen sich an der Aufmerksamkeit und Bevorzugung. Sie fühlen sich sehr willkommen und freuen sich über das antreffende Interesse. Andere Betroffene fühlen sich allerdings auch instrumentalisiert und nicht als Persönlichkeit wahrgenommen. Sie spüren, dass sie immer wieder in eine Schublade gesteckt werden. Dieses Empfinden hängt sicherlich auch mit der Aufenthaltsdauer und den Sprachkenntnissen des/der Betroffene/in zusammen. Das Empfinden lehnt sich oft an persönliche Umstände, Vorerfahrungen und Charakterzüge an.
Wie sollte man auf positiven Rassismus reagieren?
Sich zu beschweren, fällt vielen schwer, da keine Benachteiligung vorliegt. Die Folgen und Schäden sind deutlich geringer als bei negativem Rassismus. Trotzdessen macht es Sinn, die Person auf ihr Verhalten aufmerksam zu machen. Zum Beispiel könnte man sagen: „Dein Verhalten verletzt mich. Ich fühle mich von dir nicht als Individuum wahrgenommen“. Dafür muss man mit seinem Gegenüber in Diskussion treten, was Mut, Zeit und Kraft erfordern kann. Ob es sich in der jeweiligen Situation also für den oder die Betroffene „lohnt“ aktiv zu reagieren, lässt sich nicht pauschalisieren.
Warum ist der Diskurs zu positivem Rassismus wichtig?
Die Debatten zu Diskriminierung sind am Kochen. Die Vielfalt des Begriffs „Rassismus“ - negativ, positiv, individuell, instrumentell etc. - wird jedoch selten betrachtet. Über positiven Rassismus muss unter Anderem deshalb offener gesprochen werden, weil positiver und negativer Rassismus in Wechselwirkung stehen. Dort, wo ich eine gewisse Personengruppe bevorzuge, setze ich eine andere Personengruppe automatisch herab. Wenn zum Beispiel Studenten mit bestimmter Herkunft in der Univerwaltung bevorzugt werden, werden somit andere Studenten benachteiligt. Von Fairness also keine Rede.
Um die Mechanismus, die bei rassistischem Denken greifen, zu verstehen, muss man über auch über die versteckten Formen des Rassismus sprechen. Das „Rassendenken“ und Kategorisieren von Menschen muss offen diskutiert und beleuchtet werden. Nur so wird das Umdenken und die Gleichstellung der Menschen vorangetrieben.
http://www.bpb.de/
https://de.wikipedia.org/wiki/Diskriminierung#Affirmative_Action/positive_Diskriminierung
http://www.umdiewelt.de/Asien/Ostasien/China/Reisebericht-7063/Kapitel-1.html
https://www.demokratiewebstatt.at/fileadmin/user_upload/Parlament/DWS/Rassismus_und_Vorurteile/PPP_Rassismus_und_Vorurteile.pdf
https://www.youthreporter.eu/de/beitrag/hallo-ich-bin-ein-alien.13703/#.WtwMwExuI7M
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