Schlaf, was ist das?
Zwischenbilanz NaNoWriMo
Mein Leben könnte so leicht sein. Würde ich mich nicht selbst zum Schreiben zwingen, hätte ich vermutlich mehr Zeit als ich füllen könnte. Ich sollte diesen Text eigentlich gar nicht schreiben.
Es grenzt an Wahnsinn, ausgerechnet in diesem Monat, dem NaNoWriMo, gleichzeitig an einem anderen Text zu arbeiten. Jede freie Minute möchte ich eigentlich nutzen. Betonung auf „eigentlich”. Es kommt dazwischen: Essen, Kochen, Duschen und die Arbeit, die mich manchmal bis 17:00 Uhr vom Schreiben abhält. Nicht zwingend in dieser Reihenfolge. Den Schlaf hätte ich fast vergessen. Er kommt zu kurz. Leider schreibe ich müde die besten Texte. Entweder morgens nach dem Aufwachen vor dem Aufstehen oder mitten in der Nacht, wenn man beim Blick auf die Uhr denkt: „Oh, schon eins.” Die tagelange Übermüdung beginnt allmählich, die Produktivität zu mindern. Nur das Koffein kann meinem Körper noch vortäuschen, dass er sich jetzt nicht hinlegen und schlafen muss. Eine Tasse Kaffee, eine Tasse Schwarztee, um auch alle Rezeptoren anzusprechen und weiter geht's.
Immer weiter muss man gehen, um das tägliche Ziel zu schaffen. Es ist nur eine Zahl. Eine grobe Richtlinie. Das wirkliche Ziel ist die Niederschrift all der Ideen, die man hatte.
Am nächsten Tag, wenn man apathisch im Unterricht sitzt, fragt man sich, ob es wirklich sein musste, bis in die Nacht zu schreiben. In den Nächten, in denen ich bis ein Uhr morgens schrieb, war bereits klar, dass darauf kein weiterer solcher Tag folgen würde. Einen müden Tag konnte man mal haben. Auch in der Schule. Aber als Dauerzustand? Das brachte dem Text nichts.
Der Anfang war leichter als gedacht. Ich hatte genug Handlung, um nacheinander alles abhaken zu können, ohne beim Schreiben viel nachdenken zu müssen. Die Sprache war nur ein Medium, die Gedanken festzuhalten. Sie mussten zu Papier gebracht werden. Analoges Papier hätte jedoch keinen Wert für den Wettbewerb gehabt, denn nur digitale Wörter können von den Verantwortlichen des Wettbewerbs gezählt und gewertet werden. Ich habe also die Wahl zwischen meinem Klapprechner, meinem Mobiltelefon und den zahlreichen Rechnern in der Schule.
Die Anfangseuphorie hielt mehrere Tage, dann holte einen der Alltag ein. Der November ist überladen mit Veranstaltungen. Es gibt den Schlosslauf, eine Feier bei Déčko, mein fünftägiges Ankunftsseminar in Südtschechien, sowie eine private Urlaubsreise in die Slowakei. Es scheint, als möchte mir jemand Sand ins Getriebe streuen. Es ist der Monat mit den meisten Pflichtveranstaltungen, den wir bisher hatten. Es wird nur Korrelation sein, doch ich mag den Gedanken, wenn er auch nur reine Spekulation bleibt, dass es einem extra erschwert wird, den Wettbewerb zu gewinnen.
Um konkret zu werden, nun eine kleine Zusammenfassung. Die erste Woche war erfolgreich. Ich lag weit über den Vorgaben und war kaum zu bremsen in meiner Mission, möglichst viele Buchstaben aneinanderzureihen. Die zweite Woche war dann schon schlechter. Ich blieb über dem Durchschnitt, meine Tagesleistung sank jedoch. Ich benutzte das Wochenende, um aufzuholen und schrieb unglaubliche 5008 Wörter. Allerdings saß ich dafür auch den ganzen Tag am Schreibtisch und reduzierte alles andere (soziale Kommunikation, Essen, Freizeit) auf ein Minimum. Nachdem mein Kopf wieder aus der Leine gezogen war, ging es moderat weiter. Dann kam das Ankunftsseminar. Und mit ihm ging der Stern der Produktivität unter. Um sieben Uhr morgens begann der Weg, um 16:00 Uhr standen wir an der Rezeption, ab 21:00 Uhr hatten wir frei. Ich zog mich ins Zimmer zurück. Schrieb weiter, merkte jedoch schnell, dass ich über 1300 Wörter nicht herauskam. Es war ein Desaster, doch sagte ich es keinem. Ich wollte es nicht an die große Glocke hängen, so dachten die anderen stets, ich würde schon schlafen. Dass ich beinahe solange schrieb wie sie feierten, erwähnte ich nicht. Fünf Tage ging dieses Seminar. Es war ein großer Interessenkonflikt. Es ist zwar nur ein Wettbewerb, jedoch kann man diesen entweder gewinnen oder verlieren. Dazwischen gibt es nichts. An Verlieren war nicht zu denken. Sie können sich nicht vorstellen, wie ehrgeizig man wird, wenn man seinen Roman wachsen sieht. Nach der Hälfte umzukehren stand außer Frage. Man müsste mir schon die Fingerknochen brechen, um mich jetzt noch zu bremsen. Sie müssen sich nun vorstellen, mit dieser Geisteshaltung ein Ganztagesprogramm von 9:30 Uhr bis 19:00 Uhr überstehen zu müssen. Es lässt sich kaum beschreiben, dieses Gefühl, dass sich plötzlich alles nur noch um den Roman dreht.
Ein Monat ist lang und man unterschätzt, wie viel Ausdauer das Schreiben erfordert. Mit einem guten Tag oder gar einer guten Woche ist es nicht getan. Es geht darum, jeden einzelnen Tag, egal wie müde man ist, egal wie erschöpft man sich nach bis zu 8,5 Stunden in der Schule auf das Bett fallen lassen möchte. Die Zahl steht. 1667 Wörter pro Tag. War man vorher fleißig, sinkt diese Zahl, doch ist sie nicht zu unterschätzen. Ein paar Tage lang lässt sich Handlung vorausplanen, doch irgendwann ist sie verbraucht und man muss während dem Schreiben festlegen, wo es hingehen soll. Denn inhaltsloses Geschwafel kann man sein lassen. Das löscht man beim späteren Durchlesen sowieso.
Nach dem Ankunftsseminar, das aus Romansicht wirklich eine Katastrophe war, ging es wieder zurück an die Schule. Ein Tag Unterricht, dann Urlaub. Neun Stunden gen Osten. Nach Stará Ľubovňa in der Slowakei. Eine Freiwillige besuchen. Es war von Anfang an eine schlechte Idee, einzuwilligen, hinsichtlich der voraussichtlich miserablen Schreibbedingungen. Vielleicht fällt Ihnen auf, dass bei der Freiheitsplanung zurzeit die Möglichkeit zum Schreiben eine enorm große, wenn nicht sogar die Hauptrolle spielt. Beim Schreiben hilft Ihnen keiner. Davon abgehalten wird man jedoch schnell. Im Vater unser heißt es: „ Und führe uns nicht in Versuchung.”, doch die Versuchung lauert überall. Wenn man Arbeit hat, wird plötzlich alles andere interessant. Dann kocht man sechs Liter Kürbissuppe in vier Stunden, fängt wieder an, Bücher zu lesen, macht alles, bloß eben nicht das, was man im November machen sollte: einen Roman schreiben.