Rot auf weiß
In Irland ist Regen weiblich und interessant, sagt zoe und freut sich, ihre Gummistiefel anziehen zu können. Ihre Arbeitstelle ließ sich etwas komisch an, aber insgesamt sagt sie: „Es ist schön, hier zu sein.“
Was machte ich also die letzten paar Tage? Viel zu tun hatte ich nicht gerade. Erst mal reinkommen und die Insel ein bisschen anschauen. Eintauchen. Ab jetzt vielleicht. Bleibt man nicht, wie man ist? Mit all dem, was man bisher so im Kopf angesammelt hat, mit allem, was man schon gesehen hat?
Viel gelaufen bin ich. Wie schwer es mir fällt, eher an den niedrigeren Punkten zu bleiben. Da war es doch der See, den ich mir anschauen sollte. Ein See auf einer so kleinen Insel, die ja gar nicht klein ist, hätte ich nicht erwartet. Hübsch. Silbergraue Oberfläche, aber momentan glitzert eh alles noch in der Sonne und so scheint jegliche Wasseroberfläche und diese hat hier einen beachtlichen Anteil, wie blaugraue Plastikplane aus der Augsburger Puppenkiste.
Nein, der See war zu flach gelegen. Zu wenig Aussicht. Zu sehr im Schutz der Felsen gelegen. Hoch, immer höher, um weiter zu sehen. Nicht weiter erstaunlich, dass es der Zufall will, dass der Blick stets nach Südosten geht. Also rennt man den Berg hinauf und schreit in den Himmel: sag mir, dass wir nicht unwichtig sind. Denn so kommt man sich doch vor, wenn man ganz oben auf der Klippe an einen Moos bewachsenen Stein lehnend sitzt und knapp zwei Meter weiter die Felsen steil ins Meer stürzen. Dahinter eine graue Endlosigkeit...
Einfach um zu sehen, wie es sich anfühlt, ein paar vorsichtige Schritte weiter nach vorne. Umdrehen und den Weg weiter zum alten Leuchtturm rennen. Zwischen lila und gelben Piekspflanzen deren Namen ich immer vergesse... Aber die pieksen wie Sau und meine Beine weisen ein interessantes Muster aus roten Punkten und Kratzern auf, vielleicht sollte man diese mal verbinden und daraus entsteht dann die Karte zum Schatz.
Come on. Diese Momente, die man nicht stehlen kann und so gerne teilen würde. Nicht nur mit Kettcar. Wo ist man, wenn das wahr ist? Vieles zu schön, um wahr zu sein. Zu schön, um es nicht zu teilen. Weiter die Hügel hoch rennen. Ohne Probleme mit der Zeit immer schneller und irgendwann sind dann auch keine Brombeeren mehr da. Aber das dauert zum Glück noch. Heute gab es Brombeerkuchen. Mmh… also, wer ein Stück mag, es ist noch welcher da.
Den Leuchtturm Fastnet hab ich jetzt auch mal aus der Nähe gesehen. Das waren vielleicht Wellenberge und -täler. Unglaublich. Ich bin froh, dass wir nicht untergegangen sind. Es ist ja okay, wenn’s nach vorne und hinten schaukelt aber wenn’s dann auch noch nach rechts und links kippt... das hat mir irgendwann gereicht. Aber auf dem Rücken liegend in die Wolken schauen und nur beim Kreischen der hysterischen Touristen mal die Augen öffnend ließ sich das Schaukeln echt gut genießen und jetzt brauche ich auch gar keinen Jahrmarkt mehr. Die Orion lässt grüßen. Ganz komisch, wenn doch so viel ähnlich scheint.
Das war dann wieder so ein Moment. Wo. Wann. Wie. Völlig neben mir. Das Wasser wie flüssiges Quecksilber, zumindest was die Wasseroberfläche betrifft.
Wenn man Glück hatte, sah man den Silberstreifen am Horizont, wenn sich Himmel und Wasser gerade einig werden, dass sie doch in ihrem Farbton eins werden sollten, aber sich noch nicht ganz über die genaue Farbdefinition bewusst geworden sind. Dass da irgendjemand hintern den Kulissen nicht so ganz aufmerksam war, sah man dann, als wir wieder auf den Hafen zu fuhren. Blau-Weiß-Rot. Lustig. Ganz großes Kino. Grüße nach Harlingen an dieser Stelle. Ein riesiger Unfall das Ganze. Schlafwandelnd den Weg zurück getorkelt. War das Deutsch? Ja, war es, denn erstaunlicherweise trifft man einige deutsche Touristen. Eine Enklave am Abend im Pub.
Was passiert in der Welt? Ich habe beschlossen, eine Zeitung zu abonnieren. Hoffentlich geht so was auf die Insel zu schicken. Seine Zeit selbst einzuteilen ist schon was Tolles, stellt einen aber auch vor eine ganze Reihe Schwierigkeiten, weil man eben auch nach dem Aufstehen noch eine Stunde auf der Bettkante sitzen und dem gerade entwichenen Traum nachhängen kann und sich dann eben mal zwei Stunden auf die Mauer setzt und Zeitung liest. Ich kann mich nicht erinnern, jemals so viel Zeit gehabt zu haben. Ob das gut ist, ist eine andere Frage.
Immer wieder nach Eiren na Gerine laufen, um die Minuten zwischen dem Schalterumlegen für das warme Wasser und letztendlich dem Genießen desselbigen, auf ein paar ausgedehnte Momente zu erweitern. Gelbes Leuchten, nur um eine Stimme zu hören. Wenn man ein frisch gezapftes Guinness vor sich stehen hat, muss man erst mal ein bisschen warten, bis der Schaum sich gelegt hat. Es legt sich wenig in meiner Suppe aus Ankommen und noch gar nicht da sein. Wie gesagt, halbwach und manchmal brauche ich bis zum Abend, um nach dem Aufwachen hier anzukommen. Und dann kann ich schon wieder ins Bett gehen.
Erstaunlich, seinen Handyklingelton wieder zu hören, wenn es nach dem Duschen ganz dunkel ist und ich mal wieder Angel gesagt habe „I’ll be right back“ und dann zwei Stunden später aus der Nacht wieder auftauche und die Sterne viel klarer und näher scheinen, als noch vor zwei Wochen, wenn die große Kuh die Ausmaße einer ganzen Kuhherde annimmt und der große Wagen auch zwei statt einer Spur braucht. By the way, der Mond scheint irgendwie verschwunden zu sein. Na ja, wer ihn findet, bringt ihn bitte vorbei, denn es ist wirklich dunkel ohne Straßenlaternen. Um mal den Satz zu Ende zu führen: Dann kommt man sich wieder ganz klein vor. Wie auf den Klippen. Aber das ist nicht das schlechteste Gefühl, wenn alle Verworrenheiten und Konstellationen im Gegensatz zur Weite unscheinbar und irrelevant werden. Stürzt man sich eben in den Himmel und aus den idealistischen Welten, wenn es keinen Punkt gab, sondern drei, oder weitere Fragezeichen..
Ablenkung gibt es auch bei Cotters’, einem von den drei Pubs. Da wo Ciaran kellnert. Betrunkene Iren sind ganz schön nervig. Und, nein, ich komme nicht aus Finnland, vielleicht hätte ich mich mit einem anderen Namen vorstellen sollen. Ich wusste gar nichts von dem unerbittlichen Kampf zwischen Guinness und Murphys. Zwischen dem County Dublin und dem County Cork. Which one do you want? Oh, I’ll try Murphys this time. I’ve never tasted it before. Really, well… the first one is always for free. Good choice. Eigentlich ungünstig, einen parteiischen Kellner zu haben.
Dumm auch, wenn man nach der Lieblingsmusik gefragt wird und einem nur Placebo einfällt, weil man sich am Mittag davor zufälligerweise mit der DVD beschäftigt hat. Zero points, Sonia, I’m sorry. Gut, dann eben nicht. Angel steht total auf Coldplay und wer hätt’s gedacht, sein Lieblingslied ist „In my place“, top. Es scheint gleich anfangen wollen, zu regen, aber wer jemals in Irland gewesen ist, kann bestätigen, dass der Regen hier unheimlich toll ist. Und vielseitig. Zuerst sammeln sich die Regentropfen über dem ‚Schlechtwetterberg’ am Festland und die Einheimischen sagen, dass, wenn man die Spitze des Berges, dessen Namen ich mal wieder vergessen habe, nicht mehr sehen kann, dies ein sicheres Zeichen für schlechtes Wetter ist. Es besteht allerdings immer die Chance, dass die Wolken schnell über die Insel hinweg ziehen. Einige sammeln sich dann aber trotzdem über dem Hügel hinter dem Haus und gleiten langsam den Hang hinab, um alles in einen Schleier von Wassertröpfchen zu tauchen. Dann befindet man sich praktisch mitten in der Wolke und so schnell wie sie gekommen ist, verschwindet sie auch wieder.
Heute war ich das erste Mal den ganzen Morgen mit in der Afterschool die eigentlich eher Kindergarten heißen sollte. Was soll ich sagen? Ein bisschen schockiert war ich ja schon. Vielleicht bin ich aber auch zu verwöhnt von Johannes, um irgendwas unabhängig von dem, wie ich es kenne, beurteilen zu können. Aber pädagogisches Konzept: Nicht so.
Nun, es war erst der erste Tag und es ist natürlich Blödsinn, ein so schlechtes Bild von den ersten Eindrücken weiterzugeben. Ich hätte nur auf einige Situationen total anders reagiert und ich glaube, es ist auch nicht das Schlechteste, wenn Kinder sich an einen strukturierten Ablauf halten können. Das hat mich ganz schön geschafft und scheinbar hat sich mein Kopf auch gegen mich verschworen, also blieb ich den Nachmittag zu Hause und habe Wäsche aufgehängt, denn wir besitzen nun eine Waschmaschine mit dem Namen „Emma, the crazy washing machine“, denn aus irgendwelchen Gründen ist der Boden unter ihr nicht geebnet und so ist es immer wieder eine Überraschung, in welcher Position man sie nach dem Schleudergang wieder findet. So wird es auch nicht langweilig, denn Angel auf der Waschmaschine ist ein durchaus amüsantes Bild.
Es ist schon ein bisschen her, seit ich das geschrieben habe, aber der PC hat’s irgendwie nicht geschafft, letzte Woche hoch zu laden.
Eine weitere Woche.
Wir sind dabei, die Räume des Kindergartens zu streichen. Macht ziemlich viel Spaß. Viel Farbe. Viel Musik. Ach, und wenn Ihr mögt, könnt Ihr auch noch was an die Wände malen, damit es ein bisschen spannender aussieht. Kein Problem, und so ist in den letzten beiden Tagen ein Sonia-Garten um drei Fenster gewachsen. Weinrot auf weiß. Anders ging es ja auch nicht. Man soll sich ja treu bleiben. Und ein türkisgrüner auch dazu. Sieht jetzt also ein bisschen belebter aus. Wenn man den ganzen Tag am Streichen ist, vergeht die Zeit wie im Flug. Irgendwie schafft man es nach getaner Arbeit dann nach Hause. Telefonieren. Duschen. Telefonieren. Ein Bild, das mit den passenden Vokabeln nach dem Abendessen beschriftet wird. Der Regen war eins der ersten Worte, wie schön, dass er weiblich ist.
Da stürzen sich die Helden wagemutig vom Kühlschrank aber der Schutz-Angel wirft sich zwischen sie und den jähen Abgrund des kalten Ungetüms. Auf dem Herd brutzelt der Milchreis und später müssen wir noch ein bisschen in Eiri na Greine aufräumen. Es gibt viel zu tun, das ist auch verdammt gut so, ich bin froh, dass die letzte Woche vorbei ist. Das war ein bisschen zu viel freie Zeit auf einmal. Zu wenig geredet. Zu viel versunken. Brid ist auch endlich wieder aus dem Urlaub zurück – schön.
Am Wochenende ist hier das international Story-Telling-Festival. Ganz viel Welt auf Cape Clear und wir bekommen Besuch von Nikolas aus Russland, glaube ich. Am Sonntag geht es dann auch nach Cork für die Nacht und morgens weiter nach Dublin. Wow. Morgen sind es schon drei Wochen und es ging rum wie nix. Natürlich gab es die Stunden am frühen Abend, die einfach nicht enden wollten aber im Großen und Ganzen: es ist schön, hier zu sein.
Heute regnet es endlich mal wieder, viele beklagen sich über den trockenen Sommer. Endlich ein Grund, meine Gummistiefel anzuziehen, hehe. Die sind die tollsten und mit der roten Regenjacke bewaffnet ab zum south harbour. Nichts ahnend ging ich heute zum Hafen, um die Einkaufspakete abzuholen, das ist ja eh immer schon wie Weihnachten, ein bisschen zumindest. Aber heute war doppelt Weihnachten, denn ich hatte POST. Ganz tolle Post. Gelb und Viereckig und ein Brief *strahl*. Schnell nach Hause und eigentlich linste ich schon im Auto – denn man bot uns netterweise einen Lift an – vorsichtig in das Paket und musste relativ laut lachen, als ich den Inhalt sah. Erstaunte Gesichter. Drinnen erst mal alle nassen Sachen irgendwie loswerden und schnell in einen der zwei riesigen Sessel, in die ich übrigens fast so gut reinpasse, wie in meinen zu Hause. Viel Zeitung und eine Packung Kekse. Die fast besten. Aber kein Wort. Dafür eine Kerze und Tee und, Mann, ...unter Deck gestürzt. Vollekanne. Black fades into grey. Ich brauche hier ja auch nicht besonders viel. Vielleicht ein Fernglas, mit dem man über Berge und Meere blicken kann.
Natürlich sind es drei Wörter. CAPE CLEAR ISLAND. Momentan im Regen-Nebel-Mist-Irgendwas verschwommen... Jetzt kann ich auch endlich die Steckdosen von den Streichhölzern befreien. Bisher war in jedem Packet Tee... keine Überraschungen bitte mehr. Gestern bestand Angel darauf, die deutsche Flagge neben seiner aus El Salvador über unserem Kamin zu hissen, ob ich das gut finde, weiß ich noch nicht. Irgendwann mal vielleicht. Morgen Abend sind wir zu Film und Eiscreme bei den Nachbarn eingeladen.
Das Festival muss toll sein. Menschen aus aller Welt, die Geschichten erzählen und dazwischen Musik. Vielleicht sollte ich auch mal eine Geschichte erzählen, nicht als Ich-Erzähler sondern als Omniscient Narrator. Um ehrlich zu sein, habe ich damit ja auch schon angefangen. So viele Anfänge. Gab’s nie. Das Ende hat irgendwas mit roten Herbstblättern und weißen Pferden auf irgendwelchen fernen Koppeln zu tun.
Ich vergesse ständig meine Medikamente zu nehmen, nicht so geschickt. Angel bastelt gerade seinen Schuh zusammen. Irgendwie erinnert mich das an ähnliche Vorkommnisse. Aber er ist nicht gelb, also der Schuh. Die Dusche geht immer noch nicht *grummel*. Das ist ja nicht ganz untypisch vielleicht. Wenn ich dann mal zurück bin .Irgendwo hab ich gelesen, dass Irland nicht schlecht für Biochemie sein soll. Keine Angst, irgendwann siehst du sie wieder.
Was für ein Sternenhimmel. Mit Stenschnuppen. Der 30ste 08. 2005. War nur so’n Gedanke. Mein Zimmer ist unordentlich wie immer, aber inzwischen mag ich es echt gern. Alles schreit nach Sonia, würde Ricardo wahrscheinlich sagen. Die ganzen Sterne lösen sich so langsam auf. Aber ich höre an dieser Stelle mal besser auf, mir Sorgen zu machen. Nachdem ich jetzt seit zwei Stunden unter Deck war, wird es Heldenzeit. Die ist dummerweise nur auf dem mp3-Player. Was heißt denn CD-Rohling auf Englisch? Hiermit verfluchte ich mein Englischwörterbuch zu sieben Jahren Staubverließ unter der grünen Treppe, das kann nämlich nix. Garnix.
Jeden Mittwoch kann man hier, wenn man sich anmeldet, Thainesisch Essen gehen. Da wir von Brandan und seiner Frau eingeladen wurden, taten wir das heute. Etwas ungewöhnlich, aber nett, wenn man danach von Eiri na Greine in sein Bett läuft und tatsächlich gar nichts mehr sieht, weil sämtliche Sterne vom Nebel verdeckt sind und die Wassertröpfchen das eh schon schwache Licht zerstreuen. Nass und müde einschlafen kann, mit zwei Zahlen im Kopf und sogar einem imaginären Spatz in der Hand. Zehn. Zweiundzwanzig... hm, eine Wärmflasche bitte noch.
Eigentlich gibt es noch Einiges zu erzählen. Zum Beispiel von einem Abend, den ich mit Angel im Pub verbrachte und plötzlich eine ganze Horde Männer die Bar stürmten, die letztendlich mit Gitarre und viel Bier einen Junggesellenabschied feierten. Oder von den elf gefangenen Makrelen, die fertig ausgenommen über dem Holzfeuer gegrillt wurden. Oder latenten Aggressionen, die sich bei mir dann bemerkbar machen, wenn um mich herum mal wieder nur Spanisch gesprochen wird. Oder, oder, oder....
Bis bald. Freu mich, von Euch zu hören. Alles Liebe, SONIA