Politik in Bulgarien
"Irgendwann werden wir uns hörbar machen und das hier alles nicht mehr tolerieren", sagen viele Jugendliche in Bulgarien. Bis dahin aber sind sie verärgert und resigniert über eine Politik, in der vieles zählt, nur nicht die Möglichkeit zur freien Wahl.
Lina Ivanowa ist 25 Jahre alt, geboren und aufgewachsen in Targovishte, einer 15.000 Einwohnerstadt im Nordosten Bulgariens, seit drei Monaten lebt und studiert sie in Sofia, nachdem sie drei Jahre lang in New York gearbeitet hat. Sie sie eine Bulgarin der jungen Generation, sagt sie von sich selbst, wütend auf die Politik, mit dem Traum von einem besseren Leben im Ausland. Zurück gekommen sei sie wegen des Heimwehs und, so gibt sie zu, ein wenig desillusioniert, denn im Land der unbegrenzten Möglichkeiten gebe es halt auch Grenzen und die perfekte Superdemokratie wäre auch nur ein Wunschdenken. Allerdings habe sie einen gravierenden Unterschied bemerkt, es gäbe in Amerika eine Wahl, eine wirkliche.
Das vermisse sie, hier in Bulgarien. Klar, dem Anschein nach gebe es verschiedene Parteien, BSP (linke, bulgarische sozialistische Partei); DPS (mitte, Organisation für Recht und Frieden [türkische Minderheitenpartei]), NDCW (mitte-rechts, Partei des Ex-Königs), ATAKA (radikal rechts, bedeutet: Attacke), GERP (mitte, bedeutet: Staatssymbol), aber im Kern seien sie alle gleich. Sie machen Versprechungen, sagt sie, aber halten nichts, sobald sie an die Macht kämen, würden sie korrupt werden. Was für Versprechungen?
Das übliche Gewäsch, mehr Ausbildungsjobs, bessere Möglichkeiten, Angleichung der Lebensumstände an westliche Standards, aber, so fügt sie an, was sie reden interessiert die jungen Menschen nicht. Und die Politiker interessiert es nicht, dass es sie nicht interessiert. Gängiges Mittel für die bulgarischen Politiker Stimmen zu bekommen, sei das "Zigeuner- Kaufen", 40 Lewa (umgerechnet ca. 20 Euro) die Stimme. Die zumeist legasthenischen Roma geben offen zu - unsere Stimme dem Bestzahlenden. Dann gebe es noch die Senioren, die wählen würden, mit dem Wunschdenken, alte Zeiten zurück zu bekommen.
Doch die Jungen, die würden nicht wählen gehen. "Wir wissen nicht wen, oder was, es sind doch alle gleich korrupt und verlogen."
Diesen Satz sagt auch Michael Martinijan, 21 Jahre alter Bulgare, aufgewachsen in Sofia, wo er heute noch arbeitet und lebt. Er habe noch nie gewählt und wären heute Wahlen, würde er es wieder nicht tun. Klar, er schätze das Privileg wählen gehen zu können. Aber es gebe nun einmal keine wirkliche Wahl. Denn alle seien gleich. Das Rezept der Politiker, sagt er: Versprechungen, Charisma, gewählt werden, Geld einsacken, das einem nicht gehört, ertappt werden, leugnen mit Charisma, weitermachen, zur Ruhe setzen im Armanianzug in der neu erbauten Villa, mit den drei teueren Wagen davor. Darin sähe er keinen Sinn, Politik verfolgt er nicht mehr, leere Phrasen, keine Taten.
Wahlen. Die bulgarische Politikwelt scheint den Jugendlichen keine wirkliche Wahl zu lassen. Die Jungen haben aufgegeben, betrachten die Politik nur noch mit Desinteresse. "Das System hier ist kaputt", denkt Lina laut, "aber wir sind auch nicht unschuldig. Wir mucken nicht auf, bleiben still und warten ab. Es ist seltsam, dass wir wirklich hoffen, dass sich so etwas ändert. Wir müssten unseren Missmut laut machen. Weiß der Teufel, warum wir es nicht tun."
So bleibt es alles beim Alten. Die Jugend enttäuscht, aber still, äußern ihren Unmut im Bekanntenkreis, doch das war es auch schon. Es wird nicht ewig so weiter gehen, "irgendwann werden wir uns hörbar machen und das hier alles nicht mehr tolerieren," sagen Michael und Lina überzeugt. Aber sie wissen, bis dahin ist es noch ein langer Weg.
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