POLEN | Keine Angst vor der EU
Für die Kleinbauern in Polen bedeutet der EU-Beitritt ihres Landes die Existenzfrage. Youthreporter Andreas Menn hat einen Landwirt in Lublin besucht, der seinen Hof schon aufgegeben hatte.
Hunde bellen, als wir den dunklen Pfad zu den Häusern von Motycz entlang gehen. Wie wilde Tiere erscheinen sie nacheinander aus der Nacht, die sich zu beiden Seiten auf die gepflügten Felder legt. In sicherem Abstand verfolgen sie uns, beobachten aufmerksam jede unserer Bewegungen. Vorsichtig gehen wir weiter - ein paar Schritte noch, dann stehen wir vor Jozef Maciks Haus.
Jozef Macik setzt sich auf einen weißen Hocker, schlägt ein Bein über das andere, legt die breiten, kräftigen Hände aufs Knie und beginnt zu erzählen. Dass er 35 Jahre als Schlosser gearbeitet hat und genauso lange, wenn nicht länger, als Bauer. Dass es immer etwas zu Essen gab, auch wenn die Zeiten schlecht waren unter der Sowjetherrschaft. Dass er sich nach dem Systemwechsel entschied, seinen kleinen Hof an seine drei Kinder zu vermachen, weil er mit 60 Jahren in Frührente gehen konnte, und dass er nun zufrieden sei mit seinem Leben. Er erzählt das alles beschwingt und mit einem Lächeln, das beinahe mehr von seinen wachen, lebhaften Augen ausgeht als von seinem Mund. Es ist das Lächeln eines 64jährigen, der weiß, wie gut es ihm geht im Vergleich zu früher.
Früher lebte Jozef Macik auf einem Bauernhof, in dem gleichen Dorf in der Nähe von Lublin, im Osten von Polen. Ein Pferd besaß er, drei Kühe und ein wenig Erde, auf der er Gemüse anbauen konnte oder Kartoffeln. Sein Einkommen als Schlosser reichte nicht aus, um die Familie mit drei Kindern zu ernähren - der Hof gewährte ihm ein kleines Zubrot. Die Lebensversicherung, die er abgeschlossen hatte, war nicht höher als die Summe, die man für ein Pferd bezahlen musste. „Die Menschen zwischen Oder und Wladiwostok sind billig“, scherzt Jozef und schlägt sich mit der flachen Hand auf die Schenkel.
Im Vergleich zu damals geht es ihm heute gut. Seine Rente erlaubt ihm ein einfaches, aber sicheres Leben. „Es reicht für meine Bedürfnisse“, sagt Jozef. Seinen Hof hat er aufgegeben, er hätte ihm nichts mehr eingebracht. Seine beiden Söhne arbeiten heute in der Wirtschaft, nur die Tochter hat heute noch einen kleinen Bauernhof.
Doch die Zeiten für die kleinen Höfe werden härter, der Konkurrenzdruck durch die Großbetriebe wächst. „Nach der Wende sind viel der ehemaligen sozialistischen Großbetriebe erst einmal pleite gegangen“, erzählt Jozef, „aber die kleinen Bauern in der Gegend waren voller Hoffnung.“ Viele nahmen Kredite auf, um ihre Höfe zu vergrößern, doch einige überschätzten sich und konnten die hohen Zinsen nicht bezahlen. Ganze Existenzen sind in Windeseile zusammen gebrochen.
Und nun steht der Beitritt in die EU bevor, der es den kleinen, ineffizienten Bauernhöfen noch viel schwieriger machen wird. Die Umstellung auf EU-Standards wird teuer werden, und meist können nur große Güter dem Konkurrenzdruck auf dem europäischen Binnenmarkt standhalten. „Die kleinen Höfe werden verschwinden“, steht für Jozef fest. Für seine Tochter bedeute das möglicherweise auch das Aus. „Sie kann dann vielleicht noch bei reichen Leuten aufräumen gehen.“ Er sagt das ohne Resignation, mit dem gleichen Lächeln, mit dem er über die sozialistische Vergangenheit spricht, die er als eine „Zeit des Terrors“ beschreibt. Dabei breitet er die Arme aus und öffnet die gebräunten, fleischigen Hände, als wolle er sagen: So ist das Leben nun mal.
Jozef ist für den Beitritt in die EU, allein schon aus Gründen der Friedenssicherung. Er habe zwar Zweifel, ob alles so gut daran sei, aber eine Alternative gebe es nicht. „Wir sind über die NATO schon militärisch mit dem Westen verbunden, jetzt müssen wir es auch wirtschaftlich sein. Es gibt kein Zurück nach Moskau.“ Da sitzt einer, der die Sowjet-Vergangenheit weit hinter sich gelassen hat.
Fürchtet er nicht, dass sich die polnische Kultur dem Westen angleicht? „Die Kultur ändert sich immer“, sagt Jozef lachend. „Ende des 18. Jahrhunderts war Polen auch kein freies Land und zerrissen. Unsere Kultur gibt es heute immer noch. Die Kultur lebt weiter, egal unter welchem System.“ Manche in seinem Dorf sehen das anders, sie fürchten sich vor dem erneuten Umbruch. „Hier leben einfache Menschen, die wissen nicht viel von der Politik. Aber es gibt Leute, die haben viel zu verlieren, und sie haben Angst vor der EU.“