Época de Navidades
Statt mir die Sonne auf den Bauch scheinen zu lassen, bekomme ich eine kalte Nase. Außerdem hat die Vorweihnachtszeit im Goethe-Institut Einzug gehalten.
Wenn ich E-Mails von meinen Kollegen aus dem Potsdamer Büro bekomme, dann enthalten sie meistens etwas wie "Lass dir schön die Sonne auf den Bauch scheinen" oder "Viele Grüße aus dem nass-kalten Potsdam", was den Neid auf das vermeintlich bessere Wetter sehr bildlich ausdrückt. Und völlig unbegründet ist, denn auch hier sind die Temperaturen gesunken und der Herbst/Winter ist nach Süden gezogen. Zugegeben, fast den ganzen November haben wir unsere Mittagspausen im Hof in der Sonne gelegen, aber morgens war es trotzdem kalt. Wenn ich morgens aus dem Fenster gucke, scheint oft die Sonne, dann weiß ich gar nicht, wie ich mich anziehen soll, weil es trotzdem sehr kalt sein kann. Letzte Woche habe ich mir eine wärmere Jacke gekauft und neulich auch endlich eine Mütze. Morgens sind die 5 Minuten Warten an der Bushaltestelle schon zu lang, weil meine Nase kalt wird, weiße Atemwolken steigen auf. Im Bus muss ich sofort meinen Mantel aufknöpfen und den Schal ablegen, weil die Busse (und auch die Metro-Stationen) grundsätzlich überheizt sind. Dann ist auch der Wollpulli unter dem Mantel zu viel. Wenn ich dann ins Büro komme, sinkt die Temperatur im Vergleich wieder. Ich kann mir nicht ganz erklären wieso, aber in der Bibliothek sind es immer ein paar Grad kühler, als im Rest des Gebäudes. Meine Chefin hat sich deshalb einen kleinen Elektroheizkörper in ihr Büro gestellt, um den ich sie manchmal beneide. Immerhin sind mir noch die Finger auf der Tastatur eingefroren.
Mit der Kälte ist auch die erste Weihnachtsstimmung gekommen. Genauer, mit dem ersten Weihnachtsmarkt in der Katholischen Deutschen Gemeinde. Dort war ich nur kurz und habe einen Adventskranz für meine Gastfamilie und mich gekauft. Als der in seiner Plastiktüte auf meinem Schreibtisch stand, ist mir aufgefallen, dass ich die letzten Jahre seit meinem Auszug auch keinen Adventskranz hatte und den gar nicht so sehr vermisst hatte. Dieses Jahr wollte ich unbedingt einen haben. Vielleicht, weil ich die Adventszeit in der spanischen Familie sehr intensiv erleben will und ihnen dann auch von unseren Bräuchen "etwas abgeben" möchte. Meine Gastmutter war total begeistert, auch von dem Markt.
Letzten Freitag wurde es noch viel weihnachtlicher: da fand der Adventsbasar der evangelischen deutschen Gemeinde statt, direkt um die Ecke vom Goethe-Institut. Also sind wir Freitag Abend nach der Arbeit zu sechst hingegangen und hatten Glück, dass wir noch reingekommen sind. Die Leute drängten sich schon zwischen den Bänken und vor den Essensständen. Der Innenhof war weihnachtlich geschmückt, viele Lichter und ein köstlicher Duft nach Glühwein. Plötzlich ging das Licht aus. Einfach so, wir standen da im Dunkeln und wussten überhaupt nicht, was los ist. Dann ging es wieder an. Die Kochplatten dampften wieder, man konnte den Schriftzug "Adventsbasar" wieder lesen, die "Band" (1 Horn, 1 Akkordeon, 1 Sänger) spielte weiter Weihnachtslieder. Es gab so viel Essen, wir standen unschlüssig im Weg und konnten uns nicht entscheiden, was wir zuerst essen sollten. Vivi und ich teilten uns dann einen Kartoffelpuffer mit Apfelmus und eine Gemüsemaultasche in Brühe (von Bürger!), die anderen aßen Bratwurst, Stollen oder Brezel, Glühwein tranken wir alle. Es war heimelig, aber trotzdem ungewohnt, zu den anderen Leuten so selbstverständlich Deutsch sprechen zu können. Die Sicherung sprang übrigens noch unzählige Mal raus, was der Stimmung aber keinen Abbruch tat. Im Gegenteil, es entstand fast ein Gemeinschaftsgefühl durch das gemeinschaftliche "Ooohhh", wenn mal wieder das Licht ausging. Als wir gingen, bewachte ein Herr das Eingangstor und ließ erst nach und nach wieder Leute herein.
Am ersten Advent war ich im Gottesdienst in der deutschen Gemeinde. Der Mantel war viel zu warm, mittags waren es fast 20 Grad. Drinnen brannte die erste Kerze am Kranz, der Chor sang Adventslieder und der Pfarrer sprach die Messe auf Deutsch, nur die Predigt war auf Spanisch. Er sprach recht langsam und einfach, ich dachte zuerst, das wäre wegen den deutschen Gottesdienstbesuchern, doch eigentlich wollte er nur besonders auf die Kinder eingehen. "Was ist Weihnachten für ein Fest?- Ein Fest des ... Lichts" Muy bien, chicos! Später waren wir noch bei Magnus, der zum Spieleabend eingeladen hatte. Es gab selbstgemachten Glühwein, "Weihnachtsmarktessen", was hieß, dass wir uns mit Langos probierten, Pilzpfanne machten, spanischen Wintersalat, Plätzchen und noch viel mehr aßen. Es war wirklich ein Fest!
Genau genommen habe ich mich schon den ganzen November mit Advent und Weihnachtszeit beschäftigt. Als Projekt für uns Praktikanten haben wir uns überlegt, einen großen Adventskalender zu bauen, hinter dessen Türchen jeden Tag ein anderes Medium hervorkommt, ein Buch, eine CD, ein Film... Die Kollegen fanden die Idee super, also machten wir uns an die Arbeit. Wälzten das Internet nach interessanten Themen, strichen durch die Regale, diskutierten viel über Präferenzen und Prioritäten und waren uns eigentlich sogar oft einig. Wir verteilten Arbeit, schafften Material heran und verwüsteten zeitweise den Keller und das Büro der Chefin. Wir ernteten blöde Blicke und brauchten eine Stunde, um Kleister zu finden und zwei Tage für große Pappstücke. Wir haben es uns wirklich nicht einfach gemacht, aber letztendlich ist ein Adventskalender dabei herausgekommen, wie wir ihn uns vorgestellt hatten. Er ist sogar von innen beleuchtet, als Highlight. Heute haben wir ihn aufgehängt, gerade noch rechtzeitig vor dem 1. Dezember. Der Facebookpost dazu hat viele Likes gebracht, lobt die Chefin. Die Kollegen sind aus dem Häuschen, wir sind geschafft, die Praktikantinnen sind ganz still geworden vor Staunen (?) und die, die vorher doof geguckt haben, streiten sich darum, wer das erste Türchen aufmachen darf. Ein Wermutstropfen von heute: die Bibliotheksbenutzer, für die wir den Kalender gemacht haben, scheinen ihn noch nicht bemerkt zu haben. Kein einziger hat etwas gesagt, alle sind einfach daran vorbei gelaufen. Hoffentlich wird sich das noch ändern. Vielleicht ist das auch alles ein bisschen zu viel. Auf dem Tresen steht noch ein Adventskranz, im Foyer steht heute ein schöner kleiner Christbaum und an dem Balkon über dem Eingang ein grüner Lichterkranz.
In der ganzen Stadt sind schon die Weihnachtslichter aufgehängt, auf der Plaza Mayor ist seit dem Wochenende Weihnachtsmarkt und die Läden verkaufen schon lange Turrón und Ferrero Rocher, die traditionellen Weihnachtssüßigkeiten. Trotzdem muss ich zu Lidl fahren, um noch schnell einen Adventskalender mit Schoki zu bekommen. Die haben Milchschokolade drin, die ist am besten.
Drei Wochen bleiben mir noch in Madrid, eigentlich schon etwas weniger. Meine letzte Arbeitswoche wird von Weihnachtsfeiern und Abschiedsrunden gespickt sein. Im allgemeinen Glühwein- und Vorweihnachtsrausch, im Gefühlstaumel zwischen Ich-vermisse-meine-Prakti-Mädels und Ich-will-ganz-schnell-nach-Hause-zu-Freund-und-Familie, im Stress vom letzten Kofferpacken und wichtigen Entscheidungen à la was soll in mein Paket? und was kauf ich noch schnell, was es in Deutschland nicht gibt? wird die Zeit noch rasender vergehen. Vielleicht gibt es hin und wieder mal einen Moment, der sich zieht wie Kaugummi, wenn ich an der Ausleihe sitze und es nichts zu tun gibt oder wenn ich auf den Bus warten muss und Zeit habe, kurz die Augen zuzumachen und mir die Sonne auf die kalte Nase scheinen zu lassen.