Orientierungslos
Die_anne hat eine aufregende Nacht bei ihrem On-Arrival-Training erlebt. Orientierungslos irrt sie durch Athen, um den Weg zum Hotel zurück zu finden. Ob sie sicher in ihrem Bett gelandet ist?
Wenn man jemanden bitten würde, etwas nettes über mich zu sagen, tendiert die Wahrscheinlichkeit gegen Null, dass irgendjemand sagen würde, ich hätte einen fantastischen Orientierungssinn.
Vielleicht würde jemand zu bedenken geben, dass es ganz respektabel ist, dass ich bei meinem Orientierungssinn, der in etwa dem eines Toasters entspricht, ohne GPS durch Gegenden laufe und trotzdem noch lebe - aber niemand würde sich freiwillig von mir irgendwo hinführen lassen. Ich hab kein Problem damit. Da gibt es eine Menge andere nette Dinge über mich zu sagen.
Uncool erscheint mir diese Orientierungslosigkeit erst, wenn ich todmüde nachts um halb zwei im Dunkeln allein irgendwo auf der Akropolis stehe und nicht mehr weiß, wie ich dorthin gekommen bin. So geschehen in der Nacht von Montag zu Dienstag. Aber fangen wir mal von vorne an.
Am Montag hatten wir unsere letzte Griechischstunde für diesen Monat, denn schon am Abend sollte mein On-Arrival-Training beginnen. Michto, unsere Griechischlehrerin und Ex-Volunteer, war ganz neidisch, weil sie das Hotel sehr mag und unseren Trainer so cool findet. Es war eine kleine Weltreise von Marinas Büro bis zum Hotel, zumal wir unser gesamtes Gepäck mitschleppen mussten. Besonders Elodie hatte zu leiden, denn ihr Koffer ist einfach nicht dafür gemacht, irgendwo hingerollt zu werden.
Naja, dann haben wir uns auch noch ein klitzekleinwenig verlaufen. Nicht, weil ich keinen Plan hatte, sondern weil in dem Stadtplan nicht alle Straßennamen verzeichnet waren. Aber ich habe auf Griechisch nach dem Weg gefragt und sogar die Wegbeschreibung verstanden. Hat sich gut angefühlt. Am Hotel angekommen, wussten wir dann auch, warum Michto so neidisch auf uns war. Es ist ein richtig tolles Luxushotel und ich habe ein fantastisches großes Bett. Am Abend hatten wir dann auch schon ein erstes Seminar, in dem wir uns kennenlernen sollten. Es sind viele coole Leute hier, übrigens auch Marion. Und Sabina aus Estland, die fließend Deutsch spricht... beeindruckend.
Abends waren alle wildentschlossen, irgendwo etwas trinken zu gehen. Zuerst sind wir in die falsche Richtung gelaufen, dann in die richtige und dann haben sich etwa 75 Prozent unserer Gruppe entschlossen, lieber ein Bier im Kiosk zu kaufen und in der Nähe der Akropolis zu trinken, während der Rest, darunter Elodie, die viele französische Mitfreiwillige gefunden hat, in eine Bar gegangen ist und dort fünf Stunden lang nicht mehr rausgekommen ist.
Ich gehörte zu ersterer Gruppe und habe mir mit Conta aus Spanien ein holländisches Bier geteilt. Irgendwann kam jemand auf die Idee, man könne doch auf einen Hügel auf der Akropolis steigen von dem man Athen bei Nacht sehen kann. Also bin ich mit da hoch gestiegen - ein wirklich hübscher Ausblick, allerdings war es ziemlich windig und ich war müde. Also habe ich mich von den anderen verabschiedet und wollte zurück zum Hotel.
An den Weg konnte ich mich allerdings nicht mehr erinnern. Ich habe ein paar Wege ausprobiert, aber es kam mir nichts bekannt vor. Kein Problem, dachte ich, gehe ich halt zurück auf den Hügel und frage nach dem Weg. Den Hügel habe ich gefunden, es waren auch noch ein paar Leute da, aber beschreiben konnten sie mir den Weg nicht. Nach ein paar Minuten wollte ... zurück zum Hotel gehen. Ich schloss mich ihr an, ihr Handy klingelte und plötzlich war sie weg.
Da stand ich nun, in oben beschriebener Situation - allein, müde, dunkel und außerdem musste ich aufs Klo. Man muss sich schon ziemlich blöd anstellen, um zweimal in der gleichen Situation zu landen. Ich ging also zurück zum Hügel, wo nur noch zwei von ursprünglich sechs Volunteers saßen, die sich dann erbarmten, mich zum Hotel zu begleiten, diesmal ohne dass ich verloren ging.
Furchtbar müde erschienen alle am nächsten Morgen zum Luxusfrühstück. Der Tag war voller Seminare über unser EVS-Projekt und interkulturelle Kommunikation. Ein Haufen witziger Spielchen gewürzt mit einigen schlauen Kommentaren von Kostas, unserem Trainer. Am Abend waren wir auf einem politischen Rockkonzert. Man sollte wissen: Griechische Konzerte sind anders. Elodie und ich waren schon am Wochenende auf einem Ökokonzert auf dem Syntagmasqare und waren ganz erstaunt, dass sich das griechische Publikum nicht bewegt, nicht tanzt und nur mitsingt, wenn zufällig der griechische Johnny Cash, wie ich vermute, die Bühne betritt.
Irgendwie hatten wir bei der griechischen Mentalität und der griechischen Art und Weise Auto zu fahren (davon erzähle ich euch ein anderes mal) erwartet, dass die Griechen so ein Konzert mehr rocken. Aber nein, sie sind da etwas schüchtern und stehen nur interessiert in der Gegend rum. Das Rockkonzert am Donnerstag war allerdings das erste in meinem Leben, bei dem die gesamten ersten Reihen auf Stühlen saßen...
Anne