Nur ein bisschen
Donnerstag war Rumäniens Nationalfeiertag. Landesstolz finde ich als Deutsche automatisch so abstoßend, dass ich ihn mir selbst in einem neuen Land nicht mehr aneignen kann. Die meisten meiner Freunde aus Rumänien sind sowieso keine wirklichen Patrioten, also musste ich nicht für große Partys bleiben. Heißt: Ich bin dann mal weg! Ab nach Ungarn! Es war teilweise klasse, teilweise komplett behämmert. Ganz normal also.
„What is 'nothing' in Hungarian again?“
„I don't know... nem tudom!“
„No, silly, 'nem tudom' means 'I don't know!'“
Ja, das ist es, was du abkriegst, wenn du mit deinen Mitbewohnern nach Ungarn reist.
Was kostet die Garage?
Erster Stopp war Debrecen – erstmal ohne Alkie, die in Deutschland für ein Vorstellungsgespräch war -, wo wir Timea besuchten. Ob ihr die noch kennt? Eine von den ungarischen Freiwilligen aus dem September. Sie und ich sind im Kontakt geblieben. Ihr Freund holte uns an der Bushaltestelle ab, ein superlustiger Kerl, dessen Englisch deutlich besser als das von Timea ist. :D Beim Abendessen wurden uns direkt Palinka-Shots serviert, na das geht ja schnell bei den Ungaren. Danach ging es auch in den billigsten Pub der Stadt, ein Studententreffpunkt, in dem ein Shot Vodka umgerechnet so siebzig Cent kostet. Timis Mitbewohner und Dorka, noch eine Freiwillige, kamen auch vorbei, und ich verlor beim Tischkickern haushoch gegen sie. Timeas Mitbewohner fingen dann irgendwann an, zusammenhangslos deutsche Sätze vor sich hinzustammeln. „Es gibt keine Hausaufgaben“, „was kostet die Garage“, „zwanzig Zentimeter sind perfekt“ und, ganz beliebt, „nur ein bisschen“. Der Spruch wurde echt die ganze Nacht wiederholt und begleitete uns noch bis ins Zimmer.
Am nächsten Morgen gingen wir erst auf den recht kleinen Weihnachtsmarkt und dann in die recht kleine Altstadt. Unfassbar, dass Debrecen die zweitgrößte (!) Stadt Ungarns ist – das ist eine richtige Kleinstadt. Und eisig kalt ist es dort. Ich war schon halb erfroren, als ich in den Zug nach Budapest stieg.
Und das ist mal eine faszinierende Stadt! In Europa bin ich noch keiner begegnet, die mich so an New York erinnert. Belebt, voller Touri-Guides und unhöflicher Leute, unter einem die U-Bahn und über einem keine Sterne weil man von den Lichtern der Stadt umgeben ist. Wunderschön.
Traumunterkunft
Nicht ganz so wunderschön war das Hostel, denn Schimmel kriegt man eben nicht von der Wand, indem man ihn mit coolen Sprüchen übermalt. Und in einem Zwölfbettzimmer kommt man natürlich schlafmäßig nie wirklich auf seine Kosten. Nunja, abgesehen von den Duschen ging es alles irgendwie. Und zum Ausgleich fanden wir am ersten Abend ein Restaurant, das Drei-Gänge-Menüs für 1000 Forinth, also etwas mehr als drei Euro, serviert.
So brach also der erste richtige Tag in Budapest an, der für uns an der Basilica-Kirche startete. Solche Architektur erweckt in mir immer gemischte Gefühle. Einerseits Faszination, wie all das von Menschenhand gebaut werden konnte, andererseits Wut auf die Kirche und ihre Geldverschwendung.
Sie ist zurück! ♥
Nunja. Als wir herauskamen, stieß Alkie zu uns, na endlich! Ohne sie macht alles nur halb so viel Spaß! Wir streunten ein bisschen durch die Straßen, fanden einen schwedischen Laden und einen süßen kleinen Indie-Holzshop und gelangten zur Kettenbrücke an der Donau. Das Panorama war... unbeschreiblich. Ich musste erst einmal innehalten und den Moment genießen.
Weiter ging es zum Parlament und schließlich zum Weihnachtsmarkt. Ich sage es viel zu oft, aber ich liebe Weihnachten. Und dieser Weihnachtsmarkt war ganz außergewöhnlich. Riesig groß und vielseitig. Ich hätte am liebsten sofort mein ganzes Geld für Essen auf den Kopf gehauen.
Abends wäre ich am liebsten nur noch ins Bett gefallen, aber ich war noch mit Franzi, einem Mädchen von meinem Ausreiseseminar, verabredet. Und kennt ihr das? Wenn ihr absolut keine Lust habt, die Decke wegzuschlagen und auszugehen, und euch trotzdem zwingt, dann kommen dabei meistens die allerschönsten Abende bei heraus. Mit ihr und ihren zwei Mitbewohnerinnen war es echt witzig, auch wenn es sich total unnatürlich anfühlte, deutsch in einer Gruppe zu sprechen. Auf der verzweifelten Suche nach bezahlbarem Glühwein bestätigten sie mir dann wenigstens als allererste Zeugen, dass es ganz verständlich ist, bei der ungarischen Sprache keinen Durchblick zu haben. Und als sie zum U-Bahnhof liefen, um die letzte Metro zu kriegen, rannten sie alle drei nochmal überstürzt zurück für eine Abschiedsumarmung.
Everybody drink responsibly
Das wars dann auch mit dem schönen Abend, denn ich kehrte kurz vor einer Freundesgruppe in meinem Zimmer zurück. Kurzum, das Mädchen im Stockbett über mir kotzte sich bis halb vier morgens lautstark die Seele und den Alkohol aus dem Leib direkt auf ihr Bettlaken. Allzu viel Schlaf war für mich nicht drin.
Als ich am nächsten Morgen um kurz nach neun aufwachte, war meine ganze Gruppe fort. Das letzte, das ich in der Whatsappgruppe lesen konnte, war ein „Ich geh zum Frühstück“ vor einer halben Stunde. Abgesehen davon keine Nachricht, kein Anruf, keine SMS, kein Zettel, nichts. Anrufen konnte ich niemandem, auf meiner Simkarte war nur eine rumänische Flat und kein Geld, also schrieb ich Nachrichten in die Gruppe, wartete etwa eine Stunde auf ein Lebenszeichen und zog dann – ziemlich wütend – allein los.
Ein Königreich für einen Kaffee
Gut, so musste ich wenigstens nicht alle fünf Sekunden anhalten, weil die ständig beim Laufen, beim Essen, beim Stehen und auch sonst in den unmöglichsten Momenten Selfies aufnehmen müssen. Ich lief über die Brücke ins Schlossviertel hoch – ehrlich gesagt nicht für die Schlösser, auch wenn die Matthiaskirche faszinierend war, sondern weil ich gehört hatte, dass es dort ein Café mit gutem Kaffee geben sollte. Ja, so ein Koffeinjunkie bin ich mittlerweile. Aber es waren keine leeren Versprechen, der Espresso dort war klasse und das Café hatte eine ganz schöne, gemütliche Coffeehouse-Atmosphäre.
Dort rief mich Lorena, die auch in der Stadt war, an, und wir machten ein Treffen aus. Ihr Anruf war nach dem Tag wie Balsam für die Seele, meine Güte, zum Glück gibt es sie! Auf dem Weg holte ich mir noch Gulaschsuppe, was wohl Pflicht ist, wenn man mal in Ungarn ist. Lohnt sich auch. Nichts wärmt besser.
Lange konnte ich leider nicht bei Katja, Alex und Lorena bleiben, weil die drei schon zwei Stunden später ihren Bus nach Hause kriegen mussten, aber wenigstens etwas. Sie sind so eine angenehme Gesellschaft. Wir sahen uns noch ein wenig den Weihnachtsmarkt an und quatschten dann beim Essen.
Sziastok!
Nunja. Ich ging noch einmal zur Brücke zurück, um den Anblick ein letztes Mal in Stille zu genießen, und ging dann zum Hostel zurück – es war bereits stockdunkel. Johanna, Ana, Juliana und Alkie trafen eine halbe Stunde später ein, und als Juliana und Alkie sich praktisch auf mein Bett warfen, um mich zu umarmen und um Entschuldigung zu bitten, konnte ich den zweien auch wirklich nicht böse sein. So was passiert halt. Es gehört zum Abenteuer dazu, mit einer Entschuldigung ist die Sache gegessen – und so konnte ich wenigstens den tollen Kaffee finden.
Viszlát, Magyarország. Es war ein ziemliches Auf und Ab, und ich kann es nicht erwarten, dich im Januar wiederzusehen!