Nach dem Ausreiseseminar
Milka kommt mit frischem Wissen und neuen Freunden vom Ausreiseseminar zurück. Dennoch ist ihr Gefühlschaos perfekt. Mit gemischten Gefühlen blickt sie elf Monaten in Estland entgegen.
Ich bin vom Ausreiseseminar wieder zurück! Es war ein echt schönes Wochenende. Es tat gut, andere Freiwillige zu treffen, denen es genauso geht wie mir.
Aber das Wochenende hat mir auch gezeigt, was ich mir da eigentlich vorgenommen habe.
Ich stecke gerade in einem Gefühlschaos hoch zehn. In einem Moment freu’ ich mich tierisch auf das Jahr im Estland, im anderen könnte ich einfach nur heulen, oder tu es auch, weil ich denke, dass ich das alles nicht schaffe. Ein Jahr weg von allem Gewohnten, von den Freunden, die jetzt auch alle ihre eigenen Wege gehen und von meiner Familie. Ich war noch nie länger als zwei, drei Wochen weg von zu Hause. Ich denke, in der ersten Zeit wird es echt hart werden, aber das haben mir auch ehemalige Freiwillige gesagt, dass es am Anfang auch für sie nicht leicht war und Zweifel sind völlig normal.
Aber genug von meinem Gefühlschaos. Eigentlich wollte ich ja vom Ausreiseseminar erzählen. Am Freitag kam ich nach ungefähr zweieinhalbstündiger Zugfahrt in Aschaffenburg an. Ich war die erste der Teilnehmer, die im Mädchencafé, in dem das Seminar stattfand, ankam. Die erste, die ich traf, war Mona, sie ist eine ehemalige Freiwillige und hat mit Beatriz das Seminar geleitet. Langsam trudelten auch die anderen ein. Wir waren sechs Mädels und ein Junge. Also eine ziemlich kleine Truppe, was aber sehr angenehm war. Nachdem wir unsere Erwartungen aufschreiben sollten, gab Beatriz uns die Infos, die uns am brennensten interessierten. Abends gingen wir alle zusammen weg, es wurde relativ spät, aber es war echt nett. Aschaffenburg ist eine echt hübsche Stadt mit ziemlich vielen Kneipen.
Am Samstag haben wir erstmal gemütlich zusammen gefrühstückt bevor es weiterging. Lauras Milchschäumer war der gefragteste Gegenstand an dem Wochenende. Fast alles wurde mit dem genialen Milchschaum getrunken, Kaffee, Kakao... Da es glaub ich echt zuviel wird, wenn ich weiter jede kleinste Kleinigkeit berichte, schreib ich jetzt mal die Höhepunkte auf. Einer davon war, dass wir unser Projekt und unser Gastland den anderen Teilnehmern vorstellen sollten. Das war ziemlich informativ und man hat viel Neues erfahren. Dann war da noch die Spezialaufgabe von Beatriz und Mona. Wir sollten in zwei Gruppen aufgeteilt und mit je einer Videokamera dokumentieren, was typisch Deutsch und was typisch ausländisch ist. In meiner Gruppe haben wir zunächst im "Sendung mit der Maus"-Stil erklärt, was für uns typisch Deutsch ist. Danach haben wir Menschen auf der Straße angesprochen, was für sie typisch Deutsch sei. Leider wollten viele Menschen nicht mit uns reden, sie meinten, dass sie keine Ahnung haben, was typisch Deutsch ist. Das war eigentlich sehr schade, ich hatte erwartet, dass die Menschen offener sind. Aber die Filme beider Gruppen sind echt lustig geworden. Und dafür, dass wir nicht schneiden konnten und alles hintereinander filmen mussten, auch echt professionell.
Am Sonntagabend haben wir dann unsere Kochkünste zum Besten gegeben. Jeder hatte ein Rezept aus seinem Gastland mitgebracht, das wir so gut es ging nachkochten. Dabei waren auch Aurelie aus Frankreich und Dmitry (Geheimnis) aus Weißrussland dabei, deren Freiwilligendienste in Aschaffenburg schon fast zu Ende sind. Sie haben uns auch von ihren Erfahrungen erzählt. Also, wenn ich am Ende der elf Monate nur halb so gut Estnisch sprechen kann, wie Aurelie und Dmitry Deutsch, dann bin ich echt froh.
Das Essen hat echt gut geschmeckt, es war nur viel zu viel. Es gab Apfel-Aprikosen-Crumbel und Scones aus England, Gurkenjoghurt aus der Türkei, Grillgemüse aus Spanien und gegrillt wurde auf Bulgarisch ;-) (Friedemann hatte vergessen, sich ein Rezept auszusuchen). Ich hatte im Internet ein Rezept für Himbeersuppe gefunden. Sie fand großen Anklang, obwohl ich bei der Zubereitung ziemlich improvisiert habe.
Die letzte Aufgabe, die wir von Beatriz bekamen, war, uns selbst einen Brief zu schreiben, der dann in einem halben Jahr an uns im Ausland geschickt wird. Ich hab dabei alle meine Zweifel und Ängste runter geschrieben, was echt gut tat, obwohl es schon komisch war, einen Brief an sich selbst zu schreiben.
Als wir uns dann verabschiedeten, waren wir alle schon ein wenig traurig, aber wir werden uns alle E-Mails schreiben und unsere Erfahrungen austauschen. Vielleicht sehen sich ja auch einige von uns beim Rückkehrseminar wieder. Da das Wochenende echt schön war, hab ich es auch verkraftet, dass ich nicht am Samstag auf das Wise Guys Konzert in Mainz konnte, auf das ich mich schon so gefreut hatte.
So, ich glaub, der Eintrag ist jetzt echt lang geworden – wie wird das erst, wenn ich dann echt weg bin. Ich muss unbedingt lernen, mich kürzer zu fassen.