Menschen, Mahlzeiten und Musik
Ein kleiner Überblick zu den Besonderheiten der Südserben und warum Vegetarier am besten zuhause bleiben sollten.
So langsam eröffnet sich mir auch die Mentalität der Serben, oder besser gesagt der Südserben, denn da gibt so einige Unterschiede. Vieles davon lässt sich noch nicht mal in Worte fassen, aber ein paar Besonderheiten sollten hier auf jeden Fall Erwähnung finden. Warum ausgerechnet die Landsleute hier immer an ihren Fingerknochen ziehen müssen, ist mir unklar, aber ich vermute, dass es dem Bedürfnis, die eigenen Gliedmaßen zu entspannen gerecht wird. Witzige Angewohnheit. Leider nicht so witzig, sondern eher störend, ist die Angewohnheit, ständig Fotos zu machen – vor allem von sich selbst und diese ungefragt Menschen zu zeigen, die es gar nicht interessiert. Die Erklärung dafür hängt offensichtlich mit der Eigenwahrnehmung der Serben zusammen. Egal, ob zum Bäcker, oder zum Feiern in den Club – der Look muss sitzen und wird sorgfältig in jedem vorhandenen Spiegel mehrere Male überprüft. Die langen Haare der jungen Damen könnten glatter kaum sein und ich muss mich schon sehr anstrengen, einzelne Personen in dieser haarigen Monotonie wiederzuerkennen. Selfies sind nur eine Art, sich selbst gut zu fühlen. Mit allerlei Instagram-Filtern lassen sie jeglichen “Makel” verschwinden und sorgen so für eine leicht verschobene Selbstwahrnehmung. Aber die Hauptsache ist doch, dass nachher die Likes auf Facebook stimmen. Am meisten Aufmerksamkeit bekommt man übrigens, wenn man mindestens einmal täglich sein Profilbild ändert und sich immer in leicht veränderter Pose darstellt. Ich vermute, dass dieses Verhalten mehrere Ursachen hat. So ist es zum Beispiel die neu gewonnene Freiheit und Weltoffenheit, die nun in Serbien Einzug gehalten hat und es jedem möglich macht, schöne Kleider und schicke Schuhe zu kaufen, in denen das Laufen beinahe unmöglich ist. Egal, macht ja zumindest einen schlanken Fuss. Was mich anfangs noch sehr nervös gemacht hat, gibt mir mittlerweile sogar Selbstvertrauen. Das, was ich kann, definiert sich gott sei dank nicht über mein Aussehen. Ich wünsche diesen gutaussehenden Frauen mehr Selbstvertrauen, um auch mal das Gesicht hinter der gut gestalteten Maske zu zeigen. Viele der jungen bis mittelalten Menschen leben immer noch im elterlichen Nest, wie schon in früheren Beiträgen des öfteren erwähnt. Um das verstehen und reflektieren zu können, habe ich drei Phasen durchdacht. Die erste Phase war, es einfach unfassbar und diese Leute seltsam zu finden, die mit ihren Eltern leben. Bedenkt man allerdings die Lebensumstände und niedrigen Löhne hier, wird man zu einer ganz anderen Meinung kommen und sich für seine typisch “deutsche” Ignoranz schämen. Das bringt mich zu einer weiteren Schlussfolgerung. Der Zusammenhalt der Familien ist bemerkenswert und es ist finanziell auch notwendig, zusammen zu leben. Spricht man dann jedoch mit Betroffenen darüber, ergibt sich nochmal ein völlig anderes Bild. Es ist regelrecht belastend für viele, unter diesen Umständen zu leben und kann sogar zu Depressionen führen, die wiederrum verhindern, dass man für ein selbstständiges Leben außerhalb des “behüteten” Elternhauses kämpft. Das Essen steht pünktlich auf dem Tisch, aber dafür schleichen sich Freunde nur heimlich ins Zimmer. Und auf den Tisch kommt natürlich serbische Hausmannskost, sprich: Fleisch. Die Serben lieben Fleisch und das in rauhen Mengen. Wer keins isst, wird komisch angeschaut. Vegan zu leben, braucht man erst gar nicht versuchen, es sei denn, man ist reich. Im Kafana ist das einzige vegetarische Gericht ein lieb- und gewürzloser Teller mit gegrillten Scheiben von Gemüse. Aber, und das sollte nicht unerwähnt bleiben, die Fleischgerichte sind eben auch köstlich und man lässt sich zu leicht dazu verführen, weil es eben auch viel billiger ist, als sich zuhause ein frisches Gemüsesüppchen zu kochen. Und als EVSler ist das ein nicht unerheblicher Faktor.
Serbische Musik – das ist so ein Thema für sich. Der größte Stolz ist wohl neben den alten jugoslawischen Rockbands der Turbofolk. Turbofolk – das kann man so ungefähr vergleichen mit dem penetrantesten deutschen Schlager. “Schlaflos durch die Nacht” ist da noch harmlos. Es gibt sogar Artikel, die sich mit dem Phänomen Turbofolk und seinem Verhältnis zu Homosexualität auseinandersetzen. Man möchte es nicht glauben, aber ausgerechnet ein Genre, welches so massentauglich in einem oft als homophob bezeichneten Umfeld ist, hat einen großen Anteil an homosexuellen Künstlern, die das zu einem gewissen Grad auch offen zeigen. Das ist als positiv zu bewerten, weil es wohl auch zur Beseitigung schlechter Klischees beiträgt. Davon aber mal abgesehen, gibt mir die Musik nicht viel. Eigentlich nervt sie sogar ziemlich, während sie sich förmlich ins Ohr bohrt und dort auch bleibt, wie auch der neue Hit von Nikolija wieder beweist. Aber so wirklich ernstnehmen, wenn ich nicht gerade betrunken bin, kann ich es nicht. Leider bleiben nur sehr wenige musikalische Alternativen zum Ausgehen in Vranje. Das heißt, man kann sich zuhause betrinken und Youtube anschalten oder sich einem der höchst seltenen Livekonzerte hingeben. Allerdings handelt es sich dabei meist um Metal in einem Klub, dessen Besitzer auch ein Exemplar von “Mein Kampf” im Regal stehen hat. Man nennt es hier gern “new faschism”. Klingt fast, wie New Wave und soll wohl durch die Verwendung des Wortes “new” über die Tatsache des Faschismus hinwegtäuschen. Trotzdem sind die Konzerte eine erfrischende Erfahrung und bei Livemusik schlägt mein Herz ohnehin höher. Und ich kann zumindest behaupten, dass die lokalen Metalbands hochwertige Musik spielen und es ziemlich drauf haben. Ob wir mit unserer neu gegründeten Coverband auch soviel Erfolg haben werden, bleibt abzuwarten. Noch ist das größte Problem ein fehlendes Schlagzeug. Warum musste ich mich auch ausgerechnet für das sperrigste aller Rockinstrumente entscheiden, damals vor neun Jahren? Und warum muss ich mein EVS auch ausgerechnet in Serbien, was den Import von Kulturgütern erheblich erschwert und dazu noch viel kostet? Zumindest gibt es einen selbsterklärten Manager mit einem engagierten Zeitplan, hohen Erwartungen und einen Bandnamen. Es bleibt abzuwarten. ob wir dem Namen gerecht werden und den Zeitplan einhalten können.