Meine Zeit in Schweden - bin ich jetzt anders?
Ein Jahr Schweden liegt hinter mir. Meine Gedanken und persönlichen Veränderungen mit meinen Erfahrungen, Herausforderungen und allem was dazu gehört habe ich hier aufgeführt.
Meine Zeit in Schweden – bin ich jetzt anders?
Ein Jahr Schweden! Ein Jahr weg von der Uni! Ein Jahr leben ohne Zeitdruck, Abgaben oder Klausurenstress! Ein Jahr neue Erfahrungen! Ein Jahr weg von Zuhause! Ein Jahr weg von Freunden! Ein Jahr weg von Altbekanntem! Ein Jahr voller neuer Erlebnisse! Ein Jahr Schweden!
Das lag vor mir und ich weiß noch mit wie viel Begeisterung, Vorfreude gleichzeitig aber auch viele Fragen und sehr viel Gepäck ich hier ankam. Werde ich Freunde finden? Werde ich schnell schwedisch lernen? Werde ich den skandinavischen Winter aushalten? Und werde ich mich nicht komplett verschulden bei den teuren Preisen?
Warum genau Schweden? Darauf habe ich bis heute keine richtige Antwort. Vielleicht war ich zu oft bei Ikea, habe dort zu viel Köttbullar gegessen oder mir die Pippi Langstrumpf Filme zu oft angesehen. Ja man kann sagen, dass ich schon als Kind, angestachelt durch die Astrid Lindgren Bücher, sehr von diesem Land angetan war. Nun wollte ich es einmal selbst erkunden, mir selbst ein Bild von der Dunkelheit und der Kälte machen. Und ich wollte unbedingt einmal Elche sehen, am liebsten in der freien Natur irgendwo im Wald.
Im September begann die Reise, heiser von der Abschlussparty – super erster Eindruck. Abgeholt wurde ich von meinem Mentor, mit Blumen, Plakat und einem Elchkuscheltier – oh hallo, der erste Elch war gesichtet. Und dann begann mein Schwedenabenteuer auch gleich mit einem richtigen schwedischen Abenteuer: ein Plumsklo.
Aber ich bin froh, dass es so gekommen ist. Vieles von dem was ich hier erlebt habe, war eine kleine, manchmal auch eine sehr große Herausforderung. Aber ich bin froh, diese Herausforderungen angenommen und gemeistert zu haben. Eine gute Freundin besuchte mich vor kurzem hier und sagte, ich sei viel mutiger geworden. Ich spreche leichter fremde Menschen an und stelle mich meinen Grenzen in der Hoffnung, diese überwinden zu können. Das hört sich ja schonmal nach einer guten Veränderung an, aber eigentlich bin ich doch immer noch ich. Also sind meine Schwedenerfahrungen mit all den Herausforderungen wirklich lebensveränderne Erfahrungen?
Viele Gedanken gegen mir gerade durch den Kopf. Viel zu schnell verging dieses Jahr. Ich habe vieles erlebt, würde aber gerne noch so viel mehr erleben. Ich bin gereist, würde aber gerne noch so viel mehr reisen. Ich sitze am Flughafen, der Abschied steckt mir in den Knochen und ich habe einen dicken Klos im Hals. Wie schnell fremde Menschen sich in dein Herz schleichen können. Wie schnell aus Fremden Freunde werden und wie schnell ein Jahr mit diesen wunderbaren Freunden vorüber gehen kann. Ich habe vieles hier erlebt in meinem Schwedenjahr. Ich bin in alle Himmelsrichtungen gereist, habe fremde Ecken erkundet und eine neue Sprache gelernt. Ich habe Freunde aus allen Ecken Europas gefunden. Ich bin in andere Kulturen eingetaucht und habe doch so viel über meine eigene dabei gelernt. Das Mädchen von nebenan, das immer so heimatverbunden war, ist auf Abenteuer gegangen – ok, Wildnis und ums nackte Überleben kämpfen, sind zum Glück außen vor geblieben, aber ein Abenteuer war es definitiv. Und jetzt kommt das Mädchen nach Hause und alle werden fragen: „Und wie war es?“ Was soll man antworten: „Gut!“ - Ein Wort für ein ganzes Jahr?!
Doch wenn ich über meine eigene Veränderung nachdenke, merke ich, dass ich jetzt sicherer im Umgang mit anderen Sprachen bin. Ich kann besser Englisch und vor allem Schwedisch sprechen kann, ohne dabei die große Panik überwinden zu müssen. Doch habe ich eine 180 Grad Wendung hingelegt? Bin ich jetzt der Mensch, der von allem ein Plan hat und vor allem bin ich der Mensch, der jetzt genau weiß, was er will? Bevor ich meinen europäischen Freiwilligendienst angetreten bin, hatte ich diese Vorstellung davon, dass alle die zurück kehren, den genauen Plan von ihrem Leben haben werden. Nunja, das Leben lässt sich nicht planen. Das habe ich gelernt. Und naja, ich habe einen Masterplatz, soweit habe ich also geplant. Aber einen genauen Plan? Come on – unmöglich!
Ideen passt wohl besser. Ich habe Ideen, vielleicht auch Ziele von Dingen, die ich ausprobieren möchte im Leben. Ausprobieren, dass ist ein gutes Stichwort. Ich habe viele Dinge ausprobiert. Von schwedischen Koch- und Backrezepten – was meine Kochkünste doch extrem gesteigert hat, über einkaufen und Leben in der schwedischen Provinz – und die ist kein Vergleich zu einem deutschen Provinzörtchen, Banktermine meistern, reisen im Nah- und Fernverkehr – und mit Fernverkehr meine ich 24 Stunden dieses Land bereisen, und immer noch nicht am Ende zu sein, neue Lebensmittel – das Aussagen eines Flußkrebes gehört da genauso zu wie der Elchbraten, meine Höhenangst zu überwinden, Achterbahn fahren und von Klippen zu springen – japp, man kann mich jetzt auch fast Adrenalinjunkie nennen, Naturexperte – ob beim Angeln, Polarlichterbeobachter, Fährtenleser oder meine Schwimmkunst im schwedischen See verbessern, Fleischliebhaberin – und dabei war ich vorher fast Vegetarierin, bis nicht zu vergessen: Fikavernatikerin – soweit, dass sogar die Zuhausgebliebenen schon wissen, dass mindestens eine Kaffeepause mit Zimtschnecke am Tag sein muss.
Also ein Ausprobieren vom Alltäglichen, über Neues bis zu Außergewöhnlichen, was ich vor einem Jahr nur belächelt hätte. Ob ich solche Dinge nicht auch so irgendwann ausprobiert hätte, bleibt schwer zu sagen. Fakt ist, jeder wünscht sich doch schlussendlich auf sein Leben zurückblicken zu können und stolz auf das zu sein, was man gemacht hat und auf mein Schwedenjahr bin ich verdammt stolz, denn es war das beste Jahr meines Lebens!
Ich war unbekümmert hier, glücklich, offener, mutiger, schätze die kleinen Dingen im Leben mehr. Freue mich wirklich wie eine Schneekönigin über Schnee – ja, die Schweden waren schon genervt von mir und meinem Schneehype. Aber ich kann mich über kleine Dinge groß freuen. Eine Eigenschaft, die ich hoffentlich nie verlieren werde. Ich schätze ein liebes Wort und eine Geste viel mehr. Ich habe gelernt, Menschen zu akzeptieren, obwohl sie und ich komplett verschieden sind und nun kann ich diese Menschen sogar meine Freunde nennen. Es ist ein tolles Gefühl zu realisieren, dass man über seine Heimatgrenze und Sprachfähigkeiten hinaus, Freundschaften entwickeln kann, mit der Hoffnung, dass diese Freundschaften Distanzen überstehen werden.
Ich habe gelernt Vorurteile abzubauen und mich leichter auf neue Situationen einzulassen. Ich habe gelernt, dass sich jedes Problem schon irgendwie lösen wird – und das dann doch ganz anders als man denkt. Ich habe gelernt, wie viel Vertrauen man erfahren kann, wenn man seine Ehrlichkeit zeigt. Ich habe gelernt, wie man auch mit Menschen, die anders denken umgehen kann. Ich habe gelernt, warum Inklusion in den skandinavischen Ländern so viel besser funktioniert als in Deutschland. Ich habe gelernt, wie ein Jugendhaus organisiert wird und erfolgreich ist. Ich habe gelernt, wie man bei JustDance punktet. Ich habe gelernt, dass man sich auch mit teuren Alkohol betrinkt – der Morgen danach bleibt unvergessen. Ich habe gerlent, wie schön die Natur sein kann. Ich habe gelernt, durchzuhalten, abzuwarten und versuchen das Beste aus jeder Situation rauszuholen. Ich habe gelernt, dass ein liebes Wort die größte Gefühlskatastrophe verhindern kann. Ich habe gelernt, dass 8 minütige Sprachnachrichten dann doch zu lange sind – und trotzdem habe ich Freunde, die immer darauf geantwortet haben. Ich habe gelernt, auch mal ernste Dinge offen und ehrlich anzusprechen. Ich habe gelernt, dass man selbst aus den alltäglichen Momenten im Leben, sehr viel lernen kann.
Man lernt in dieser Zeit so viel. Vielleicht nicht gerade die Dinge, die ich für meine akademische Karriere brauchen werde oder den Plan fürs Leben, aber definitiv vieles über andere Länder, andere Sitten und Bräuche, über andere Sichtweisen zu europäischen Problemen und besonders viel über sich selbst. Ein Punkt, den ich nicht erwartet hätte. Und trotzdem fühle ich mich ein wenig verändert, gereifter, kann man fast sagen. Gestärkt im Selbstbewusstsein, einfach durch die Tatsache, es allein geschafft zu haben. Stolz darüber meine Ziele, in die schwedische Gesellschaft einzutauchen, erreicht zu haben. Froh darüber, so vieles gesehen und ausprobiert zu haben. Dankbar für die neuen Freundschaften und die alten, die die Entfernung überlebt haben. Stolz, es mir selbst finanziert haben zu können und trotzdem in tiefer Dankbarkeit für meine Familie, mich in meinem Vorhaben bestärkt zu haben und meinen Traum verwirklicht zu haben. Glücklich darüber es gemacht zu haben. Ich sehe es nicht als verlorenes Jahr. Ich sehe es als Bereicherung für mich. Einfach aus dem Grund, dass ich mich hier zu einer Person entwickeln konnte, die ich mag und darüber bin ich besonders glücklich, denn das ist sicherlich die größte Veränderung, die ich durchlebt habe.
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