Mein Block
Über meine Ankunft in Tallinn, meine ersten Tage und meine neue Nachbarschaft.
Ich bin nun noch nicht einmal einen Monat in Tallinn und schon jetzt scheint so viel geschehen zu sein, dass ich es kaum alles in einen Blogeintrag quetschen kann. Schon seit Tagen schiebe ich es vor mir her meine bisherigen Erlebnisse zu Papier (oder eher zu Laptop) zu bringen, konnte mich bisher aber mit Leichtigkeit irgendwie davon ablenken. Je länger ich es aufschiebe, desto mehr passiert jedoch und der Teufelskreis findet kein Ende. Hier also mein erster Versuch meine Erlebnisse der ersten Tage festzuhalten!
Ich hatte die große Ehre meine Reise in den Norden an meinem zwanzigsten Geburtstag antreten zu dürfen. Meine Familie brachte mich zum Hamburger Flughafen von wo, nach einigen verdrückten Tränchen, der erste Flieger nach Helsinki startete. Der Flug an sich war eher unspektakulär aber als irgendwann die Küste Finnlands zu sehen war drückte ich mir die Nase am Flugzeugfenster platt. Das sogenannte „Land der 1000 Seen“ erinnerte mich stark an einen zerbrochenen Teller auf dem Küchenfußboden.
Ab Helsinki ging meine kleine Propellermaschine nach Tallinn und obwohl ich mich echt bemühte wach zu bleiben um meinen ersten Blick auf Estland aus der Luft zu werfen knickte mein Kopf immer wieder weg und ich döste die kurzen 30 Minuten Flugzeit über. Sobald ich aber den ersten Fuß auf estnischen Boden gesetzt hatte war ich wieder hellwach und natürlich auch extrem nervös. Ziemlich verwirrt von dem Finnisch-Estnisch-Russisch-Sprachgewirr um mich herum von dem ich überhaupt nichts verstehen und die einzelnen Sprachen auch nicht wirklich auseinanderhalten konnte, stolperte ich erst einmal kopflos über den Flughafen und suchte mein Gepäck zusammen.
In Empfang genommen wurde ich sofort von meiner Mentorin Tiina und meinem Supervisor aus meinem Projekt, Kristiina. Nach einem sehr kurzen und hektischen „Hey you’re Franzi right? Let’s go!“ wurde ich aus dem Gebäude und zum Auto geschleift. Die beiden Mädels waren sehr nett und rissen fleißig Witze über mein Gepäck über die ich, immer noch völlig überfordert mit der Situation, aber nur dümmlich grinsen konnte. Die Tatsache dass mir dann auch noch ein kleiner Kuchen inklusive Kerze und ein Button mit der Aufschrift „It’s my birthday!“ überreicht wurden half über meine Sprachlosigkeit auch nicht wirklich hinweg und obwohl ich mich tierisch freute so nett in Empfang geworden zu sein wusste ich nicht genau wie ich reagieren sollte und bald gingen die Witze der Beiden darüber, dass das einzige Wort das ich anscheinend zu kennen schien „Okay“ sei. Mit dem Auto ging es dann direkt in meine neue Nachbarschaft – Lasnamäe. Ich – die nur Werbezwecken dienende Fotos aus Tallinn gesehen hatte muss leider gestehen dass ich beim Anblick meines neuen Heims erst einmal erschrak. Back in the Sovietunion – Plattenbau vom Feinsten. Wortkarg hievte ich meinen Koffer durchs Treppenhaus (Gott sei Dank liegt unsere Wohnung im ersten Stock!), erkundete die Wohnung, die zum Glück von Innen um einiges Schöner aussieht als von außen), stellte fest, dass ich der erste Ankömmling war und suchte mir mein Zimmer aus.
Viel Zeit mich einzurichten hatte ich nicht denn der Kühlschrank war leer – genau wie mein Magen – und zusammen mit Tiina und Kristiina brachte ich meinen ersten estnischen Supermarktsbesuch hinter mich und lernte auch gleich ein paar neue Vokabeln. Piim ist Milch, Pipar ist Pfeffer etc.
Zurück in meinem neuen bescheidenen Heim aßen wir dann zusammen zu Abend, doch irgendwann mussten auch die beiden mich zurücklassen (denn es gibt keine Nachtbusse in Tallinn, juhu!) und ich sollte allein in der Wohnung auf den nächsten Ankömmling warten, der um Mitternacht ankäme. Mehr Informationen als „Diana said he’s a nice guy!“ gab es für mich leider nicht. Ich schnappte mir also meinen Laptop (Internet war in der Wohnung zu dem Zeitpunkt noch nicht vorhanden), knallte jedes Licht in der gesamten Wohnung an und setzte mich ins Wohnzimmer um mir einen Film anzusehen.
Als mein neuer Mitbewohner dann mit einer charmanten Verspätung und seiner Mentorin im Gepäck eintrudelte durfte ich feststellen, dass Diana nicht gelogen hatte und mein neuer Flatmate aus Belgien, Bart, wirklich nett und freundlich aussah. Der Glückliche durfte natürlich das Einzelzimmer beziehen.
Zusammen warteten wir am nächsten Tag auf Lena aus Deutschland, gingen erneut zum Supermarkt, diesmal allerdings ein anderer, denn es stehen uns im Umkreis von ca. 15 Gehminuten etwa 5 verschiedene zur Verfügung, warteten wieder in der Wohnung angekommen auf Mihaela aus Rumänien, gingen dann ausnahmsweise nicht einkaufen und warteten auf Diana von EstYes mit der wir ein Meeting hatten um die Hausregeln zu klären. Mit sich brachte sie Alex, ebenfalls aus Deutschland, der in einer nur ein paar Straßen entfernten zweiten Wohnung mit Freiwilligen wohnt, in der momentan nur noch Gianluca aus Italien, Tianli aus China und Karen aus Hondurras wohnen.
Meine erste richtige Woche im Detail zu beschreiben würde vermutlich erstens nicht nur den Rahmen sprengen sondern euch auch zweitens schrecklich zu Tode langweilen. Ich versuche mich kurz zu fassen und kann sagen, dass meine ersten Tage aus vielen ersten Malen bestanden: der erste Ausflug in die Altstadt, in die ich mich sofort verliebte und die Heimkehr nach Lasnamäe am Ende des Abends noch schwerer machte als vorher, mein erstes estnisches Bier (ALeCoq) und natürlich mein erster Tag auf der Arbeit, die mir sehr gut gefällt da ich mich auch mit meinem Supervisor gut verstehe und es somit, auch wenn einmal nichts anstand, nie langweilig wurde.
Viele organisatorische Dinge standen ebenfalls an, wie zum Beispiel das Erstellen der International Student Identity Card, das Ummelden auf unsere Wohnung, ein estnischer Bankaccount und natürlich die Installation vom Internet, was ins Besondere für mich und meine Mitbewohner ein großer Faktor war, denn auch wenn ich nicht stolz darauf bin, so fällt es mir doch schwer lange Zeit ohne Internet im Haus zu sein – vor allem nach einem Umzug in ein anderes Land und es einem permanent unter den Nägeln brennt Freunden und Verwandten jede Kleinigkeit aus dem fernen Land mitzuteilen. Demnach waren unsere ersten Abende von Ausflügen zum nahegelegenen McDonalds geprägt, wo wir mit unseren Laptops unser Lager aufschlugen um Mails zu verschicken, Wörter nachzuschlagen und Busverbindungen zu überprüfen. Dass unsere Koordinationsorganisation meistens über E-Mails mit uns kommunizierte erleichterte die Situation natürlich auch nicht besonders. Und obwohl meine Mitbewohner und ich auch ein paar echt schöne und gemütliche Abende im Wohnzimmer verbrachten und einfach nur quatschten, waren wir alle froh als nach guten 2 Wochen das Internet endlich installiert war.
Natürlich gibt es noch so viel mehr zu erzählen, doch ich denke irgendwo muss man auch einmal den Schlussstrich ziehen und auf einige andere größere Ereignisse werde ich in späteren Einträgen ganz sicher noch eingehen, aber es soll gesagt sein, dass ich gut angekommen bin und mich gut eingelebt habe.
Ich bin jetzt fast drei Wochen in Tallinn und jeden Morgen krabble ich nun möglichst leise aus dem Bett um meinen Roommate nicht aufzuwecken, falls sie denn selbst noch nicht auf den Beinen ist (meistens schon, denn ich bin ein Langschläfer) und durchlaufe meine Morgenroutine – Tee, Dusche, Frühstück. Wenn ich dann ein wenig später wortlos das Haus verlasse und die 5 Minuten Fußweg zu meiner Bushaltestelle zurücklege schaue ich mir meistens meine Nachbarschaft an. Den Kiosk, die Häuser und ihre Bewohner, wie sie sich, genau wie ich, auf den Weg in die Stadt oder zur Arbeit machen. Wenn ich dann in die Nr. 13 einsteige, mir Musik auf dem iPod anmache und aus dem Fenster gucke muss ich sagen, dass ich mich schon ziemlich an meinen Block gewöhnt habe. Angst macht er mir zumindest schon lange nicht mehr.