LUMMIX Light Festival in Plovdiv – Licht durchdringt auch ethnische Grenzen
Ermöglicht durch ausländische Stiftungen fand das LUMMIX Light Festival dieses Jahr zum ersten Mal in Plovdiv statt. Das Festival zeigt neue technische Entwicklungen, möchte aber auch einem hohen künstlerischen Anspruch gerecht werden.
Nachdem der Organisator Emil Mirazchiev bereits ein Interview für kaleidoskopiyan gegeben hat (https://www.youthreporter.eu/de/beitrag/in-the-interview-emil-mirazchiev-about-contemporary-art.11826/#.VyMvJHpTZlU), war ich natürlich besonders interessiert, welche Vorhaben der Direktor des Zentrums für zeitgenössische Kunst umgesetzt hat.
Mit einer großen Eröffnungsfeier im Roma Viertel Stolipinovo startete das Festival. Dort hatten junge Roma eine Lichtinstallation mit Emil errichtet: auf mehreren zusammenhängenden Wellblechhütten erstreckten sich mehrere weiße Lichttüren. Wer es schaffte die Hütten zu erklimmen konnte durch diese hindurchrennen. Die jungen Künstler trugen leuchtende Kleidung in Ergänzung zur Installation. Selten stehen den Bewohnern von Stolipinovo alle Türen offen, wie an diesem Abend in der Lichtinstallation.
Der ganze Abend war interkulturell gestaltet: neben Lichtkunst gab es auch Platz für die traditionelle Musik der Roma. Wer bereits in einem Roma Viertel war, der weiß, was das bedeutet: Ausgelassen tanzende Massen, ungebrochene Euphorie und Ekstase. Neben hunderten Romi haben auch eine Handvoll Bulgaren ihren Weg nach Stolipinovo gefunden. Vor allem Leute aus der Kultur- und Kunstszene. Die meisten Einwohner von Plovdiv trauen sich nicht nach Stolipinovo – sie haben Angst vor Roma, sie denken dort ausgeraubt zu werden. Rassistische Ressentiments beherrschen die Einstellung gegenüber dieser ethnischen Minderheit.
Die Realität sah natürlich ganz anders aus. Sobald wir anfingen zu tanzen, kamen 10, 20 Roma angerannt, umringten uns, klatschten, jubelten. Die nächsten Minuten folgt ein inter-kulturelles Tanzbattle – mit Einflüssen aus Shuffle (elektronische Musik), Horo (Bulgarischer Nationaltanz), Kjutschek (ursprünglich türkischer Tanz, übernommen von den Roma).
Die leidenschaftliche und extrovertierte Art der Romakultur ist es, was uns fehlt. Besonders, wenn wir morgens an der Bushaltestelle stehen und in unser Smartphone glotzen, mit unseren Kopfhörern Musik hören und uns von unserer Umwelt komplett abschotten.
Die ursprüngliche Idee des Eröffnungsevents war, den Roma zeitgenössische Lichtkunst näherzubringen. Allerdings hat die Veranstaltung auch einen guten Beitrag geleistet Menschen verschiedener Ethnien zusammenzubringen. Hand in Hand zu tanzen. Am Ende sehe ich hier und dort einige Leute Facebook Kontakte austauschen. Ich bekomme am nächsten Morgen einen Anruf über Facebook von Ibrahim, den ich am Vorabend in Stolipinovo getroffen habe. Wir verabreden uns auf einen Kaffee in der nächsten Woche – diesmal im Stadtzentrum. Schade ist bloß, dass nur wenige Leute der Einladung nach Stolipinovo gefolgt sind.
Der zweite Festivaltag präsentierte sich in einem konventionelleren Format. Im Zentrum für zeitgenössische Kunst, einem alten türkischen Bad wurde die Hauptausstellung eröffnet.
Im verdunkelten Eingangssaal kann man sich auf im Schwarzlicht leuchtende weiße Kissen legen und weiß-leuchtende Wolken, die von der gigantischen Decke hängen betrachten. Wer dabei bereits schläfrig wird sollte unbedingt in den nächsten Raum – hier wartet eine Konfettischlacht! Die weißen Papierfetzen leuchten im Schwarzlicht und sprenkeln die Besucher mit lauter weißen Punkten. Dicht an dicht drängen sich die Besucher durch das dunkle Labyrinth des türkischen Bades. In einem Raum brennen Kerzen. Ein Sensor daneben gibt ein Geräusch von sich, welches von der Helligkeit abhängt. Bei hellem Licht ist der Sound schrill, wenn man den Sensor mit der Hand verdunkelt ertönt ein tiefer Bass. Wer sich geschickt anstellt kann mit den Händen und dem Sensor Rhythmen simulieren.
Nach Einbruch der Dunkelheit werden auch die anderen Installationen, die sich im Stadtzentrum verteilen in Betrieb genommen. Am römischen Stadion befindet sich eine elektronische LED Lichttafel. Die Tafel ist wasserempfindlich: wer mit einem Nassen Schwamm darüber streicht kann die Lichter zum Leuchten bringen, einen Text schreiben oder ein Muster darauf malen. Um die Lichter wieder zu löschen muss die Oberfläche der Tafel mit einem Tuch getrocknet werden.
An einer Wasserfontäne am Ende der Treppe, welche zu einem der 6 Hügel der Stadt führt befindet sich eine weitere Installation: eine nackte Frau räkelt sich in der Fontäne. Das Video wird auf die gerade fallende Wasserwand projiziert, wo sich Licht und Wasser treffen entsteht ein Bild, das sich bewegt. Die Frau erscheint wie aus dem nichts und ihre Bewegungen wirken erschreckend echt – fasst scheint sie sich tatsächlich unter dem Wasserstrahl zu duschen.
An der Hauptfiliale der Post befindet sich eine weitere LED Tafel – diesmal ist sie allerdings mit Bewegungssensoren ausgestattet. Der Nutzer kann das Licht und die abgebildeten Muster mit eigenen Körperbewegungen steuern, ohne dabei die Tafel zu berühren.
Auf dem großen Platz neben der Post spielen DJs auf einem großen Soundsystem. Melodischer Techno und funkiger House locken allerdings nur wenige Besucher. Der riesige Platz ist fast leer. Ich denke an den Abend in Stolipinovo, an die ganzen Menschenmassen, die die Party besucht haben. Der Mentalitätsunterschied ist wirklich groß.
Allerdings sind viele zu diesem Zeitpunkt wohl auch in der Kirche, das orthodoxe Osterfest feiern. Auf meinem Rückweg begegne ich hunderten Menschen, die um Mitternacht mit Kerzen aus der Kirche nach Hause ziehen. Dem Brauch nach muss man mit der Kerze die Kirche dreimal umkreisen und das Licht darf dabei (und anscheinend auch auf dem ganzen Heimweg) nicht erlöschen. So sind neben zeitgenössischer Lichtkunst in dieser Nacht auch traditionelle Lichtbräuche präsent.
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