Lühike aruanne
Wenn sich Neues mit Gewohnheit mischt und langsam normal wird
Einige Zeit ist vergangen.. Zeit, in der ich Gelegenheit hatte, vieles auf mich wirken zu lassen und zu verarbeiten.
Das on-arrival training in Rakvere war super gewesen und ich hätte es so nicht erwartet. Vielleicht lag es an der tollen Gruppe, mit der man sich austauschen konnte, oder auch an den Trainern, die uns auf unterschiedlichste Weise immer wieder motivieren konnten, aber ich habe das Gefühl, dass es mich weitergebracht hat. Fünf Tage, in denen wir über die estnische Kultur und Sprache, über verschiedene Phasen, die man während so einer Zeit im Ausland durchlaufen wird, über Erfahrungen, Ängste, Ziele und Schwierigkeiten - zum Beispiel in der Kommunikation - gesprochen haben, und ich fühle mich mehr vorbereitet als vorher.. auch wenn es mir erst jetzt so richtig bewusst wird.
Die Tage in meinem Projekt vergehen so schnell, dass ich am Ende einer Woche erstmal überlegen muss, an welchem Tag eigentlich was passiert ist.
Meine Aufnahmeorganisation Päevakeskus Käo, was so viel wie Tageszentrum heißt, hat hier in Tallinn drei Häuser. Eins mit geistig behinderten Kindern und zwei mit geistig behinderten Erwachsenen. Ich arbeite quasi in dem "Mutterhaus" dieser Organisation, das direkt neben meiner Unterkunft liegt, mit geistig behinderten Erwachsenen.
Jede Einrichtung hat ihre Gruppen, in die die Klienten eingeteilt sind. Meine Gruppe heißt Aroonia, was im Deutschen für Aronia (Apfelbeeren) steht. Zusammen mit zwei Sozialarbeitern und einer in Ausbildung betreue ich insgesamt sechs Klienten mit unterschiedlichen Handicaps, von denen allerdings nicht immer alle jeden Tag da sind. Hauptsächlich haben die Klienten in dieser Gruppe authistische Züge, die aber bei jedem unterschiedlich ausgeprägt sind bzw. in Erscheinung treten. So reden welche fast nichts oder nur sehr undeutlich und andere besonders viel und deutlich. Das ist beiderseits ein Vorteil für mich, denn so höre ich tagsüber durchgehend gesprochenes Estnisch und lerne wiederum genauso aus dem Undeutlichen einzelne estnische Wörter zu erkennen. Und da ich bis auf mit meinen Kollegen durchgängig während meiner Arbeit auf Estnisch kommunizieren muss, hilft mir das enorm.
Meine Arbeit sieht im Detail beispielsweise so aus:
Jeden Morgen machen wir mit den Klienten einen Morgenzirkel, was als Hommikuring bezeichnet wird. In diesem Morgenzirkel sitzen alle Klienten und Mitarbeiter in den jeweiligen Gruppen zusammen an einem Tisch und als erstes wird eine Kerze angezündet. Danach sprechen wir über das Wetter, das draußen ist, welchen Wochentag und welches Datum wir haben und wer von den Klienten und den Mitarbeitern anwesend ist. Dazu werden Schablonen von jedem Klient zum nächsten gereicht, auf denen das Wort steht und darunter das entsprechende Bild abgebildet ist, die Wörter werden laut gesagt und man macht Gesten dazu. So können sich die Klienten das auf unterschiedlichste Weise einprägen. Anschließend wird jeder Anwesende in der Gruppe Willkommen geheißen und die Kerze gelöscht. Nun holt jeder Klient seinen Ordner und sein Brett und es wird darüber gesprochen, wie der Tagesplan für den Tag aussieht - sprich welche Aktivitäten die Klienten haben werden. Dazu hat jeder Klient in seinem Ordner kleine Schablonen, auf denen die Aktivitäten sowohl in Schrift als auch in Bild zu finden sind, und muss diese, wenn sie genannt werden, auf sein Brett mittels Klettstreifen heften. Anhand dieses Brettes sieht er dann den ganzen Tag über, was als nächstes kommt oder schon dran war.
Ein Tagesablauf kann zum Beispiel so aussehen:
- hommikuring (Morgenzirkel)
- vabaeg (Freizeit)
- workshop: zum Beispiel individuelle Untersetzer aus Ton mit Muster für Kerzen herstellen, die dann verkauft werden
- söömine (Essen)
- individualne töö (individuelle Arbeit)
- audioraamat (bestimmte Lieder hören)
- õu (Spazirgang an der frischen Luft)
- vabaeg (Freizeit)
- tee joomine (Teetrinken)
Mir macht die Arbeit mit den Klienten sehr viel Spaß und ich hatte Glück in dieser Gruppe gelandet zu sein, denn ich komme gut mit meinen Kollegen und auch mit den Klienten klar. In meiner Gruppe sind nur estnische Klienten, andere Gruppen sind entweder komplett russisch oder gemischt.
Aber auch außerhalb der Arbeit gibt es sehr viel Neues. Zum Beispiel gab es vergangenen Freitag einen Estnischen Abend im Jugendzentrum Kesklinna Noortekeskus, wo viele Freiwillige und Studenten aus unterschiedlichsten Ländern und unterschiedlichen Alters zusammenkamen und estnisches Essen, estnische Tänze und traditionelle estnische Kleidung ausprobieren konnten.
Am Samstag stand dann ein Tagestrip nach Helsinki mit anderen Freiwilligen, die ich hier kennengelernt habe, auf dem Programm. Die Hauptstadt des finnischen Nachbarn ist teilweise sehr schön und ich hatte das Gefühl, man kommt dort mit Englisch besser aus als hier in Estland, doch habe ich festgestellt, dass ich froh bin, nicht dort sondern in Tallinn meinen EVS machen zu können.. Von der Mentalität, der Stadt, der Sprache (Finnisch klingt in meinen Ohren härter) und dem Lebensgefühl her. Die Esten sind uns Deutschen wohl doch ein Stück ähnlicher.
Heute war dann ein schöner, ganz normaler Tag in Tallinn, an dem ich diesen Flecken der Erde nochmal von einer anderen Seite aus kennenlernen konnte und mir bewusst wurde, wie sehr ich ihn bereits in mein Herz geschlossen habe.
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