Luces y sombras
Ein stressfreier Samstag mit 5-stündiger Wanderung und Schnuppersingen bei dem Orfeón Reino de los Mallos.
Gestern hab ich Laeti gefragt, ob sie Lust hätte auf eine Wanderung morgen. Weil wir ja nicht einkaufen müssen, das haben wir am Freitag schon gemacht. „Ah“ hat sie gemacht und dann „Sí claro, porque no.“ Also abgemacht. Trotzdem bleibe ich am Samstagmorgen erst mal noch im Bett liegen und gucke die Decke an. Sonst habe ich dazu nie Zeit. Langsam stehe ich auf, mache mir ein Müsli und steige wieder ins Bett, mit dem NEON-Heft auf den Knien. Danach klopfe ich an Laetis Zimmertür (sie ist auch noch im Schlafanzug)und hake nochmal nach, sie hat immer noch Lust. Wir packen eine Rolle Kekse, zwei Flaschen Wasser, eine Orange, Taschentücher, unsere Handys und meine Kamera in eine Tasche und gehen los. Auf dem ersten Stück Weg kennen wir uns noch aus, das sind wir schon mal gelaufen, mussten aber wieder zurück. Heute haben wir alle Zeit der Welt, aber leider nicht die Puste, um alle Gipfel zu erklimmen. Wir sind doch immer noch etwas angeschlagen. Auch auf den normalen Wegen begegnen wir außergewöhnlich vielen Leuten, anderen Wanderern, Hundezüchtern und Familien. Vielleicht liegt das am Wetter, da hatten wir echt Glück: 16 °, zwar kein Sonnenschein, aber auch kein Regen und nur ein bisschen Wind. Der Boden ist an vielen Stellen sehr zerfurcht, das sind wohl noch die Spuren von dem vielen Regen von vor zwei Wochen. Unglaublich! Ist das wirklich schon zwei Wochen her? In der Zwischenzeit ist so viel passiert, das wirkt alles schon so weit weg. Es geht hoch und runter, manchmal gibt es noch einen zweiten Weg und dann entscheiden wir spontan. Einmal gelangen wir an einen Elektrozaun und müssen wieder umkehren. Irgendwann fängt es an zu tropfen, als wir gerade auf einem Felsen Pause machen und die zerkrümelten Kekse vorsichtig in den Mund stopfen. Mist, ich wollte mich doch gerade an meiner Freiheit und Ungezwungenheit erfreuen! Das habe ich nämlich auf dem Felsen sitzend gemerkt, dass ich grade sehr frei bin: niemand zwingt mich zu irgendwas, ich kann solange wandern, wie ich möchte, wohin ich will und ich lasse mich nicht von Gedanken an stressige Arbeit, Schule oder sonst was ablenken. Welch seltener Genuss! Schnell packen wir alles zusammen und gehen weiter, bis wir auf ein verlassenes Gebäude stoßen. Ein Schafstall, wie wir merken. Wir stellen uns ein bisschen unter, essen Orange und eigentlich ist es doch kein richtiger Regen, also gehen wir weiter. In der Ferne wirken die Felsen Mallos de Riglos so nah, dass ich am liebsten rüber springen und rauf klettern würde. Nur, in Wirklichkeit ist es doch ein bisschen weiter, aber immerhin kommen wir bis zum Río Gállego, der auch noch sehr viel Wasser hat. Und einige Meter weiter entdecken wir zum ersten Mal ein Schild, dass uns erklärt, wie wir wohl gerade gelaufen sind, welches das Dorf in der Nähe ist und dass es bis Ayerbe zurück ganze 6,6 Kilometer sind. Uff! Langsam sind wir schlapp und so machen wir uns auf den Rückweg, nicht mehr mit so viel Elan und ignorieren die Warnschilder, die auf Erdrutsche hinweisen. Puh, zuhause erst mal ein stärkendes Käsesandwich und eine heiße Dusche. Als wir auf dem Weg zum Chor wieder auf die Straße treten, fühle ich mich wie ein neuer Mensch und gewappnet, diesen Chor kennenzulernen, zu dem ich ja eigentlich vor einem Monat schon mal hingehen wollte. Die Frau, die das Tor zu der Schule, wo die Probe stattfindet, aufschließt, ist begeistert, wir sind jung, singen Sopran und zumindest ich, habe Erfahrung und kann Noten lesen. Quimiena hat mich nicht zu Unrecht darauf hingewiesen, dass es alles alte Leute sind- ich bin wieder die Jüngste. Aber es scheint eher einen Mangel an Sopränen als einen an Männern zu geben. Alle sind total nett und auch der Dirigent merkt gleich, dass da zwei Neue sind und lädt uns zu dem nächsten Konzert ein. Das hier ist die letzte Probe vor dem Konzert, drum geht’s an die Stücke, die noch nicht so sitzen. Verzweifelt versucht Juan, der Dirigent, die Sänger dazu zu bringen, piano zu singen, besonders die Männer hinter mir holen echt alles aus ihrer Lunge heraus. In meinem Chor in Deutschland war das Problem umgekehrt- wir waren dem Dirigenten immer zu leise, wenn es ans fortissimo ging. Aber auch wenn hier viele Töne nicht sitzen, alle singen aus voller Kehle. Auch die englischen Lieder sind eine Herausforderung. Zum Glück kann eine Frau aus dem Chor Englisch und hat die Lieder in Lautschrift umgeschrieben, sodass es halbwegs nach Englisch klingt, wenn „The Orinoco Flow“ gesungen wird. Ich beruhige meine Nebenfrau, dass die Älteren in Deutschland das gleiche Problem haben. Was wir nicht haben ist eine eigene Solistin. Hier singt eine der raren Sopranisten mit toller, kräftiger Stimme die Soloparts. Während Laeti neben mir sitzt und nicht einmal den Mund aufmacht, bin ich voll dabei und versuche selbst komplizierte lateinische oder hebräische Sachen mitzusingen. Und dann freue ich mich, als der Dirigent im März eine Messe in Zaragoza ankündigt, bei dem der Chor singen wird- da bin ich doch dabei. Und wir sehen uns am nächsten Freitag bei dem Chillout-Konzert in Huesca, ganz sicher. Beschwingt und mit summendem Kopf gehe ich nach Hause.