Lebe den Tag (und nutze die Gelegenheit)
"Es begann mit Fremdschämen". Frauqui hat den Bundesvision Songkontext gesehen und fragt sich, ob Marcel Reich-Ranicki vielleicht doch recht hatte...
Es begann mit Fremdscham.
Dann stiegen meine mittlerweile stark ausgeprägten Aversionen gegen die Fernsehlandschaft der deutschen Privatsender an die Oberfläche. Die Idee, dass die Aktion des Moderators mit dem bezeichnend bescheuerten Namen "Morgenhans" eigentlich ganz schön mutig war, klang so absurd, dass mein Verstand sich zunächst weigerte, diese Möglichkeit in Betracht zu ziehen. Aber eigentlich hatte das seltsame Gefühl von Bewunderung recht.
Der Bundesvision Songkontest auf Pro Sieben, moderiert von Stefan Raab und der niedlichen Johanna von den Viva-Charts, verzeichnete auch in diesem Jahr wieder Rekordeinschaltquoten. Meiner Meinung nach entweder ein Zeichen von verstärktem Länder-Patriotismus oder einfach immer schneller voranschreitender Volksverblödung, angesichts der mehr als mauen Moderation mit Unterstützung des plump-peinlichen Raab-Maskottchens Elton und den seltsamen Szenen, die von den Radiomoderatoren der einzelnen Länder präsentiert wurden.
Die Musiker wurden außer ihrer drei-Minuten-Auftritte nur kurz bei der Einnahem diverser Getränke im Backstage-Bereich gezeigt und von Praktikant Elton mit dämlichen Fragen genervt.
Eine dieser Handinnenfläche-gegen-die-Stirn-Situationen erregte dabei besonderes Aufsehen und sorgte selbst bei Spaßkasper Stefan Raab für Sprachlosigkeit hinter den falschen Zähnen.
Das Baden-Württembergische "BigFM" wartete mit einem Moderatorenpärchen der Standardausführung auf: Ein 08/15-Typ (wenn auch zugegebenermaßen mit recht schrillen Jacket) etwa Mitte 30, oben bereits erwähnter "Morgenhans" und "die schöne Tschechin Sunsanka", eigentlich Susanne, aber wegen der osteuropäischen Vorfahren exotisiert.
Wie all ihre Vorgänger versuchten sich auch die beiden Vertreter des Landes, das durch Cassandra Steen auf dem vierten Platz landete, mit dem gröhlenden Publikum im Hintergrund als Stimmungskanonen und mit ebenso mittelmäßigem Erfolg. Als es zur Verteilung der Punkte für die einzelnen Darbietungen kam, gab sich "Morgenhans" großzügig- er selbst habe schließlich die beiden besten Punkte direkt neben sich. Und mit einer Geste, die mit Sicherheit die Rate der durch zu schnelles Runterklappen ausgerenkten Kiefer in Deutschland in die Höhe schießen ließ, griff er seiner Komoderatorin durch den Hauch von einem pinken Top direkt an die wohlgeformte Brust.
Mit einer Schnelligkeit, dass man beinahe von Planung ausgehen MUSS, holte "die schöne Susanka" aus und schlug ihrem Kollegen mit der flachen Hand ins Gesicht. Die Schlagintensität und ihr Gesichtsausdruck im weiteren Verlauf dagegen lassen eher darauf schließen, dass Hänschen eine nie wiederkehrende Gelegenheit im wahrsten Sinne des Wortes "ergriffen" hat, was die Aktion nicht zum allerpeinlichsten Stand-Up-Comedy-Versuch der Sendung machen würde, sondern zu einer Heldentat unter den Freidenkern.
Sicherlich ist meine oben beschriebene Reaktion auf das Geschehen in Stuttgart nach der Beschreibung verständlich, auch wenn der geneigte Leser nun vermutlich ungläubig den Kopf schüttelt ob meines Titels "Held der Freidenker".
Aber wenn man tatsächlich annimmt, der Grabscher war kein peinlicher Ruf nach Aufmerksamkeit, den sich die Zuständigen Spaßmacher von BigFM ausgedacht haben: Wie dreist ist es bitte, vor ein paar Millionen Zuschauern in Deutschland, Österreich, der Schweiz und wer weiß wie vielen anderen internationalen Beobachtern der eigenen Kollegin in den Ausschnitt zu greifen!?
Ich will mich keinesfalls für eine Reduzierung des weiblichen Geschlechts auf physische Attribute aussprechen. Es geht auch nicht darum, der Welt da draußen zu empfehlen, dem hübschen Mädchen aus der Disko um die Ecke beim nächsten Mal als clevere Flirtstrategie unters T-shirt zu langen.
Aber dieser Typ hat, wenn es denn ungeplant vonstatten gegangen ist, etwas getan, wovor er sicherlich Angst hatte. Und nach dem ihm sicherlich harte Konsequenzen drohen- beruflich, privat, in der Öffentlichkeit. Aber er hat seine Angst überwunden, die Konsequenzen in den Wind geschossen, und eine einmalige Gelegenheit nicht einfach verstreichen lassen: Seiner sexy Kollegin vor Millionen von Fernsehzuschauern live "die zwei besten Punkte des Abends" zu tätscheln.
Sicher, sie war sauer. Er hat sich eine gefangen. Es war für beide peinlich. Die Chefs von BigFM toben mit Sicherheit. Die Hörer kommentieren die Tat zu Hunderten auf der Website des Senders, die meisten von ihnen mit der Intention, ihr maßloses Entsetzen und ihre Abscheu gegenüber "Morgenhans" auszudrücken. Trotzdem bin ich sicher, dass er sich als Held gefühlt hat. Und mit einem Lächeln auf den Lippen eingeschlafen ist.
Im Gegensatz übrigens zu Kontestgewinnder Peter Fox. Dem fiel das Lächeln zum Schluss angesichts der qualitativ katastrophalen Show deutlich schwer, nachdem Elton ihn nach seinem Sieg dummdreist auf die Bühne schob und Raab ihm eine Best-friends-forever-Umarmung aufgezwungen hatte. Vielleicht hatte Reich-Ranicki doch recht.
>>> Das Video zur gewagten Grabschaktion, zur Verfügung gestellt von BigFM selbst: http://morgenhans.blogspot.com/2009/02/bundesvision-songcontest.html - ein Paradebeispiel der aktuellen deutschen Medienlandschaft <<<