Lauffeuer, Hybrid-Autos und Recycling
Die Landbevölkerung der Ebene hat andere Sorgen und Bedürfnisse als das, was ich aus Deutschland gewohnt bin.
Nach nun gut zwei Monaten in Kanada habe ich viele neue Dinge gesehen und einen gänzlich anderen Lebensstil kennen und lieben gelernt. Sorgen, Ängste und Nöte der Menschen hier in der Prärie sind doch sehr anders als das, was ich aus Deutschland gewohnt bin - und einige der Unterschiede, die mir am Signifikantesten erscheinen, möchte ich hier kurz vorstellen.
Imperial VS Metrisch
Kanada ist Teil des Commonwealth, und Nachbar der USA. Distanzen und andere Messwerte, Schrauben und Muttern findet man sowohl in imperialen Werten, als auch in metrischen.
Gewichte werden in Pfunden angegeben, Distanzen oft in Kilometern - wobei die Geschwindigkeitsangabe im Auto sowohl in Meilen als auch in Kilometern angegeben wird - geht es um das Einpassen von Möbelstücken, spricht man allerdings von Fuß und Zoll. Der Werkzeugkasten zum Reparieren von Maschinen hat sowohl Schlüssel für metrische als auch für imperiale Schrauben, und an unserer Ballenpresse findet man die Systeme sogar gemischt.
Es ist erstaunlich, wie schnell man sich daran gewöhnt statt in Zentimetern in Zoll zu sprechen, auch wenn ich für mich selbst alles im Kopf immer noch in Zentimeter umrechne.
Stille und Leere
Stille und Leere, das ist wahrscheinlich einer der Punkte, der am offensichtlichsten ist. Viele Einwanderer nach Kanada werden von den Einheimischen als “Silence Seekers” (Stille-Sucher) bezeichnet, weil sie ihr Land verlassen haben, da es ihnen dort zu laut und zu voll war.
Kanada ist flächenmäßig vergleichbar mit ganz Europa, hat jedoch nicht einmal die Hälfte der Einwohner Deutschlands - und ein Großteil der Bevölkerung lebt in den großen Städten wie Toronto oder Vancouver. Saskatchewans fünftgrößte Stadt hat gerade einmal 15.000 Einwohner.
Wenn man es nicht selbst gesehen hat, ist es schwer zu verstehen, wie unglaublich leer Kanada ist.
Ich bin kürlich für den Sonnenaufgang auf einen der höchsten Hügel der Ranch gestiegen - mit Sicht auf den See und das Umland - und da war einfach nichts. Nur die Hügel des Flusstals. Kein Ort, vielleicht eine oder zwei Ranches, eine Straße.
Und entsprechend steht es auch um die Lärmbelastung hier. Wenn wir unten im Camp sind und die Koyoten heulen, dann kann man hören, wie die Hunde auf der drei Kilometer entfernten Ranch anfangen zu bellen. Bleibt man eine Weile lang selber still, hört man nicht nur das Zirpen der Grillen, sondern auch Fressgeräusche eines Stachelschweins oder das Singen von allen möglichen Vögeln - oder eben den Schrei eines Adlers. Vielleicht auch muhende Kühe vom anderen Seeufer.
Aber maschinelle, menschliche Geräusche? Kaum.
Lauffeuer und Not-Dienste
Eines der großen Themen während der Ernte ist die Lauffeuer-Gefahr. Mähdrescher und Ballenpressen können während der Arbeit sehr heißt werden, insbesondere wenn sie nach fast einem Jahr Pause nicht richtig gewartet wurden und irgendwo klemmen oder Reibung erzeugen. Einen Feuerlöscher mit sich zu transportieren, sowohl auf dem Traktor als auch bei anderen Maschinen, ist daher ein Muss.
Aber manchmal hilft auch ein Feuerlöscher nicht mehr, besonders wenn Wochen der Dürre und starker Wind einen einzelnen Funken blitzschnell zum Strohfeuer entfachen können. Während meines Aufenhalts auf La Reata hat es in der Umgebung schon drei kleinere Flächenbrände gegeben - einen auf der anderen Seite des Sees, doch der Rauch hat auch den Hof der Ranch eine Weile lang ganz diesig gemacht, ein kleines auf einem der Ranch beanchbarten Felder und ein größeres nördlich von White Bear (dort sind 350 Morgen Land verbrannt).
Bei solchen Feuern ruft man zuerst die Feuerwehr und dann alle seine Freunde an - denn eigentlich jeder Rancher hier draußen hat in seinem Fuhrpark auch einen Wassertank-Laster, der in der Erntezeit jederzeit gefüllt bereit steht, falls jemand Hilfe bei einem Feuer braucht. Viele Farmer nehmen ihren Tank-Wagen direkt mit zum Feld, um Löschwasser vor Ort zu haben, sollte es tatsächlich zu einem Feuer kommen - denn auch wenn man den Notruf ruft, dauert es eine Weile, bis die Feuerwehr auftaucht. Hier, beispielsweise, ist die nächste Feuerwache in Kyle, und man braucht von La Reata gut 20-30 Minuten bis dort.
Dasselbe gilt auch für andere Notrufe - die Landbevölkerung muss robust sein, denn das nächste Krankenhaus ist in Saskatoon (ca. 250-300km entfernt), wobei Swift Current ein medizinisches Zentrum hat, in dem weniger gefährliche Verletzungen und Krankheiten versorgt werden können.
Transportiert wird daher nicht mit Krankenwagen, sondern direkt mit dem Hubschrauber.
Die einzigen, die man ab und an auch hier draußen sieht, sind Polizisten - auf dem See kontrollieren sie, dass Kapitäne keinen Alkohol trinken, und ab und an patroullieren sie auf Motorrad oder in Streifenwagen die Ein- und Ausgänge der Ortschaften.
Infrastruktur und Feldwege
Bei den großen Distanzen, die man hier findet, werden auch Infrastrukturen anders gehandhabt als in Deutschland. Man kann schlecht Frischwasser- und Abwasserkanäle zu jeder noch so kleinen und abgelegenen Ranch legen, der Wartungsaufwand wäre schlicht und einfach zu groß und zu teuer.
Stattdessen haben die Ranches Tiefbrunnen und Klärbehälter, die für Frisch- und Abwasser angelegt sind, und Filterpumpen, um an Trinkwasser zu gelangen.
Auch Strom und Internet werden hier draußen anders an den Mann gebracht - viele Ranches haben Satelliten-Internet, denn Kabel werden kaum bis keine verlegt, und wenn der Wind mal etwas stärker ist, kann es auch sein, dass das Internet für eine Weile ausfällt.
Selbes gilt für den Strom. Zwischen Orten sind die Leitungen oberirdisch verlaufend, die letzten paar Kilometer zu den Ranches dann allerdings unterirdisch. Aber kurze Aussetzer im Strom sind nichts Ungewöhnliches - wobei der längste Stromausfall, den wir in meiner Anwesenheit hier bisher hatten, nur zwei oder drei Stunden gedauert hat.
Der letzte Infrastrukturpunkt sind die Straßen - während in Deutschland das meiste geteert ist, sind geteerte Straßen hier in Saskatchewan eine Art Privileg für Highways und größere Ortschaften. Stattdessen nutzt man hier einfache Feldwege, die von der Ortsverwaltung instand gehalten werden.
Trucks und Hybrid-Autos
Feldwege anstelle von festen Straßen fragen natürlich auch nach einem gänzlich anderen Auto-Bedürfnis. Ohne einen Truck, der bei schlechtem Wetter auch auf Vierrad-Antrieb umschalten kann, kommt man hier draußen nicht weit.
Die Fahrzeuge, die man hier sieht und fährt, sind groß. Und bei dem vielen Raum, den man hier hat, ergibt das durchaus auch Sinn. Man braucht stabile Fahrzeuge, um gut voranzukommen, und man braucht große und bequeme Gefährte für die langen Strecken, die man zum Beispiel zum Einkaufen fahren muss. SUVs, die mich in Deutschland immer wegen ihrer Größe und Klobigkeit gestört haben, sind hier neben den Trucks die am Häufigsten vorkommenden Autos - und sehen auch so aus, als würden sie zum Land passen.
Aus Neugierde habe ich auch mal nach Hybrid- und Elektrowagen gefragt - und habe gelernt, dass sie hier draußen keinen großen Nutzen haben, weil es im Winter für die Akkus zu kalt wird, und man sie den gesamten Winter über mit Benzin fahren muss. Daher sind Hybrid-Wagen hier draußen eine absolute Ausnahme.
Recycling und Plastikmüll
Der letzte Punkt ist das Recycling-Verhalten der Rancher, und ihr Umgang mit Müll. So, wie man sich auch selbst um Abwasser kümmern muss, so wird auch der Müll nur sehr selten abgeholt. Es gibt einen großen Container, in den alles hineingeworfen wird, was entsorgt werden soll - von Hausmüll über Hundehaare bis zu Holzabfällen ist da alles dabei.
Und weil alles zusammengeworfen wird, sind Rancher auch nicht sehr begeistert von zu vielen Verpackungen - George regt sich gerne über all die Plastikfolien um alles herum auf, denn das ist Müll der einfach gar nichts bringt, und den man auch nicht noch für etwas anderes verwenden kann, wie das zum Beispiel bei Papier oder Kartons der Fall ist.
Was ich jedoch sehr liebe, ist das Recycling, das hier in Kanada betrieben wird - auf fast alle Lebensmittelcontainer wird ein kleines Pfand erhoben, Dosen, Flaschen, sogar Saft- und Milchpackungen. Diese werden in großen Beuteln gesammelt und alle paar Monate abgegeben, und da kommt schon einiges zusammen.
Alles in Allem sieht man schon, dass Kanada eine westliche Kultur ist, aber das Verhalten der Menschen hier ist so anders, dass ich schon jetzt befürchte, dass mein Kulturschock nach meiner Rückkehr nach Deutschland deutlich größer sein wird als nach Ungarn.