Laaaangeweile und Halloweenkostüme
Ganze 14 Stunden Rundreise durch den Süden Estlands, mit Führungen, deren Erklärungen, so es denn welche gab, größtenteils unverständlich waren – auf diese Erfahrung hätte Svenschka gut und gern verzichten können. Dafür waren Partys und Trainings umso spaßiger, auch wenn sie manchmal erst frühmorgens ins Bett kam.
Mensch, jetzt wird es auch mal wieder Zeit für einen Tagebucheintrag. Meistens denke ich, ich erlebe ja gar nichts Interessantes. Wenn ich richtig nachdenke, ist aber jeder Tag etwas ganz Besonderes, dass nehme ich schon gar nicht mehr richtig wahr...
Nachtrag zu Pfadfindern
Mein letzter Eintrag war zu meinem Wochenende bei den Pfadfindern und ich habe festgestellt, dass ich gar nicht erwähnt habe, warum ich da eigentlich hin sollte. Oksana, meine Tutorin, ist eine der Vorsitzenden der estnischen Gaidid-Liit, also der Guides. Die organisieren jedes Jahr Aktivitäten und dieses Wochenende, an dem ich teilnahm, war für die 15-18 jährigen und stand ganz im Zeichen Hollywoods. Es war eben einfach nur ein schönes Zusammentreffen von Pfadfindern zwischen 15 und 18 aus ganz Estland. Ein Motto-Camp quasi.
Das ist glaube ich schon wieder fast einen Monat her. Die Zeit vergeht einfach viel zu schnell.
Lange Nächte, Partys und Gefängnisatmosphäre
Seitdem habe ich so Einiges miterlebt: Lange Nächte und lange Partys mit zu wenig Schlaf und zu viel Spaß. Und das On-Arrival-Training. Das war wundervoll, und ich denke, da werden mir alle Freiwilligen, die dort waren, beipflichten können. Das Training fand hier in Tallinn statt, nächsten Monat ist ein weiteres geplant, das in Saku stattfinden wird. Zwischen viel Reflektion und Diskussion fanden wir auch die Zeit, in einem Recycling-Center unsere Hilfe anzubieten, was wirklich Spaß gemacht hat.
Außerdem war ich im Gefängnis Patarei. Patarei bedeutet auf Deutsch „Batterie“. Warum, verstehe ich nicht, wurde auch nicht erklärt. Aron hatte diesen Trip organisiert, Führungen gab es nicht regelmäßig und auch nur auf Anfrage und für Gruppen von über 20 Personen. Es war schrecklich.
Patarei wurde als russische Seefestung gebaut und später zu einem Gefängnis umgewandelt, steht aber seit zwei Jahren leer und wird nicht mehr benutzt. Das Gefängnis steht direkt am Meer im Stadtteil Kopli. Und es herrschten wahrlich Verhältnisse dort, dass ich sagen würde: Selbst einer Ratte wäre es unwürdig, in solchen Verhältnissen wohnen zu müssen. Es war einfach schrecklich.
Direkt zu Beginn der Führung wurde uns gesagt, man solle nichts anfassen, es wimmele von Tuberkulosebakterien. Im Laufe der Führung erfuhren wir, dass es nie jemanden gelang, aus Patarei zu flüchten. Und dass viele Menschen dort ihren Tod fanden - noch 1991 wurde die letzte Todesstrafe durch Erschießung ausgeführt. Außerdem wurden viele Juden auf Hitlers Geheiß hierher deportiert. Über 222 von ihnen fanden den Tod und wurden irgendwo im Gebäude ermordet, fast 900 Kinder, Frauen, Männer und Alte wurden nach Patarei verschleppt. In Hochzeiten lebten mehr als 2000 Männer und Frauen dort.
Vorgestern habe ich übrigens gelesen, dass es seit einer Woche verboten ist, Patarei ohne Sicherheitsanzüge und Atemmasken zu betreten - aufgrund der Tuberkulosebakterien und dem Schimmel vor Ort. Ich war vor zwei Wochen dort. Wer wissen möchte, wie das Gebäude aussieht: Hier gibt es eine Luftaufnahme des Gefängnisses Patarai zu sehen.
Laaaaangweiliger Ausflug nach Süd-Estland
Dann war da noch der Süd-Estland Ausflug mit meinem Jugendzentrum: Mein SMS-Testament an Jan wurde von ihm gleich abgelehnt. Ich wäre vor Langeweile fast gestorben und wollte nur, dass Jana, eine Mitarbeiterin der Gemeinde, für die ich arbeite, ein ganz kleines bisschen deshalb leiden muss. Durch Jan initiiert. Es war alles ihre Schuld (und sowieso haben ja eh immer die anderen Schuld).
Wir fuhren also nach Tartu, hatten dort ganze 20 Minuten Aufenthalt um dann weiter nach Räpina, wo wir uns ein altes deutsches Herrenhaus ansahen (glaube ich jedenfalls, dank mangelndem Übersetzungswillen von Jana).
Von dort aus ging es nach Värska, wo wir ein bisschen dem Peipsisee auf und ab wanderten (und der Führer ununterbrochen irgendetwas brabbelte, von dem mir immer noch nichts übersetzt wurde). Dort wollten wir eigentlich auch ein Setu-Museum (Setu = ein Volksstamm, der in Süd-Estland heimisch ist) besuchen, worauf ich mich am meisten gefreut hatte. Jana verkündete aber lauthals, dass sie keine Lust auf Museen hatte, und so fuhren wir einfach weiter.
Von Värska aus fuhren wir nach Obinitsa, einem sehr kleinen Dorf, in dem wir dann nichtsdestotrotz doch noch ein Minimuseum besuchten. Und das war wirklich klein. Stellt euch eine Streichholzschachtel in ein bisschen größer vor. Und das meine ich wortwörtlich. Jana blieb übrigens gleich im Bus sitzen.
Von Obinitsa fuhren wir nach Meremäe. Warum, wird mir wohl für immer verschlossen bleiben.
Von Meremäe aus ging es dann nach Vana-Vastseliina, wo eine Burgruine war. Hübsche Burgruine. Keine Ahnung, warum dort eine Burgruine stand, aber wir haben uns dort eine Stunde aufgehalten - ohne dass es jemand für nötig hielt, mir wenigstens zu sagen, wie der Ort hieß.
Das Fragen nach Übersetzungen hatte ich, nach mehrmaligen janaischen Antworten a la "I don't know the english words..." schon in Obinitsa aufgegeben. Eigentlich glaube ich auch nur, dass es eine Burgruine war. Schwören würde ich das nicht!
Kurz darauf kamen wir in Võru an, einem kleinen Ort im Süden Estlands, wo ich von meiner Bekanntschaft, die ich zwei Tage zuvor mit Verena gemacht hatte, profitierte. Verena ist auch eine Freiwillige, die in Võru lebt und mich netterweise auf einen Kakao einlud und mich vor dem endgültigen Tod durch Langeweile und Erfrierungsschäden bewahrte. Nicht, dass ich uninteressiert wäre. Nur ist es schon eeeeetwas langweilig, von 7.30 Uhr morgens bis 21.30 Uhr abends in einem Bus zu sitzen, sich Reden anzuhören und nur ab und zu Bruchteile davon zu verstehen. Stellt es Euch nur vor. Aber nicht zu lange, sonst wird’s frustrierend.
Das einzige, was ich verstanden habe, war der Zwischenstopp in den Puisa-Höhlen, Sandsteinhöhlen, die von Bergarbeitern aus dem Sandstein gegraben wurden. Das war schon interessant. Abends, so muss ich dankend erwähnen, errettete mich Jan noch einmal vor dem schrecklichen Ende, indem wir – wieder einmal - Kakaotrinken waren.
Im Nachhinein wollte mich Jana noch überreden, an einer Führung in Kalev, der führenden Schokoladenmarke Estlands, teilzunehmen. Anderthalb Stunden Schokoladenmachern beim Traumjob zusehen und dann noch nie die Worte der Führung zu verstehen? Kann es eine schlimmere Qual geben? Ich lehnte ab.
Übrigens: ein schönes Foto der Piusa Sandcaves findet sich hier.
Halloween – spaßiger Schrecken
Letzten Montag war ja Halloween. Kurz entschlossen wurde das auch gefeiert mit einigen anderen Freiwilligen, wobei Jan und ich wohl die einzigen waren, die sich auch verkleidet hatten. Ich als Scary Fairy und Jan als schillernde Prinzessin.
Wir ernteten sooo viel Anerkennung, dass sich alle anderen gleich auch noch Verkleidungen suchten: Pierre als Frau, Isabelle als Corinna und Corinna als Corinna, Mark als Vampir und Laure hatte wuschelige Haare. Ich glaube, sie war eine Hexe ;-) Als uns dann Katharina und ihre Freundin Meli besuchen kamen, mussten wir ein Bild für die Götter abgegeben haben.
Nichtsdestotrotz haben wir bis 6.00 Uhr gefeiert um dann, immer noch hübsch verkleidet, um 10.55 Uhr am Tallinner Flughafen Solveig, die Schwester von Gesine, einer Freiwilligen in Tartu, abzuholen. Wenigstens hat sie sich gefreut. Fotos folgen ganz bestimmt noch!
Bowling und Geburtstagspartys
Am gleichen Tag, mehr oder weniger verkatert und übermüdet, stand dann mit meinem Jugendzentrum ein Ausflug zum Bowling an. Man glaubt es kaum, aber 20 pubertierende Teenager mit Riesenkater zu betreuen fällt einem nicht leicht - trotzdem habe ich gewonnen :-) Es war ein schöner Tag und die lieben Mädels haben mich gefragt, ob ich nicht mit ihrer Klasse als Betreuerin nach Stockholm reisen möchte. Und wie ich will!
Apropos reisen: Ich fahre zum Mid-Term-Meeting nach Lettland! Das find ich sehr fesch!
Am Freitag dann beging ich den Fehler, mit Katharina und Meli auf einen Geburtstag zu gehen. Im Grunde genommen waren es zwei, was ich, bis zu dem Zeitpunkt, als wir zum zweiten aufbrachen, auch nicht wusste. Der erste war nicht sehr prall, der zweite dagegen umso mehr. Geladen hatte Geburtstagskind Etienne, französischer Student, man zählte 14 verschiedene Nationalitäten und ich hatte eine Menge Spaß. Und war wieder erst um 6.00 Uhr im Bett.
Übrigens glaube ich, es gibt einen mehr oder weniger heimlich ausgefochtenen Wettkampf zwischen Tallinns Bus-, Trolleybus- und Trammfahrern. Wer kann den nächsten Stopp am wenigsten verständlich herausposaunen? Da wird das liebliche Lilleküla (Blumendorf) mal zum "*röchelhuströchel*Gnajloispkütaaa". Schön für Ortsfremde. Schön für ausländische Freiwillige. Manchmal muss ich etwas lächeln. Und jedes Mal denke ich, der Fahrer gibt sich ganz besonders viel Mühe, am stärksten gelangweilt bei der Arbeit zu klingen. Einen Sieger habe ich noch nicht ausmachen können. Aber vielleicht befinden sie sich auch noch in der Übungsphase. Wobei ich schon feststellen musste, dass die Männer durchschnittlich besser abschneiden als die Frauen. Die weiblichen Fahrer sind einfach zu motiviert. Das macht mir nicht halb so viel Spaß.