L’Auberge Allemande
Mihai Rosioru, 24, aus Constanta, Rumänien, war letztes Jahr Europäischer Freiwilliger in Deutschland. Die Erfahrungen aus dieser Zeit, als er mit Menschen aus vielen unterschiedlichen Ländern ein Jahr zusammenwohnte, haben ihn zu seinem Beitrag inspiriert.
An Alexis, Carlos, Cristina, Eric, Federica, Giovanni, Jakub, Jonathan, Julien, Magdi, Manuel, Maria, Nicolas, Olga, Sofia, Teresia und an die zehn Slowaken
Was ist eigentlich “une auberge”? L’auberge, oder auf Deutsch Herberge, in dem Sinne, in dem der Begriff im 19. Jahrhundert bekannt war, als Europa noch keine Grenzen hatte, war ein Platz, wo Leute, die unterwegs waren, essen, trinken und übernachten, aber auch einander kennen lernen konnten. Zwei hundert Jahre früher war die Herberge ein Platz, wo die Sozialisierung sehr wichtig war.
Jetzt gibt es keine solchen Herbergen mehr in Europa. Es ist einfacher zu reisen, die Welt ist kleiner geworden, aber die Menschen haben keine Zeit und auch nicht immer Lust, Kontakte aufzubauen. Die modernen Hotels sind unpersönlich und beschützen die Intimität ihrer Kunden sehr streng. Die Kunden haben wenig Kontakt zueinander. Sie begegnen einander im Aufzug und schauen sich kaum an. Sie sitzen sich im Frühstücksraum gegenüber und bringen kaum mehr über die Lippen als ein „guten Morgen“ oder ein „Guten Appetit“. Trotzdem, wurde irgendwo in Deutschland, ab September 2004, eine Herberge aufgebaut, die an das alte Muster erinnerte. Nicht bewusst, sondern spontan, sich Tag für Tag aus sich selbst weiterentwickelnd, und aus dem alltäglichen Leben der Menschen, die dort ein Jahr lang miteinander wohnen sollten. Das waren junge Leute aus ungefähr zehn Ländern Europas. Ungefähr vier Monate brauchten sie, um zu entdecken, dass das Haus, in dem sie zusammen wohnten, in dem sie sich auf Esperanto-Englisch unterhielten (weil Deutsch für sie noch zu kompliziert war), in dem sie Infos aus ihren eigenen Ländern tauschten, in dem sie kochten, in dem sie ihre Kleider wuschen, eine “auberge” war. Einmal haben sie um drei Uhr nachts, im Keller des Gebäudes, wo sich ein Fernsehnstudio befand, einen französischen Film über Barcelona geguckt. Und plötzlich haben alle verstanden: das war nicht irgendeine Herberge. Das war die Deutsche Herberge. L’Auberge Allemande.
Der Kern dieser “Auberge Allemande” war die Küche. Eine ganz normale Küche, die im ersten Stock des Wohnheims zu finden war. Früher, als im Wohnheim nur Deutsche wohnten, hatte die Küche ordentlicher ausgesehen. Es gab keine Ausländer, doch die Küche war noch keine ”auberge” Sie bedeutete für die Menschen, die dort aßen oder Fernsehen glotzten nicht mehr als eine Küche.
Aber dann geschah es, dass die Ausländer in diese Küche kamen. Sie begannen die Küche zu ändern. Nicht nur äußerlich dadurch, dass mit der Zeit Poster an den Wänden, ein paar neue Möbel und sogar zwei Verkehrszeichen erschienen, sondern viel mehr gefühlsmäßig. Sie bemerkten kaum, dass die Küche allmählich zu einer auberge wurde. Aber sie trugen alle unbewusst dazu bei.
Es wurde laut in der Küche. Viele Sprachen wurden auf einmal gesprochen. Die Spanier sprachen auf Spanisch und die Italiener antworten auf Italienisch. Die Küche wurde erst im Dezember 2004 als L’Auberge Allemande anerkannt.
Die Menschen, die ein Plakat mit dem neuen Namen der Küche an die Tür geklebt hatten, waren neu. Sie waren erst in September gekommen. Ein jeder mit 50 Kilo Gepäck, gestresst und mit lauter Fragen im Kopf: Wo werde ich wohnen? Ist mein Deutsch gut genug? Warum habe ich Deutschland gewählt? Wie werden die anderen sein? Warum habe ich so viel Gepäck mitgenommen? Mein Gott, was mache ich hier?! Die Antworten darauf kamen schnell, weil die Alten, die dort schon halbes Jahr gewohnt hatten, nett zu den Neuen waren.
Sechs Monate später mussten die Alten in ihre Länder zurückkehren. Die Neuen wurden schnell alt. Doch die Auberge Allemande konnte nicht leer bleiben, sonst hätte sie diesen Namen nicht verdient. Fünf neue Menschen trafen für ein anderes Jahr ein, aus dem Süden, dem Osten und dem Westen. Man stellte ihnen die Auberge Allemande vor. Der Film wurde noch einmal gemietet und vorgezeigt. L’Auberge hat tatsächlich zu leben begonnen, dank der Menschen, die darin ihr Leben führten, die sie als solche anerkannten. Ein jeder brachte seine eigene Kultur, seine eigene Sprache, seine eigenen Ideen, Wünsche und Hoffungen in die Auberge mit. Hätten die Einwohner nur einer einzigen Nationalität angehört, dann hätte es die Auberge Allemande nicht gegeben.
L’Auberge Allemande war viel mehr als ein Platz, als eine Küche. Sie bedeutete die spezielle Beziehung zwischen diesen Menschen, die ganz unterschiedlich waren, und alles, was sie dort zusammen gemacht haben: die Wasserschlachten mit kaltem und warmem Wasser, die bis zwei Uhr nachts dauerten, die Partys, wo manchmal auch die Polizei gekommen ist, wenn alles zu laut wurde, obwohl sie nicht eingeladen war, das Versteckspiel, wofür die Regeln auf zwei oder drei Sprachen erklärt werden mussten, die komparativen grammatischen Erklärungen oder die Entdeckung einer Sprache, die in Europa weniger bekannt ist, die Schwurwörter auf Französisch und der Kampf gegen die Vorurteile. Die Auberge bedeutete auch die Beziehung zu den paar Mädchen, die sehr gut Deutsch sprechen konnten, aber keinen Sinn für Humor hatten, zu früh ins Bett gingen und an den Partys der Ausländer nicht teilnehmen wollten. L’Auberge Allemande bedeutete auch die Reisen, die von dort angetreten wurden, in Deutschland und in die Nachbarländer, es bedeutete auch die Projekte und alles, was diese Leute in einem Jahr dort gelernt und entdeckt haben.
Was in der Zukunft aus der Auberge wird, weiß niemand. Diejenigen, die sie ins Leben gerufen haben, sind auf der ganzen Welt verstreut. Sie haben je ein himmelblaues T-Shirt mitgenommen, auf dem “L’Auberge Allemande“ zu lesen ist und einen Gedanken, den jemand in Worte ausgedrückt hatte:
”L’Auberge Allemande” hat unser Leben geändert.
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