Kulturschock Italien
Ich dachte immer, dass eine Folge von zunehmender Globalisierung und internationaler Annäherung der Verlust einer individuellen Landeskultur wäre. Auch, weil ich mit Deutschland aus einem Land komme, in dem es aus meiner Perspektive, nicht sehr viele langjährige Traditionen gibt oder welche, die im besonderem für mein Heimatland stehen würden. Es gibt nicht allzu viele Bräuche oder Gewohnheiten, an denen man einen ,,typischen Deutschen*“ erkennt (, außer vielleicht an einem überdurchschnittlichen Bierkonsum). Vielleicht bin ich auch einfach zu verbittert oder kritisch meiner Heimatkultur gegenüber, aber seit ich hier in Italien bin, merke ich, dass es hier so viel mehr landestypische Verhaltensweisen, Gewohnheiten und Traditionen gibt, als ich es zuvor gewohnt war. Und ich bin begeistert davon, weil diese Dinge einem Land eine Kultur geben, ein Gemeinschaftsgefühl und ein Gesicht!
Seit dem Beginn meines europäischen Freiwilligendienstes habe ich gemerkt, wie unterschiedlich Kulturen, Verhaltensweisen und Einstellungen in Ländern sein können, die sich doch geographisch eigentlich so nah sind und es hat mich gefreut, dass Italiener so sehr an ihren Traditionen festhalten und diese nicht so schnell aufgeben, wie ich es aus Deutschland gewohnt war.
In dieser Reportage möchte ich über die kleinen „cultural shocks“ erzählen, die ich bisher hier erlebt habe. Manche Dinge haben mich zum Schmunzeln gebracht, manche Verhaltensweise habe ich mir selbst angeeignet und manchmal war ich einfach fassungslos.
Viel Spaß bei meinen kleinen Anekdoten aus Bella Italia!
Ein Thema, das mich hier in Italien jeden Tag verfolgt und über das auch Italiener mit Vorliebe sprechen, ist Essen & Trinken. Schnell habe ich gemerkt, dass es hier in Italien feste Regeln gibt, was wann gegessen wird und dass die Einheimischen zumeist der italienischen Küche treu bleiben. Ungewöhnlich war für mich zum Beispiel einen Tag mit einem süßen und meiner Meinung nach nicht sehr reichhaltigen Frühstück zu beginnen. Während ich zu Hause täglich Porridge mit Früchten oder Vollkornbrot gegessen habe, besteht das typisch italienische Frühstück aus einem Brioche (ähnlich wie ein Croissant) mit einem Cappuccino. Wahlweise ist ein gängiges Frühstück auch einige Kekse oder ein Stück Kuchen.
Die nächste Angewohnheit der Italiener, die mich ein bisschen zum Stutzen gebracht hat, ist die Obsession mit dem „Aperitivo“, der jeweils vor den Mahlzeiten getrunken wird. Im Veneto wäre ein typischer Apertivo ein Aperol Spritz. Ansonsten trinken viele ein Bier, einen Wein oder einen Hugo. Während mir in Deutschland die Regel „Kein Bier vor vier“ gelehrt wurde, habe ich mit Staunen beobachtet, dass hier die Menschen durchaus um 11 Uhr anfangen sich in eine Bar setzen, um ein alkoholisches Getränk vor dem Mittagessen einzunehmen. Zugegebenermaßen haben die Italiener aber auch grundsätzlich eine andere Einstellung zu Alkohol. Während man in Deutschland eher trinkt um sich zu BEtrinken, wird in Italien der Aperitivo sehr genossen und ist nur ein Vorwand, um sich mit seinen Freunden für sehr lange Gespräche in eine Bar zu setzen.
Bleiben wir weiterhin beim Themenfeld Essen & Trinken, weil dies einfach sehr groß ist! Für mich ungewöhnlich, aber auch sehr positiv war zu sehen, dass große Ketten hier noch nicht sehr viel Zuspruch gefunden haben. Während in Deutschland die meisten Bäckereien Kamps, Evertzberg oder Backwerk heißen, deren Produkte industriell gefertigt werden und viele Deutsche gerne zum Essen zu Hans im Glück, L’Osteria oder Peter Pane gehen, gibt es in Italien verhältnismäßig viele kleinere Familienbetriebe, die ihre Produkte selbst produzieren. Ein Fakt, der die Theorie unterstützt, dass Italiener sehr stark an ihrer Kultur festhalten und nicht so schnell Traditionen aufgeben. Ungewöhnlich für mich war zu dem der Unterschied, dass wenn ich hier in eine Bäckerei gehe und einen Kaffee bestelle, ich keine große Tasse Kaffee bekomme, wie man es aus Deutschland kennt, sondern einen Espresso. Das Pendant zum Filterkaffee, wie wir ihn kennen, wäre wohl ein „cafe americano“. Hierbei wird zu dem Espresso einfach heißes Wasser hinzugegeben. Zwar bleibe ich meinem „Americano“ zum Frühstück treu, jedoch habe ich mir bereits eine „Mokka“ zugelegt, um mir zurück in Deutschland nach den Mahlzeiten meinen Espresso zuzubereiten zu können! Weitere Dinge, die ich während meines Freiwilligendienstes lieben gelernt habe, sind der äußerst günstige Cappuccino und die hervorragende Pizza. In Deutschland bezahlt man mindestens 2€ für einen Cappuccino, während in Italien der Standardpreis bei 1,50€ liegt (, wohlgemerkt ist der typisch italienische Cappuccino auch deutlich kleiner, als ich es aus meiner Heimat gewohnt bin). Über die italienische Pizza könnte ich einen seitenlangen Liebesbrief schreiben. Bevor ich hierher kam, habe ich alle Jubeljahre eine Pizza (von Telepizza) bestellt, die nicht nur teurer war (, obwohl es eine große Kette ist), sondern auch weit entfernt von einer RICHTIGEN Pizza ist. In Deutschland ist der typische Pizzakäse Gouda, der jedoch schwer im Magen liegt und vor allem auch nicht so lecker, wie der Mozzarella ist, den die Italiener auf ihre Pizza tun. Nun esse ich mindestens ein Mal in der Woche Pizza und habe ein neues Lieblingsgericht gefunden!
Ich könnte weitere Stunden über meine Liebe zur italienischen Küche schwärmen, aber das war erstmal das Wichtigste. Neben dem guten Essen steht Italien für mich nach meinen 5 Monaten hier auch für riskante Autofahrer. Ich spreche nicht in Klischees, sondern berichte von eigenen Erfahrungen, die ich machen durfte!
Der typische Autofahrer in Italien fährt einen Fiat, mindestens 20 km/h zu schnell (, wer nicht auch die Geschwindigkeitsbegrenzung missachtet wird angehupt und überholt) und generell ist das Fahrverhalten eher ein wenig rücksichtslos. Fahrradfahrer, die es hier zu Hauf gibt, werden traditionell mit einem Sicherheitsabstand von 5 cm überholt und natürlich geht man ans Handy während man im Auto fährt. Zugegebenermaßen habe ich mich auch schon an die vorherrschenden Verhaltensweisen angepasst und habe meinen deutschen Zwang zur Einhaltung von Regeln abgelegt, was dazu führt, dass ich kaum noch von einem richtigen italienischen Autofahrer zu unterscheiden bin…
Die letzten beiden Themen, die ich ansprechen möchte, beziehen sich auf Umweltschutz und mein Leben als Vegetarier in Italien. Sehr früh ist mir mit Erschrecken aufgefallen, dass in Italien das Bewusstsein für das Einsparen von Plastik oder die Reduktion des Autofahrens noch nicht so richtig da ist. So habe ich erlebt, dass häufig auf Plastikbesteck zurückgegriffen wird, damit man nichts abspülen muss und dass viele Italiener beim Einkaufen Einwegtüten verwenden ohne dieses Verhalten kritisch zu hinterfragen. Da ich in Deutschland das Gefühl habe, dass das Bewusstsein für die dringend nötige Einsparung von Plastik schon weit verbreitet ist, war ich ein bisschen verdattert, wie die Handhabung damit hier in Italien ist. Auch der öffentliche Personennahverkehr ist noch nicht so weit ausgebaut und wird auch dem entsprechend wenig genutzt. Während die Zugverbindungen zu weiter entfernten Städten schon sehr gut sind, kann man über die Busverbindungen weniger positiv berichten. Busse fahren einfach sehr selten und Busfahren ist auch komplizierter, als man es aus Deutschland gewohnt ist, z.B. werden die Stationen im Bus nicht angezeigt und man muss genau wissen, wo sich seine Station befindet, was sich ein bisschen schwierig gestaltet, wenn man Ausländer ist und die Region noch nicht gut kennt. Auch kann man seine Tickets nicht so bequem online kaufen. Ich habe Verständnis dafür, dass somit viele Italiener weiterhin ihr Auto benutzen, anstatt auf öffentliche Verkehrsmittel umzusteigen.
Die letzte Sache, von der ich berichten möchte, ist, wie es ist Vegetarier in Italien zu sein. In Deutschland habe ich das Gefühl, dass es bereits viele Menschen gibt, die auf Fleisch und Fisch oder sogar komplett auf tierische Produkte verzichten, während in Italien viele ein bisschen überrascht sind, wenn ich erzähle, dass ich Vegetarier bin. Ohne, dass die Italiener es wissen, ist ihre landestypische Küche schon ein Paradies für Vegetarier, denn hier wird sehr viel mit Gemüse gekocht und es gibt immer vegetarische Optionen. Dass es für viele hier dennoch ein bisschen fremd ist, wenn Menschen auf Fisch und Fleisch verzichten, merkt man an der Tatsache, dass häufig Italiener besorgt sind, ob ich denn genug Proteine zu mir nehme. Da ich mich schon sehr lange vegetarisch ernähre, habe ich gelernt was ich essen muss, um mich ausgewogen und gesund zu ernähren. Meine Proteinquellen sind meistens Hülsenfrüchte, Nüsse und Sojaprodukte. Für Italiener bedeuten Proteine leider immer noch Fleisch/Fisch, Käse und Eier. Nicht selten wird mir ein halber Käse vorgesetzt, damit ich auch genug Proteine zu mir nehme, obwohl ich glücklich gewesen wäre nur Gemüse zu essen, da ich auch versuche meinen Konsum von Milchprodukten nicht unnötig zu vergrößern. In der Hinsicht bedarf es noch einige Erklärung für die Mehrheit der italienischen Bevölkerung.
Damit enden die Eindrücke in die italienische Kultur und die Erzählung wie zwei Länder, die doch beide gar nicht so weit von einander entfernt sind, sich doch in vielen kleinen Dingen unterscheiden können. Es ist ein Gewinn und eine ganz besondere Erfahrung ein Land auf diese Weise kennenlernen zu dürfen. Man ist nicht nur ein Tourist und kratzt an der Oberfläche, sondern kann durch seinen Freiwilligendienst ein Land ganz anders und intensiver erleben und somit komplett in die Kultur eintauchen.
(Ich möchte festhalten, dass die Erzählungen auf meinen eigenen Erfahrungen beruhen und mir bewusst ist, dass man viele Dinge nicht für eine ganze Bevölkerung verallgemeinern kann. Vor allem habe ich auch bisher nur Erfahrungen in der Region Venetien gemacht und kann mir vorstellen, dass es viele nationale Disparitäten zwischen den verschiedenen Regionen gibt. Natürlich habe ich an der einen oder anderen Stelle ein bisschen übertrieben, aber nur um auszudrücken, wie fremd mir die Verhaltensweisen waren. Ich möchte mit diesem Artikel niemanden bloßstellen und schlecht präsentieren, sondern nur zeigen, wie interessant es sein kann mal für längere Zeit in einem anderen Land zu leben und zu lernen wie unterschiedlich Kulturen sein können.)
*Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird bei Personenbezeichnungen und personenbezogenen Hauptwörtern auf dieser Website die männliche Form verwendet. Entsprechende Begriffe gelten im Sinne der Gleichbehandlung grundsätzlich für alle Geschlechter. Die verkürzte Sprachform hat nur redaktionelle Gründe und beinhaltet keine Wertung.
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