Kercelak
Ein Festival mit Vorkriegsmusik in Warschau? - Was kann man sich darunter vorstellen?
Vor nun einer Woche war im Warschauer Stadtteil Wola ein Festival, wie es mein Mentor nannte, mit Vorkriegsmusik.
Das Festival stellte sich allerdings eher als Jahrmarkt heraus. Dort fanden sich die verschiedensten Stände mit Essen, allerlei Krimskrams und Werbung für die verschiedenen Vereine in diesem Stadtteil. Auf einer großen Bühne wurde Musik gemacht, zwischendurch gab es verschiedene Quiz oder Szenen.
Außer meinem Mentor begleitete mich zu diesem Festival auch sein Freund.
Kschischtov, zu Deutsch wäre sein Name wohl Christoph, studiert Geschichte und nahm an diesem Tag an einer Rekonstruktion der 20iger Jahre teil. Deshalb war er in die Uniform der polnischen Armee dieser Jahre gewandt, die zu dieser Zeit gegen Sowjet- Russland Krieg führten. Also war ich, rein äußerlich, in bester Gesellschaft um auf einen Jahrmarkt der 20iger Jahre zu gehen. Denn dort war nicht nur Essen und eine Bühne geboten, sondern es gab auch eine Schauspieltruppe, die Zeitungen dieser Zeit anpriesen, Kartentricks zeigten und sogar auf Deutsch vor Zigeunern warnten. Ein Leierkastenmann spielte auf einer Drehorgel die in Deutschland produziert worden war. Vor derselben hing ein Käfig mit einem Papagei, allerdings keinem echten. Ein Schuhputzer bot seine Dienste kostenlos an, und ich kann sagen, meine Schuhe waren schon lange nicht mehr so sauber wie danach.
Das ist tatsächlich ein sehr seltsames Gefühl, wenn man einfach seinen Fuß auf einen Schemel stellt und vor einem sitzend sich jemand herunterbeugt und deine Schuhe putzt.
Neben den Schauspielern war noch eine Musikertruppe am Werk und einer von ihnen spielte doch tatsächlich das Waschbrett.
Nach einiger Zeit gab die Schauspieltruppe eine kleine Szene zum besten, mit Akkordeon und Gesang. Das ganze schien ein bisschen wie warschauer Bohaime und war höchst amüsant, obwohl ich so gut wie nichts verstand. Da wollte ein Taschendieb dem Verkäufer die Börse klauen und ein jüdischer Händler pries seine Eier an.
Als sie jedoch begannen vom Krieg zu singen, war das sehr berührend und ich fühlte mich sehr seltsam. Irgendwie musste ich daran denken, dass vor 72 Jahren junge deutsche in meinem Alter hierher kamen um andere zu töten. Eine unglaublich grausame Vorstellung. Der Markt war nämlich am Rande des jüdischen Ghettos.
Danach ging das Programm deshalb auch mit jüdischen Liedern weiter und ich entschloss mich das Angebot eines kostenlosen Portraits anzunehmen. Dafür stand ich dann eine gefühlte Ewigkeit an. Es war nämlich nicht der wärmste Tag in Warschau und zu den drei Damen, die vor mir warteten gehörten dann auf einmal ganze Familien, die sich alle zeichnen lassen wollten. Zu diesem Zeitpunkt hatte Krzysztof schon längst seine Decke vom Rucksack genommen und Claudia gegeben, die fest davon überzeugt war den Winter hier in Polen nicht zu überleben.
Als ich dann aber endlich, denn ich stand wirklich 2 Stunden an, dran war entstand ein sehr schönes Portrait. Man kann mich darauf gut erkennen, allerdings sehe ich viel jünger aus, als ich es bin. Aber warum nicht.
Da allen kalt war und es begann zu dunkeln gingen wir nach Hause.
Und ich muss sagen es ist schade, dass nicht jedes Wochenende ein Markt beim Kercelak ist.