Kein Vor und kein Zurück: Die politische Krise in Mazedonien
Seit vorgezogener Parlamentswahlen in Mazedonien im Dezember 2016 kommt im Land keine Regierung zustande, weil der Präsident sich weigert, das Mandat zur Regierungsbildung an die sozialdemokratische Partei zu geben. Dabei verhärten sich die Fronten und ethnische Konflikte werden instrumentalisiert, um die eigene Haut zu retten.
Nach einem turbulenten Jahr voller politischer Proteste, Demonstration und der „bunten Revolution“, wojunge und alte Menschen gegen die korrupte, nationalistische Regierungspartei VMRO-DPMNE in Mazedonien auf die Straße gingen, fanden im Dezember 2016 schließlich vorgezogene Wahlen in Mazedonien statt. Nach demokratischen Standards waren diese Wahlen nicht einwandfrei, aber dennoch gewann VMRO-DPMNE die Wahl nur knapp. Die 51 Mandate, die der Partei nach dem Wahlausgang zustanden, reichtennicht aus für eine Regierungsbildung – ein Koalitionspartner musste her. Dafür kamen nur albanischeParteien in Frage. Wie kommt das?
Mazedonien ist ein Land, das bis 1991 Teil Jugoslawiens war. Wie überall in Südosteuropa teilen sich verschiedene Volksgruppen das Territorium des Landes. In Mazedonien leben Mazedonier mit slawischen Wurzeln und als größte Minderheitengruppe auch ca. 25% Albaner. Zwischen den Volksgruppen gibt es keine Gleichberechtigung und immer wieder Konflikte. Nach der Wahl sollte sich das ändern. Drei der vier im Parlament vertretenen albanischen Parteien gründeten die „albanische Plattform“ und stellten einen Forderungskatalog auf: Eine Koalition sei nur möglich mit einer Partei, die diese Forderungen wie bspw. Die Einführung von Albanisch als zweite Amtssprache unterstützt. Eine Koalition mit VMRO-DPMNE kam daher nicht in Frage. Nun wäre es die Aufgabe des Präsidenten Ivanov gewesen, der Mitglied von VMRO-DPMNE ist, aber eigentlich neutral sein soll, das Mandat zur Regierungsbildung an die sozialdemokratische Partei SDSM zu geben, die 49 Mandate nach der Wahl hatte. Seit Januar verweigert der Präsident dies allerdings. Er begründet es damit, dass SDSM Mazedonien verraten, weilsie das Land an die Albaner geben wolle. Seit fast zwei Monaten gehen täglich patriotische Mazedonier auf die Straße, um gegen den Verrat und die Zerstörung ihres Landes und ihrer Identität zu protestieren. Politiker überbieten sich gegenseitig in nationalistischer, populistischer Rhetorik und Beleidigungen. Was ist aber der eigentliche Grund der Krise? Die Opposition, progressive Organisationen und Experten und internationale Akteure aus Westeuropa stellen VMRO-DPMNE an den Pranger. Die Partei ist in Mazedonien seit 2006 an der Macht und hat seitdem großen Wert darauf gelegt, die eigene Machtposition zu stärken und sich selbst zu bereichern. Das führt dazu, dass die Partei eine der reichsten Parteien Europas ist – aber eines der ärmsten Länder Europas regiert. Mazedonien hat zahlreiche wirtschaftliche und sozio-politische Probleme, der Mindestlohn liegt bei 165€ und das monatliche Durchschnittseinkommen bei ungefähr 250€ pro Kopf. Vor allem junge Intellektuelle verlassen das Land, in dem die Jugendarbeitslosigkeit bei fast 50% liegt. Es gibt keine offiziellen Zahlen, aber es wird davon ausgegangen, dass seit der letzten Volkszählung vor 15 Jahren ca. ein Viertel der Bevölkerung ausgewandert ist.
Viele dieser Probleme sind zurückzuführen auf die Regierungsweise von VMRO-DPMNE. Wegen Korruption und organisierter Kriminalität sind amtierende Politiker von einer Sonderstaatsanwaltschaft im Land angeklagt – der Präsident versucht weiterhin, sie zu schützen und setzt sich dabei über die Verfassung. „Wir geben Mazedonien nicht auf!“, lautet die Parole, die übersetzt werden kann in „Wir lassen von unserer Macht nicht ab.“
Seit Dezember befindet Mazedonien sich in einer Sackgasse, in der es keine Wendemöglichkeit zu geben scheint. Vor Ort hoffen alle, dass die Situation nicht zu einem größeren ethnischen Konflikt eskaliert. Bisher scheint es noch keine Antworten auf die Frage zu geben, wie die Krise gelöst werden kann, solange VMRO-DPMNE uneinsichtig bleibt.
>>> Objektiven und gut recherchierten Journalismus zu Mazedonien gibt es hier: http://www.balkaninsight.com/en/page/macedonia-home
>>> mehr zu der Regierungskrise in Mazedonien aus meiner Feder gibt es hier: https://mariejelenka.wordpress.com/category/heimat-auf-zeit-auslandsaufenthalte/mazedonien/mysterium-westlicher-balkan/