Kalendergeschichten: Freunde in North Berwick
Neue Reisenotizen von Johannson: diesmal aus North Berwick, in der Nähe von Newcastle, wo er per Selbsteinladung bei Angelika aus Bregenz ein extrem entspanntes Wochenende in schöner Umgebung mit netter Gastgeberin, Blumen im Haar und Sand an den Füßen erleben durfte.
Gerade bin ich wieder von einer Reise zurückgekommen, und noch ist dieses Gefühl da... Jetzt nur schnell an die Tastatur und es niedergeschrieben, diesmal im handlichen Tag-für-Tag-Format.
Episode I: Wie alles begann
Wie es mich verändert. Gerade erst habe ich mir von meiner halben Selbsteinladung nach Leeds geschrieben und wie ich so etwas normalerweise nie machen würde. Es stimmt, und zum Glück ist es zurzeit nicht normalerweise. Darum habe ich es auch wieder gemacht.
Durch einen bürokratischen Geniestreich hatte ich am Donnerstagvormittag meine vorletzte Französischprüfung. Diesmal ging es um das Hören. Die Prüfung ist, bevor Ihr fragt, „normal“ gelaufen. Dadurch war ich aber schon ab Mittwochabend in Newcastle bei Peter, mit dem ich Freitag sowieso arbeiten sollte. Und bei dem ich auch gleich das Wochenende zu verbringen plante. Konnte ich aber nicht, da sein Sohn Jack Samstagabend Geburtstag feierte. Früher hätte das für mich höchstwahrscheinlich bedeutet, Sonnabend wieder zurück auf der Farm zu sein.
Aber so habe ich nach der Prüfung spontan mein Handy gezückt und die Nummer von der Clara aus Wien gewählt, die dieses Jahr die Clara in North Berwick, östlich von Edinburgh, ist. Das war damals eine von denen, die mir diese begeisternde Antwort auf mein Hilfegesuch nach dort oben geschickt haben. Und eh ich eines der letzten Wochenenden zu Hause bin und mich im eigenen Saft zu Tode grüble, schick ich doch lieber eine Anfrage auf gut Glück die Küste hoch.
Gewissensbisse
Mein großes Problem bei solchen Geschichten ist, dabei immer vermeiden zu wollen, dass sich die Leute gedrängt fühlen zuzustimmen. Was selbst bei inflationärer Betonung, dass eine Absage kein Problem ist, nicht einfach ist.
So fühlte ich mich schon so ein wenig wie selbst eingeladen, als ich stattdessen die Angelika aus Bregenz an der Strippe hat, da die Clara zur Zeit tatsächlich in Wien ist. Sie machte nämlich eine alles andere als enthusiastisch klingende Zusage und ich machte mir bei meinem freiwilligen Nachmittag auf Gibside schon Gedanken, ob es so klug ist, dort oben jemanden zur Last zu fallen. Ich hätte nicht falscher liegen können.
Samstag: Grüß Gott, gnäd’ge Frau
Zwei Tage später verließ ich frühmorgens das Haus der Brabbans und setzte mich in den Zug nach Edinburgh, nachdem ich entdeckt hatte, dass Tickets dorthin sogar ohne Frühbuchung bezahlbar sind. Dieses Mal konnte ich in der Bahn sogar etwas schlafen, anstatt ständig aus dem Fenster zu starren. In Edinburgh stieg ich dann um in die kleine Bahn nach North Berwick, die zum Glück etwas Verspätung hatte.
Eine halbe Stunde weiter östlich spuckte sie mich wieder aus, in einem kleinen Ort, zu dem nicht mehr als ein Gleis führt. Etwas nervös, wie ich denn nun aufgenommen werden würde, war ich schon. Aber dann entdeckte ich das grinsende kleine Mädchen mit der großen Sonnenbrille, das da so entspannt auf mich wartete. Ja, ganz passend schien die Sonne ein wenig. Ein Kopf kleiner als ich und fragt mich, ob sie meine Reisetasche tragen soll. Niemals. Gerade erst aus dem Bett gefallen nach einer kurzen Nacht hatte auch sie Koffeinkonsum ganz oben auf der Liste und somit schlenderten wir durch diesen netten kleinen Küstenort zu einem Café und weiter durch die Strassen zum Creel Court.
Wohnkultur
Dort konnte ich mich meines Gepäcks entledigen und ihre pittoreske Wohnung bewundern. Ein weiteres Beispiel für exzellente Unterbringung von Freiwilligen und von Angelika bereits jetzt vermisst.
Ihnen gehört das Erdgeschoss eines Einfamilienhauses, mit kleinem netten Garten und lauten Nachbarn, von denen in fast zehn Monaten viel Musik zu hören aber kein Gesicht zu sehen war. Hell und gemütlich, ganz offensichtlich nach einem Konzept entworfen und eingerichtet, mit einem fast perfekten Schuss Chaos. Schön, ohne Leben mit Samthandschuhen zu fordern.
Vor allem die persönlichen Zimmer waren voll gestopft mit Kunst und Krempel, Filmplakaten, Fotos, Liedtexten, Sprachführern, Büchern, selbst gemalten Bildern, Instrumenten, Noten...
Ich hab ja Claras Zimmer gekriegt und konnte kaum glauben, auf einem Nachttisch Ausdrücke sämtlicher Radiohead-Texte der letzten vier Alben zu finden. Wie kann man von mir verlangen, ein Leben mit solchen Menschen aufzugeben?
Blumenkinder
Wir haben uns auf einen Spaziergang aufgemacht, am Strand entlang den – wie ich gerade erfahren habe – wohl meine Eltern erst Tage zuvor auf ihrem Urlaub bewandert hatten. Ach, das war schön! Aufgrund der momentanen Ebbe mehr als dreißig Meter Sand, weiße Vogelkolonien und Leuchttürme auf den Felsinseln vor der Küste. Da sind wir so entlang geschlendert, stundenlang, über alles Erdenkliche redend und getreu dem Generalthema „Früher als ich ein Kind war...“ mit Blumenkronen im Haar.
Nachdem wir hinter den Dünen und durch die reichen Außenbezirke des Städtchens zurückgegangen waren, hatten wir ziemlichen Hunger. Da war es auch schon um fünf und da selbst Angelikas (angeblich) beschränkte Kochkünste meinen überlegen waren hat sie sich an etwas leckeres Curry mit Reis und Hühnchen gemacht. Wodurch ich sogar noch was lernen konnte. Ich machte mich in der Zwischenzeit auf, um – ratet mal – etwas Käse und Wein vom Laden um die Ecke zu besorgen.
Das (beinah) letzte Abendmahl
Was für ein wunderschönes kleines Abendessen, draußen im winzigen Garten. Ich weiß gar nicht, wie lange wir dort gesessen und geredet haben. Aber wie das gesamte Wochenende war es einfach nur entspannend. Auch wenn wir viel über die Kürze unserer verbleibenden Zeit zu sagen hatten.
Ja, es ist schon traurig... Ein Jahr ist so kurz. Angelika berichtete mir, wie merkwürdig es ist, die alten Freunde auf Urlauben zu Hause wieder zu sehen. Wie sie sich überhaupt nicht verändert haben. Wie man manchmal kaum noch einen Bezugspunkt hat. Na ja, nicht dass es da bei mir viele gäbe mit denen man den Kontakt verlieren könnte.
Nur die Weinflasche wollte uns das Leben ohne Stress nicht ganz gönnen, oder besser gesagt, der Korken, der eher den Korkenzieher krepieren ließ als sich einen Millimeter zu bewegen. So mussten wir wie die Alkoholiker bei den Nachbarn klingeln, um an das begehrte Nass zu kommen. Aber es hat sich gelohnt. Ganz besonders angetan war meine Gastgeberin ja von den mitgebrachten Salamis, die ich von meinen Eltern erhalten hatte. Und wo ich mich sonst nicht wirklich bedanken konnte (nicht nur für die Möglichkeit an sich, sondern auch für die ja überfallartige Ankündigung) habe ich die dann am Ende in ihrem Kühlschrank gelassen.
Jugendsünden, gern gehabt
Danach sind wir mit den letzten Sonnenstrahlen noch ein wenig an den Strand gegangen. Zumindest war das der Plan. Am Ende haben wir nur auf einem Treppengeländer zum Wasser hin gesessen und nostalgisch die billigen Zeichentrickserien unserer – lang, lang ist’s her – Jugend belacht. Beziehungsweise zugegeben, die dümmsten davon immer noch gerne zu sehen. Wieder zu Hause konnten wir uns gerade so vorm Einschlafen auf diesen bequemen Sofas retten.
Aber wir mussten ja noch in den Pub. Angelika führte mich in einen der besseren im Ort, der – ein Hoch auf Schottland! – bis ein Uhr offen hatte. Da haben wir gesessen, zwischen singenden, betrunkenen Schotten. Ein paar ihrer Kollegen waren auch da und haben mich etwas komisch angeguckt, als ich sagte, ich käme aus England…