Januar in Bordeaux oder: Vom Aufbrechen und Dableiben
Nach den Winterferien in Deutschland, komme ich in ein kälteres Bordeaux zurück. Denn vieles ist jetzt anders: Zwischen Bürokratie und Klausurenphase geht Altes und Neues beginnt. Wenn das Dableiben zum Neuanfang wird.
Der Januar in Bordeaux ist auf viele Arten ein Monat des Umbruchs. Ein Monat, der mir wie eine ruhelose Reise vorkommt und ganz neue Seiten dieser Stadt zeigt. Eine dieser Seiten ist kälter und getrübter als zuvor: Das liegt nicht nur an den dauerhaft grauen Wolken, die im stetigen Schleier aus Nieselregen und feuchter Kälte ihre Bahne durch die bürgerlichen Fassaden ziehen, sondern vor allem daran, dass sich mein Leben hier grundsätzlich umgekrempelt hat: Ich ziehe in eine neue Wohnung, meine Freunde, die mich durch das gesamte erste Semester begleitet haben, kehren nach Deutschland zurück und auch mein Alltag hat sich verändert. Vielleicht ist das der Grund, warum mir die Stadt erst fremd, dann abweisend und schließlich erschreckend gewöhnlich vorkommt.
Bevor ich Bordeaux im Dezember verlassen habe, um in Deutschland mit Familie und Freunden Weihnachten zu feiern, kündige ich meinen Mietvertrag: Kein chambre vert, keine ständigen Regeln, keine nervenzehrenden Beschwerden und keine unangenehme Spannung mehr. Ich will im neunen Jahr ein richtiges zu Hause, in das ich Freunde einladen kann, in dem Musik gemacht und gelacht werden darf, in dem man nicht jeden Mittag allein in seinem Zimmer essen muss. Ein Zuhause mit mehr Freiheit und Verständnis füreinander, in dem man zusammen und nicht nebeneinander lebt.
Schließlich übernehme ich das Zimmer einer Freundin. Ein Zimmer, das zweimal so groß ist, wie mein vorheriges, mit riesigen Fenstern, hohen, weißen Wänden und altem dunklen Holzboden. Die offene Küche und das große Wohnzimmer teile ich mit meiner französischen Mitbewohnerin. Die Wohnung ist alt und trägt die Spuren der unzähligen Studierenden, die hier zuvor gewohnt haben. Aber genau das macht sie aus: Es ist dieses Gefühl von Freiheit, die Idee, ohne Regeln und Vorschriften eine weiße Wand so gestalten zu können, wie man sich das gerade vorstellt und dabei seine eigenen Spuren zu hinterlassen.
Und doch kommt mit der Freiheit auch die Verpflichtung. Anstatt träumerisch die hohen Altbauwände mit alten Indie-Postern zu bekleben, hänge ich vor allem am Telefon und schlage mich durch den Dschungel französischer Bürokratie. Mit dem Auszug meiner Freundin enden auch alle Verträge für Wasser, Gas und Strom, was bedeutet, dass ich mit meiner neune Mitbewohnerin alles neu anlegen muss. Glücklicherweise ist sie Französin und kann sich mit den automatisch generierten Computerstimmen ein bisschen besser unterhalten als ich. Als wir glauben, endlich alle Daten übermittelt und Verträge abgeschlossen zu haben, geht plötzlich nachts das Licht nicht mehr an. Und mit den Glühbirnen bleibt auch die Heizung aus. So wachen wir morgens in einer kalten, dunklen Wohnung auf, weil der Stromanbieter uns kurzer Hand den Strom abgestellt hat. Doch anstatt den Strom sofort wieder einzuschalten und sich für die Umstände zu entschuldigen, heißt es da nur, dass wir uns doch noch zwei Tage gedulden sollten, bis der Strom wiederkomme. Eine Antwort, die so inakzeptabel ist, dass ich mich frage, ob ich gerade wirklich in Frankreich bin. Wir sitzen im Kalten und ärgern uns über unsere Machtlosigkeit, die Unberechenbarkeit französischer Bürokratie und planen schon wo wir die kommenden Nächte schlafen werden. Als wir nocheinmal anrufen und auf unser Recht auf Wärme und Licht pochen, geht es plötzlich: Man müsse einen gewissen Knopf drücken, dann sei der Strom zurück. Und tatsächlich: Nach einigen Anläufen summt der Kühlschrank wieder und die Heizung wird warm. Und doch bleibt das Gefühl, dass mehr das Glück als die Kompetenz der Mitarbeiter*innen des Stromanbieters entschieden haben, dass wir wieder Licht haben. Und auch wenn das alles Kleinigkeiten sind, ist es doch etwas was, die ganze Stadt ein bisschen grauer und kälter werden lässt.
Diese Kälte kriegen wir bald auch wortwörtlich zu spüren, denn plötzlich wird es Winter in Bordeaux und die Temperaturen fallen auf Null. Nicht nur draußen ist es kalt, sondern auch drinnen: So viel wir auch heizen, die alte Wohnung mit den hohen Wänden und den dünnen Mauern, wird einfach nicht warm. Durch die Türen und Fenster zieht ein eisiger Wind. Isolation: Fehlanzeig. Weil man als Student*in aber nie um kreative und kostengünstige Alternativen verlegen ist, fangen wir an Fenster und Türen mit Frischhaltefolie und Tesafilm abzukleben. Wir hängen Vorhänge vor die Türen und breiten Stoffe vor den Fenster aus, um die teuer erzeugte Wärme ein wenig länger in der Wohnung zu halten. Und tatsächlich merkt man bald einen Unterschied und immerhin bleibt dei Küche jetzt angenehm warm.
Doch als dann Ende des Monats fast alle meine deutschen Freunde die Stadt verlassen, fühlt sich Bordeaux auf einmal leer an. Und auch wenn meine französischen Freunde bleiben, ist doch ein Teil meines Bordeaux-Ichs gegangen. Denn die Zeit hängt an den Menschen, mit denen wir sie teilen. Deshalb fühlt es sich für mich wie ein kleiner Abeschied an, ein Weggehen, obwohl ich doch bleibe. Ich weiß genau, dass das zweite Semester in Frankreich nicht schlechter werden wird als das erste – und doch auf jeden Fall ganz anders. Es ist wie ein zweites Ankommen in einer Stadt, die man schon kennt.
Und so zieht der Januar dahin und es bleibt vor allem, das Gefühl unzähliger Baustellen, des neuen Kennenlernens und der Abschiede, die jede Woche mehr zu werden scheinen. Aber zur gleichen Zeit beginnt mit jedem neu abgeschlossenen Vertrag und jedem gewählten Kurs an der Universität auch ein neues, aufregendes halbes Jahr in einer vertrauten Stadt.
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