Israel und Europa – eine gemeinsame Zukunft
Claudia Lucas, 21, lernte während ihres Europäischen Freiwilligendienstes Israel und dort auch ihren Freund kennen und lieben. So verwundert es nicht, wie sie auf die Idee kam, bei einem Wettbewerb zum Thema Europa auch an Israel und die vorhandenen Gemeinsamkeiten mit Europa zu denken.
Als wir uns an einem sonnigwarmen Frühlingstag das erste Mal in Köln begegneten, war mir der Gedanke, dass dieser hübsche, junge Israeli meine Zukunft auf außergewöhnliche Weise verändern würde noch vollkommen fern. Vielleicht war dies der Grund dafür, dass ich mich auf dieses spannende Abenteuer einließ. Denn die Tatsache, dass er Israeli ist, ursprünglich aber in Argentinien aufgewachsen war und die prägenden ersten zehn Jahre seines Lebens dort verbracht hatte, machten mich neugierig. Ich hatte nämlich das elfte Schuljahr selbst in Argentinien verbracht, Land und Leute lieben und die spanische Sprache sprechen gelernt.
Demnach begann unsere Beziehung auf Spanisch, denn in dieser Sprache und der Verbindung zu Argentinien lagen unsere ersten Gemeinsamkeiten. Dass der Schwerpunkt später eher auf Israel liegen würde, weil ich dort anderthalb Jahre später einen Europäischen Freiwilligendienst machen würde, wusste ich damals noch nicht. Es war Liebe auf den ersten Blick, und demnach war mir klar, dass ich ihn in Israel besuchen musste...
Nun befinde ich mich in Israel. Es wurde mir ermöglicht für acht Monate im "Heiligen Land" zu leben und dieses facettenreiche, konfliktgeladene aber dennoch faszinierende Land, von dem man fast täglich in den Medien hört, ganz persönlich, aus der Nähe zu erfahren.
Man könnte sich jetzt vielleicht fragen: „Warum macht man einen Europäischen Freiwilligendienst in Israel? Gehört Israel etwa zur Europäischen Union? Geht es nicht eigentlich bei den europäischen Projekten um das zusammenwachsende Europa? Was hat also der Nahe Osten damit zu tun, gehört er nicht geographisch gesehen sogar zu Asien?“
Zugegeben, alle diese Fragen sind berechtigt, denn der außergewöhnliche und wichtige Bezug zwischen Israel und Europa und ganz besonders Deutschland, wird erst deutlich, wenn man einen Blick auf unsere gemeinsame Vergangenheit und das Motiv für die Gründung des Staates Israel im Jahre 1949 wirft:
Mit der Grundlage des zionistischen Gedankens sollte den Juden aller Welt eine sichere Heimat geschaffen werden, wo sie ihren Glauben sowie Kultur und Traditionen ohne jegliche Einschränkung oder gar Diskriminierung und frei nach ihren Bedürfnissen ausleben konnten. Deutschland trug nach dem schrecklichen Menschheitsverbrechen der Shoah eine große Verantwortung für die Realisierung dieses Bedürfnisses der Juden nach Freiheit, Selbstbestimmung und Sicherheit. Die europäischen Juden verließen also ihre Heimat, die nach dem Zweiten Weltkrieg oft nicht mehr die ursprüngliche war, um in Israel ihre neue zu gründen. Hieraus gehen nun die zahlreichen Verbindungen zwischen Israel und Europa hervor. Zum einen, weil es viele europäische Juden waren, die nach Israel kamen, um ein neues Leben zu beginnen, zum anderen, weil Europa und vor allem Deutschland bis heute ihre Verantwortung in der Unterstützung des Staates Israel sehen. In Israel werde ich tagtäglich mit der Vergangenheit konfrontiert. Nicht, dass ich hier als Deutsche anders oder gar vorurteilsbelastet behandelt würde, ganz im Gegenteil:
Ich stehe im Supermarkt mit meiner Freundin aus Österreich, die auch als Freiwillige hier ist. Wir unterhalten uns auf Deutsch. Da dreht sich plötzlich eine ältere Dame freundlich lächelnd zu uns um und beginnt in etwas gebrochenem, aber dennoch gut verständlichem Deutsch ein kleines Gespräch mit uns...
Ich sitze mit zwei weiteren deutschen Freiwilligen beim Arzt im Wartezimmer. Wir unterhalten uns auf Deutsch und plötzlich beginnt ein älterer Herr, der bereits längere Zeit neben uns sitzt, uns in einwandfreiem Deutsch ein kleines Stück seiner interessanten Lebensgeschichte zu offenbaren. Durch ihn erfahren wir außerdem, dass die nächst gelegene Stadt Naharia damals von Deutschen gegründet wurde und dort noch heute israelisch-deutsche Kontakte gepflegt werden...
Wir befinden uns im Zentrum des Dorfes Kfar Vradim im Norden Israels und nehmen an einer emotionalen Veranstaltung zum Gedenken an die gefallenen israelischen Soldaten im Kampf um die Erhaltung des Staates Israels teil. Als plötzlich die Kriegssirenen ertönen, die sowohl an diesem als auch am Holocaust Gedenktag zum Zwecke der Erinnerung eingesetzt werden, bleiben alle Leute mit gesenktem Kopf für zwei Minuten still stehen. Ich tue dasselbe und mir läuft ein kalter Schauer über den Rücken, wenn ich mir vorstelle, was den Leuten vorheriger Generationen, die diesen durchdringenden Klang der Sirenen noch aus der Vergangenheit kennen, durch den Kopf gehen muss. Noch am gleichen Tag fragt uns ein weiterer deutschsprachiger älterer Herr namens Katz, ob wir ihm bei einigen Recherchen, was seine deutsche Vergangenheit betrifft, behilflich seien können.
Ich bin sehr glücklich über die Offenheit und das Interesse, dass uns die Israelis entgegenbringen. Denn dieses aufgeklärte und nicht durch Vorurteile belastete Aufeinandertreffen zeigt die Bereitschaft zu einer gemeinsamen und vor allem friedlichen Zukunft. Es zeigt außerdem ihrerseits die Akzeptanz des heutigen Deutschlands als demokratischen Staat mit demselben Bekenntnis zu Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit.
Der Europäische Freiwilligendienst hat mir die Wichtigkeit des israelisch-europäischen und israelisch-deutschen Verhältnisses näher gebracht, als es all die Geschichtsbücher, die wir in der Schule über Jahre hinweg gelesen haben, jemals getan hätten. Ich habe ein größeres Bewusstsein für die Bedeutung der Vergangenheitsbewältigung in Bezug auf den Holocaust einerseits und der Bemühungen um ein friedliches, verständnisvolles und tolerantes Zusammenleben für die Zukunft andererseits entwickeln können. Außerdem hatte ich die Möglichkeit, Europa und Deutschland aus ganz verschiedenen Perspektiven zu betrachten, da man hier auf eine so große Vielfalt an Nationalitäten, Religionen, Traditionen und Mentalitäten trifft. Ich konnte ich mir ein umfassendes Bild von den Ansichten so kulturell verschiedener Menschen machen, denn hier treffen Einwanderer aus der ganzen Welt zusammen. Bei meiner Arbeit arbeite ich mit israelischen Juden, arabischen Drusen und äthiopischen Juden und es ist interessant, die Unterschiede dieser Kulturen in der Lebensart und den Umgangsformen zu beobachten.
Ich bin sehr froh, dass wir deutschen Freiwilligen den Israelis einen Einblick in das heutige Deutschland und dessen tolerante und offene Einstellung ermöglicht haben, denn ich glaube, dass nur durch persönliche Kontakte und Freundschaften ein richtiges Verständnis und Vertrauen zwischen den Kulturen aufkommen kann.
Tja, so habe ich ganz unverhofft durch die Liebe zu meinem Freund einen ganz wichtigen Teil der Welt kennen gelernt, nämlich wie wichtig es ist, aus der Vergangenheit zu lernen und gemeinsam in eine friedliche Zukunft zu blicken...