Interkulturelle Barrieren überwinden und persönliche Grenzen erkennen
Politische Grenzen teilen uns Menschen in verschiedene Gruppen und Völker ein. Dadurch entstehen Bilder, dass die anderen "anders" sind als man selber, sei es das Aussehen, die Lebensstile oder die Traditionen. Aber im Grunde genommen sind wir doch eigentlich alle gleich. Die Erfahrungen habe ich sowohl in Deutschland mit Migranten gemacht, als auch während meiner Auslandsaufenthalte in Brasilien und Moldawien. Aber trotzdem gibt es persönliche Grenzen, die schwer sind zu überwinden, wenn man sich in einer fremden Kultur einfinden muss.
Als kleines Kind war die Welt für mich ein Ort, an dem alle Menschen gleich sind. Wir haben eine Ewigkeit im Auto gesessen und sind nach Holland, Luxemburg oder Österreich gefahren und plötzlich sind einfach die Straßenschilder anders, die Menschen sprechen eine andere Sprache und die Häuser sehen anders aus. Aber sonst ist doch alles gleich, oder?
Meine erste Erfahrung, bei der ich gemerkt habe, dass es doch Unterschiede zwischen den verschiedenen Nationalitäten gibt, habe ich in Holland gemacht. Ich habe mit meinen Geschwistern eine Sandburg am Strand gebaut und nicht lange, nachdem wir damit begonnen hatten, kam ein Junge zu uns, etwas älter als wir, und sprach uns auf Niederländisch an. Außer "spelen" haben wir zwar nichts verstanden, aber daraus schlossen wir, dass er mitmachen wollte. Wir haben ihm auf geantwortet, dass er uns helfen darf, aber als er gehört hat, dass wir Deutsche sind, hat er „Deutsche sind Arschlöcher!“ gesagt und ist wieder gegangen. Für mich war das völlig unverständlich und ich konnte gar nicht begreifen, wieso er uns Arschlöcher nennt, wenn er uns doch gar nicht kennt.
Heute weiß ich, wie einfach Vorurteile entstehen. Wahrscheinlich hat dieser Junge vorher schon einmal Deutsche kennengelernt, die er überhaupt nicht leiden konnte, oder von denen er geärgert oder gehänselt wurde und hat in seinem Kopf seitdem etwas Schlechtes mit Deutschen verbunden.
Gerade in Ländern, in denen es viele Immigranten oder Touristen aus einem bestimmten Land oder einer bestimmten Region gibt, passiert es schnell, dass voreilig oder zu Unrecht geurteilt wird. Ob alle Türken und Russen in Deutschland gewalttätig und kriminell sind? Natürlich nicht. Aber die, die es nicht sind und einen sehr viel größeren Teil von ihnen ausmachen, sind gut in die Gesellschaft eingegliedert und integriert, sprechen Deutsch und haben gute Schulabschlüsse und Berufe – und fallen nicht auf. Es wird in den Medien ja auch nicht über jeden normalen deutschen Bürger ohne Migrationshintergrund berichtet. Weshalb auch?
Diejenigen, über die berichtet wird oder die im Alltag in der Stadt durch unangebrachtes Verhalten auffallen, machen nur einen Bruchteil aller Migranten oder Deutschen mit Migrationshintergrund aus und des Weiteren gibt es mindestens genauso viele Deutsche ohne Migrationshintergrund, die sich genauso verhalten.
Und trotzdem entsteht so für viele ein falsches Bild von Immigranten, von welchem sie auf die gesamte Masse schließen. Zudem wird solch ein Bild dann auch schnell auf die Menschen aus dem Herkunftsland der Migranten projiziert, was absolut nicht der Wahrheit entspricht.
Die Welt ist leider doch noch kein Ort mit grenzenlosem Frieden, an dem alle glücklich und zufrieden zusammenleben. Die Welt ist eingeteilt in Kontinente, Staaten und Länder, die die Menschen voneinander trennen. Und auch wenn alle die gleichen Bedürfnisse und Ziele haben, teilen Staatsgrenzen uns in verschiedene Kulturen und Gruppen ein. Und diese Grenzen bilden Barrieren und Vorurteile in unseren Köpfen, die uns dann erst zeigen, dass wir doch irgendwie anders leben als die anderen; dass wir andere Lebens- und Essgewohnheiten haben, dass wir unterschiedliche Mentalitäten und verschiedene Vorstellungen von Kultur haben.
Ob man Menschen aus anderen Ländern einfach nur trifft und mit ihnen zusammen etwas unternimmt, oder ob man für eine längere Zeit in einem anderen Land lebt, kann man kaum vergleichen. Denn während man in einer Unterhaltung lediglich über Gemeinsamkeiten und Unterschiede spricht, muss man sich in einem fremden Land tatsächlich mit den Sitten und Gebräuchen von dort auseinandersetzen und sie akzeptieren.
Erst vor kurzem habe ich zwei Erfahrungen im Rahmen meines EFDs in Moldawien gemacht. Bei der einen bin ich wirklich an meine Grenzen gestoßen, während bei der anderen war es eher eine Erkenntnis war, die mir für den Rest meines Aufenthaltes noch hilfreich sein wird.
Die erste Erfahrung war bei einer Geigenlehrerin. Da ich ein ganzes Jahr hier bleibe, wollte ich gerne in ein Orchester gehen. Stattdessen hat eine Freundin für mich eine Geigenlehrerin ausfindig gemacht. Um zu sehen, wie gut ich spiele, sollte ich ein paar Stücke vorspielen. Als ich fertig war, wurde mir prinzipiell klar gemacht, dass ich alles falsch gemacht habe. Ich hielte den Bogen nicht richtig, die Geige läge falsch in meiner Hand und ich würde die Finger falsch bewegen. Dabei habe ich mit dieser Haltung mehr als sechs Jahren Geige gespielt; so habe ich es gelernt. Die Lehrerin konnte das aber nicht akzeptieren und hat mir erklärt, dass sie mich nur unterrichten kann, wenn ich meine Haltung von Grund auf ändere. Erst dann könne sie mit mir arbeiten. Das war für mich unverständlich, denn auch nur weil ich die Geige anders halte, als es hier in Osteuropa beigebracht wird, spiele ich trotzdem nicht schlecht. Mich darauf einzulassen, dass ich von null wieder anfangen soll mit dem Geige spielen, nachdem ich so viel Zeit in das bisher Gelernte investiert habe, war und ist immer noch eine Grenze für mich, die ich nicht überschreiten kann.
Die zweite Erfahrung, die mir für immer im Kopf bleiben wird, machte ich im Krankenhaus, wo ich ein Gesundheitszeugnis für das Visum ausstellen lassen musste. Irritierend fand ich erst einmal, dass in dem Abschnitt, der speziell für Immigranten und Ausländer ist, keine einzige Person Englisch kann. Also musste ich mich mit meinen zwei, drei Fetzen Rumänisch durchringen und versuchen zu erklären, was ich brauche. Ich war froh, dass die Ärzte mich überhaupt ein bisschen verstanden haben und dass ich die Fragen einigermaßen begreifen konnte. Es waren alle sehr nett und verständnisvoll, bis ich zur Internistin kam. Ich habe an der Tür angeklopft, bin eingetreten und habe „Noroc“ gesagt. Das ist das umgangssprachliche Hallo. Bis dahin hatten mir alle freundlich geantwortet. Diese Ärztin schrie mich jedoch im wahrsten Sinne des Wortes an, wie ich auf die Idee kommen könnte, „Noroc“ zu einer Ärztin zu sagen. Es hieße „Bună ziuă, doamna doctor“ („Guten Tag, Frau Doktor“). Als ich mich entschuldigte, wurde ich prompt wieder zurechtgewiesen und schroff verbessert. Ich habe die Ärztin geduzt. Bis dahin hat mir aber auch noch nie jemand gesagt, dass es eine formelle und eine informelle Form der Entschuldigung gibt.
Die Situation war für mich etwas befremdlich, weil ich es nicht gewohnt bin von Fremden in der Weise zurechtgewiesen zu werden, allerdings bin ich der Ärztin im Nachhinein ganz dankbar, dass sie mir – wenn auch nicht auf die freundlichste Weise – deutlich gemacht hat, wie man hier mit Älteren redet. In Zukunft wird mir das sicher einige Ärgernisse und böse Blicke ersparen.
Andere Grenzerfahrungen habe ich in Brasilien gemacht. Sobald Brasilianer herausgefunden haben, dass ich aus Deutschland komme, wollten die meisten sofort wissen, wie es in Europa ist; wie wir leben, was für Musik wir hören, was wir essen, ob es wirklich so kalt ist oder ob wir tatsächlich warmes Bier trinken. Natürlich haben sich auch einige speziell für Deutschland interessiert, aber die meisten waren an Europa interessiert. Für sie ist der Kontinent ein wunderbarer Ort mit vielen verschiedenen Kulturen und Sprachen und schönen, alten Städten mit einer langen, vielfältigen aber auch gemeinsamen Geschichte. Das fand ich sehr interessant, denn ich hatte noch nie so wirklich darüber nachgedacht. Doch es ist schon irgendwie wahr, dass uns in Europa alle eine gemeinsame Geschichte verbindet, auch wenn jedes Land zwischendurch seinen eigenen Weg gegangen ist, denn vor vielen hundert Jahren war ein Großteil des europäischen Kontinents von den Römern besiedelt und von Rom aus regiert. Und auch wenn wir heutzutage in verschiedenen Ländern leben, sind wir alle Bürger der EU und teilen gleiche Rechte und Pflichten, profitieren gemeinsam von Reisefreiheit ohne Grenzkontrollen und vielem mehr.
Was die zwischenmenschlichen Barrieren Insgesamt in Europa und den östlichen Nachbarländern angeht, denke ich, dass diese größtenteils schon verschwunden sind. Durch internationale Projekte oder Auslandsaufenthalte in denen Menschen aus verschiedensten Ländern aufeinander treffen wissen wir, dass wir unabhängig von der Herkunft, Religion oder Kultur doch alle gleich sind. Es sind viel mehr politische Grenzen, die uns voneinander trennen und uns in Europäer und Nicht-Europäer einteilen; ungeachtet unserer ethnischen Auffassungen, Ziele und politischen Positionen.
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