In der heimlichen Hauptstadt Krakau
Zufällig habe ich erfahren, dass eine Bekannte gerade ein Erasmus-Semester in Krakau verbringt. Also haben wir die Chance genutzt und uns gegenseitig besucht.
Anfang Februar bin ich wieder einmal gereist und habe mich von der Kultur Krakaus und dem Leben eines Erasmus-Studenten mitreißen lassen. Wie schon nach Warschau gebe ich zunächst einen kleinen Einblick in die polnische Geschichte. Denn ich finde es schade, dass so wenig über die kulturell sehr wertvolle, osteuropäische Vergangenheit gesprochen wird.
Nach Warschau ist Krakau die zweitgrößte Stadt mit 760.000 Einwohnern, wobei 8 Millionen in der Agglomeration wohnen. In Wrocław ist man besonders stolz auf die Wahl zur Kulturhauptstadt 2016. Krakau war dies bereits im Jahr 2000, schließlich ist die Stadt wahrhaftig ein kultureller Hot-Spot. Heutzutage ist die Stadt an der Weichsel „nur“ die Hauptstadt von Małopolska (Kleinpolen), bis 1596 war sie jedoch die Hauptstadt Polens. Speziell im spannungsgeladenen Verhältnis zu Warschau wird Krakau immer noch als heimliche Hauptstadt angesehen.
Eine mystische Stadt ist natürlich auch grandios entstanden. Auf dem Wawelhügel, wo sich heute eine der bedeutendsten Burgen Polens befindet (es gibt sogar Wawel-Schokolade), lebte vor langer Zeit ein gefährlicher Drache. Eines Tages kam der intelligente Stammesfürst Krak in die Stadt und stellte dem Drachen eine Menge Essen zur Verführung. Doch dieses war so stark gewürzt, dass der Drache, wie nach einem mexikanischen Restaurantbesuch, sein Brennen mit Wasser löschen wollte. Doch das Trinken aus der Weichsel half nicht hilf und so trank er immer mehr und immer mehr bis er schließlich platzte. Aus Dank beerdigten die Bewohner Krakaus Krak und seine Tochter auf dem Wawelhügel.
Bevor der Drache in dem Gebiet um Krakau lebte, wurde es schon seit über 20.000 Jahren bewohnt. Ende des 10.Jahrhunderts war es ein bedeutender Handelsplatz und wurde im Jahre 1000 Bolesław I. dem Tapferen zum Sitz des Bistums Krakau ernannt und die Wawelburg entstand. Im Jahre 1038 wurde Krakau die Hauptstadt Polens. In Folge eines Streites zwischen weltlicher und kirchlicher Macht erschlug König Bolesław II. der Kühne den Erzbischof Stanislaus in der Michaeliskirche 1079 (aber in Krakau, liebe Dorfbewohner :D). Der Getötete wurde zum Schutzpatron der Stadt und der Mörder floh nach Ungarn, wo er kurze Zeit später vergiftet wurde. Daraufhin wurde Polens Hauptstadt bis Anfang des 12.Jh. nach Płock verlegt. Nachdem die alten Zustände wiederhergestellt waren prosperierte das Krakauer Leben bis die Tartaren und Mongolen die Stadt fast vollständig zerstörten. Nur die in die Wawelburg und St. Andreas Kirche geflohenen Bürger überlebten. Der Wiederaufbau wurde zum Einführen eines schachbrettartigen Straßensystems genutzt, das bis heute noch besteht.
Deutsche im mittelalterlichen Krakau
In Krakau gab es eine große deutsche Gemeinde, angezogen vom Reichtum der Stadt, der vor allem auf dem Salzabbau fußte (in der Umgebung Krakaus ist die Salzmine Wieliczka eine große Touristenattraktion mit ca.1 Million Besuchern jährlich. Es ist eines der wertvollsten Denkmäler materieller Kultur in Polen und UNESCO-Weltkulturerbe). Nach einem Aufstand dieser deutschen Gemeinde sollten alle Deutschen hingerichtet oder verbannt werden. Hättet ihr überlebt? Hierzu gab es einen simplen Test: Wer „soczewica (sotschefiza), koło (ko[water w] o), miele (mjele), młyn (m[water w] en)“ nicht fehlerfrei aussprechen konnte, galt als Deutscher. Wahrscheinlich wärt ihr besser geflohen. Es wäre auch nicht für lange gewesen, denn 1,5 Jahrhunderte später waren wieder rund 36 % der Einwohner deutschsprachig, sodass sogar auf Deutsch gepredigt wurde. Viele deutsche und italienische Gelehrte und Künstler kamen und prägten Krakau. Zum Beispiel wurde der Altar der Marienkirche, auf dem Marktplatz, von einem Deutschen erstellt. Es wirkte zudem Hans Dürer, der jüngere Bruder Albrecht Dürers, als Hofmaler. Der italienische Einfluss ist vor allem Bona Sforza zu verdanken. Sigismund I. hatte sich nach dem Anblick ihres Porträts in sie verliebt. Beim ersten realen Anblick kurz vor dem Traualtar soll er jedoch so enttäuscht gewesen sein, dass er die Hochzeit beinahe abgesagt hätte. Hat er aber zum Glück nicht, denn so kamen unter anderem die berühmten Brüder Santi und Monti Gucci in die Stadt und bauten die Tuchhallen und erweiterten die größte Synagoge Krakaus.
Königliches Krakau
Habt ihr schon einmal von der polnisch-litauischen Union gehört? Ein polnisches Nationalgericht sind die „pierogie ruskie“, große Teigtaschen gefüllt mit gestampften Kartoffel, twaróg (ein bisschen wie körniger Frischkäse) und meist Zwiebeln. Übersetzt heißen diese „pierogie russisch“. International wird, sehr zum Leidwesen der Polen, darüber gelacht, dass ein polnisches Nationalgericht russisch ist. In Wirklichkeit stammt es aber aus der Zeit der polnisch-litauischen Union. Die erst 12-jährige Hedwig wurde 1384 König (nicht Königin;)) und heiratete den litauischen König Władysław II. Jagiełło. Auch hier gibt es wieder eine Verbindung zur deutschen Geschichte, denn dieser König besiegte 1410 den Deutschen Orden bei der Schlacht von Tannenberg. Einer der Jagiellonen-Söhne Kasimir IV. Jagiellonicus (Kazimierz IV Jagiellończyk) heiratete Elisabeth von Habsburg. Zusammen hatten sie so viele Kinder, die wiederum in andere Adelsgeschlechter einheirateten, dass heutzutage fast alle europäischen Monarchen mit diesem Ehepaar verwandt sind. Eines der Kinder heiratete den Erben von Bayern-Landshut, weshalb in Landshut noch immer alle vier Jahre diese Hochzeit als Volksfest gefeiert wird.
Wie ich schon im Bericht über Warschau erzählt habe, wechselte 1596 die Hauptstadt von Krakau nach Warschau. Denn der polnische und zeitweise schwedische König sowie zeitweilige Zar von Russland Sigismund III. Vasa suchte die Nähe zu seinen Königreichen. Dadurch sank die politische und kulturelle Bedeutung Krakaus rapide ab. Als Teil der Österreichisch-Ungarische Monarchie entwickelte sich Krakau jedoch schon bald wieder zu einem bedeutenden Zentrum.
Jüdisches Leben in Krakau
An einem Seitenarm, in der Nähe der damaligen Stadt Krakau, entstand ab dem 11. Jahrhundert eine Stadt. Hier lebten Christen und Juden zusammen. Am 27.3.1335 gab Kasimir der Große (Kazimierz Wielki) dieser Siedlung das Stadtrecht und benannte die neue Stadt nach sich: Kazimierz. Da es gewissermaßen seine Stadt war, erhielten die Bewohner zahlreiche Privilegien. Den Juden wurde ein besonderer Schutz zugesprochen und so kam es, dass sich immer mehr jüdische Menschen in Kazimierz ansiedelten und das Stadtbild bis heute prägen. Verstärkt wurde dieser Prozess durch die Pogrome 1494 in denen die Juden aus Krakau vertrieben wurden und siedelten sich in Kazimierz ansiedelten. Alle Christen wurden gezwungen das jüdische Viertel zu verlassen. Nur ein polnischer Apotheker wollte nicht gehen. In den Jahren des Ghettos unterstützte er die Unterernährten, verteilte Medikamente und verhalf einigen sogar zur Flucht. An dem Platz, von dem aus die Abtransporte losfuhren, stehen heute übergroße Stühle aus Metall, die meisten in Richtung Jerusalem gerichtet. Einige zeigen auch in Richtung der verschiedenen KZ. Die Stühle sind leer, denn die Menschen, die drauf saßen und warteten, werden nie mehr zurückkommen.
Ich habe an einer Free-Walking-Tour durch das Viertel teilgenommen, das heißt, man zahlt am Ende so viel wie man möchte. Auf dieser Tour wurde von einigen sehr berühmten polnischen Juden erzählt. Zum Beispiel wurde die Jüdin Helena Rubinstein in Krakau geboren. Vielen ist sie bekannt durch die Kosmetikreihe Rubinstein. Geboren 1870, wanderte Helena mit 18 Jahren nach Queensland in Australien aus. Dort verkaufte sie mitgegeben Cremes ihrer Mutter so erfolgreich, das sie einen Schönheitssalon eröffnete. Später zog sie nach Polen zurück, musste jedoch als Jüdin in die USA auswandern, wo sie ihr Geschäft „Rubinstein Inc.“ für 7,3 Millionen US-Dollar verkaufte und gewinnbringende nach der Wirtschaftskrise für 1,5 Millionen US-Dollar zurückkaufte. Und sie tat etwas, das viele Frauen verwundern dürfte. Sie stellte sich nämlich älter dar als sie eigentlich war um zu zeigen, wie gut ihre Cremes wirken :D
Ein weiterer bekannter jüdischer Pole war Maksymilian Faktorowicz. Er war der offizielle Kosmetikberater der Zarenfamilie und der Königlichen Oper. Nachdem auch er Anfang des 20. Jahrhunderts in die USA ausgewandert war, entwickelte er wasserfestes Mascara, erfand 1930 Lipgloss und 1937 das sogenannte Pan-Cake-Makeup. Auch heute noch ist sein Geschäft sehr erfolgreich unter dem Namen Max Factor.
Nachdem die Juden im 2.Weltkrieg zunächst in das zum Ghetto erklärte Viertel Kazimierz zwangsumgesiedelt und deportiert wurden, etabliert sich inzwischen wieder jüdisches Leben. Es gibt koschere Restaurants und Supermärkte und sogar ein vom britischen Königshaus gesponsertes Zentrum jüdischer Kultur. Und das ist kein Museum, sondern ein aktives Zentrum, ein Gemeindehaus. Viele entdecken hier auch ihre jüdischen Wurzeln neu. Denn die wenigen Juden, die zu kommunistischen Zeiten in Polen blieben, konnten nur unbeschwert überleben, in dem sie ihre jüdischen Wurzeln verleugneten. Daher kommt es inzwischen bei der jüngeren Generation immer öfter vor, dass sie von ihrer Oma erfahren, dass sie eigentlich jüdisch sind. Wie komisch muss es sein, wenn man sein Leben lang überzeugter Christ gewesen ist und dann erfährt, dass die Eltern einem alles nur vorgelogen haben. Dass man eigentlich eine ganz andere Identität hat. Natürlich fragen die jungen Menschen nach dem Brauchtum ihrer Vorfahren. Um diesem Verlangen nachzugehen und auch um das polnische Judentum nicht aussterben zu lassen, wurde das jüdische Gemeindezentrum errichtet. Es ist übrigens offen für jede Religion, denn gerade der Austausch ist wichtig für das Fortbestehen des Judentums.
Übrigens haben die wunderschönen schmalen und gemütlichen Straßenzüge mit seinen urigen, teils hebräischen, Restaurants den Regisseur Steven Spielberg, der selbst Jude ist, zur Wahl von Kazimierz bewogen um hier Teile von Schindlers Liste zu drehen. Der überzeugte Nazi Schindler hatte im damaligen Ghetto Kazimierz eine Fabrik in der Juden als billige Arbeitskräfte eingestellt waren. Als es daran ging, dass die Juden abtransportiert werden sollten, bezeichnete Schindler sie als unverzichtbar für seine Produktion. Dadurch rettete er viele so genannte Schindlerjuden vor dem Tod. Auch wenn er opportunistisch agierte, seine ersten Erfolge durch den Schwarzhandel erzielte und ein Lebemann war, so sollte man doch an den Spruch im jüdischen Talmud denken: „Wer nur ein einziges Leben rettet, rettet die ganze Welt.“ Wie oft wurde die Welt also im 2.Weltkrieg gerettet?
Sehenswürdigkeiten
Es ist fast schon schade, dass man bei näherem Betrachten einer europäischen Stadt immer zwangsläufig auf die Gräueltaten im 2.WK stößt. Schließlich haben die Städte noch so viel mehr zu bieten. Neben der Wawelsburg ist Krakau besonders berühmt für die Tuchhallen. Heutzutage kann man dort zwar nur noch touristische Artikel kaufen, früher war es aber ein Teil des Marktplatzes. In der ersten Etage der Tuchhallen befindet sich ein Teil des Museums, das sich in Gebäuden in ganz Krakau erstreckt, weil es so viele Ausstellungsstücke hat. Krakau ist auch berühmt für seine sehr alte Jagiellonen-Universität, die 1364 durch Kazimierz den Großen gegründet wurde. Sie ist nach Prag die zweitälteste Universität Europas. An der Uni haben schon Kopernikus und Papst Johannes Paul II studiert. Außerdem interessant ist die Marienkirche am Rynek aus der zu jeder vollen Stunde ein Turmbläser mit einer Melodie, die im Halbton abbricht, ich gebe zu, da rezitiere ich nur den Guide, meine Musikerfreunde können das bestimmt besser darstellen. Denn als Krakau wieder einmal angegriffen wurde, warnte der Turmbläser die Bewohner, kam aber nicht bis zum Ende, da ihn ein gegnerischer Pfeil tödlich traf. Und was ist sonst noch schön an Krakau? Sicher die Barbakane, die Befestigungsanlage rund um die Altstadt. Sie ist von einem Park umgeben, der zu einem Spaziergang einlädt.
Da Krakau im Krieg wenig zerstört wurde, haben sich all die kleinen Häuser mit ihren verzweigten Kellergewölben erhalten. Wenn ihr also mal nach Krakau fahren solltet, was ich nur empfehlen kann, dann sagt euch einfach, schlafen kann man hinterher. Es ist super, den Abend zu nutzen und nach einer Überwindung wird man beim Anblick der Stadt gleich wieder wach. Und probiert die Krakauer Brezeln. Ich finde zwar, sie schmecken wie ein Sesamring, aber die Polen sind ganz stolz drauf. Denn in Polen sind diese Brezeln noch berühmter als die Krakauer Würstchen.
Und jetzt: Guten Appetit!
P.S.: Der Gegenbesuch war auch super. Wir haben uns die Hala Stuleicia angeschaut und sind zufällig in eine Bau- und Wohnungsmesse geraten:D
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