Im Land des Feuers. Oder die Frage: Wo bist du?
Aserbaidschan ist ein Land voller Gegensätze und verschiedener Einflüsse. Türkisch, Russisch, Persisch und Arabisch geben sich sprachlich, kulturell und kulinarisch die Hand.
Während ich im Bus sitze und dem Fahrer zu schaue, wie er dem anderen Busfahrer vor ihm hektische, fast schon einem epileptischen Anfall ähnliche, Licht- und Hupzeichen gibt, frage ich mich, wie viel von dem, was ich hier erlebe und kennenlerne, ich schon vorher geahnt oder erwartet habe. Was genau wusste ich über Aserbaidschan? Und die Emails mit Fragen, die mich hier erreichen, zeigen mir, dass es vielen ähnlich geht.
Wo soll ich anfangen, Aserbaidschan zu beschreiben? Dazu fällt mir nur ein passender Satz zur Definition des Landes, der Kultur und der nationalen Identität ein: “Nothing can be taken for granted.” Der Satz zur Beschreibung Aserbaidschans, den ich vor ein paar Tagen in einem Buch zur aktuelleren Geschichte des Landes gelesen habe, hat sich festgesetzt. Vielleicht sollte ich ihn zum Slogan dieses Jahres machen. In Aserbaidschan kann wirklich nichts für selbstverständlich genommen werden. Jedes Mal, wenn ich denke, dass es jetzt so-und-so sein müsste (also, nachdem ich viel Deutschsein abgezogen und interkulturelles Verständnis sowie meine bisherigen Erfahrungen addiert habe), kommt es doch wieder ganz anders.
Aber nun von Anfang an: Aserbaidschaner, so schrieb der Autor des Geschichtsbuches, gehören zu den turkischen Völkern. Und das kann ich auch überall feststellen. Die Türkei wird als ‘großer Bruder’ bezeichnet und ab und an werde ich durch Situationen, Gesten und sogar durch diverse Gerichte an die Türkei erinnert. Auch die Sprache ist dem Türkischen sehr änhlich. Mein Aserbaidschanischlehrer lacht oder schimpft sogar manchmal, dass ich ständig die türkischen Wörter benutze. Denn die meisten in Aserbaidschan verstehen Türkisch ohne Probleme. Aber Aserbaidschanisch ist dem Türkischen eben nur ähnlich und nicht identisch. Und so sitze ich drei Mal die Woche im Aserbaidschanischunterricht und versuche, die Wörter richtig zu schreiben und auszusprechen. Und bin nur froh, dass nach der arabischen und der kyrillischen Schrift, 1990 das lateinische Alphabet eingeführt wurde. Gleichzeitig hat das Aserbaidschanische viele Einflüsse aus dem Persischen und dem Arabischen. Und dem Russischen. Es mischen sich Wörter wie palto (aus dem Russischen und bedeutet Jacke oder Mantel) mit kitab (aus dem Arabischen und bedeutet Buch) mit Wörtern aus dem Persischen (dazu weiß ich gerade kein Beispiel, weil ich kein Farsi spreche und daher die Wortherkunft nicht bestimmen kann). Und am Ende verbindet sich alles zu einer Sprache, die aus jeder anderen Sprache nur die schwierigsten Laute – so kommt es mir jedenfalls vor – geklaut hat. Sch-, tsch-, ts- und dj-Laute verbinden sich mit ch-Lauten wie in Drachen und dazu kommen noch zwei verschiedene “r”-Töne. Einen im Rachen, einen mit der Zunge. Am Ende jeder Stunde raucht der Kopf und die Zunge hat einen Knoten.
Dass, was die Sprache kann, dass kann die Kultur schon längst. Denn obwohl die Türkei der ‘große Bruder’ ist, sind die Menschen, wenn auch meist nicht wirklich auslebend, Shiiten. Also folgen sie der gleichen islamischen Richtung wie die Iraner_innen. Und überhaupt war Aserbaidschan vor der Besetzung durch das russische Zarenreich Mitte des 19. Jahrhunderts Teil des Persischen Reiches. Also eigentlich sind sie daher eher persisch. Aber auch der russische Einfluss sollte nicht außer Acht gelassen werden. 70 Jahre Sowjetrepublik lässt sich nicht einfach ausradieren. Viele Häuser und auch Gerichte erinnern an Russland. (Also erinnern mich an das, was meine Mama mir von Russland erzählt hat. Ich selbst war ja noch nie da.) Und die kleinen Busse heißen hier nicht dolmuş, wie in der Türkei, sondern marshrutka, wie im Russischen. Und auch wenn die Sowjet-Vergangenheit in Form von Häusern nach und nach abgerissen und durch Neubauten ersetzt wird, ist der Atem der russischen Vergangenheit weiterhin spürbar.
Und dann ist da noch dieser Widerspruch, der mich… nun, nicht ganz überrascht, aber irgendwie doch nicht los lässt. Bei unserer Ankunft in Baku fuhren wir durch das nächtliche Baku, dass mit seinen Prachtbauten, Hochhäusern und wahnsinniger Beleuchtung aller mehr oder weniger wichtigen Gebäude seinen Ölreichtum nur so zur Schau stellt. (Selbst die Tankstellen funkelten!) Denn das ist es, was Aserbaidschan theoretisch reich macht: natürliche Ressourcen wie Erdöl und Erdgas. Doch nur die wenigstens profitieren von diesem Wohlstand. Schon die Außenbezirke von Baku zeigen ein anderes Aserbaidschan. Eins, dass sich selbst kaum Gas für die Heizung leisten kann. (Wie geht das in einem Land, dass unter anderem einen Berg hat, der sich seit Jahrtausenden selbst entzündet, da das Erdgas ins Freie dringt, weil da anscheinend viel zu viel Erdgas in diesem Berg ist?) Auch an Straßenbeleuchtung wird gespart. So erstrahlt das Rathaus hier in Ganja nachts in wundervollem Glanz, während ich mich ohne Straßenbeleuchtung und auf nicht befestigten Wegen vom Bus nach Hause kämpfe.
Es ist dieser Widerspruch, der Aserbaidschan prägt. Der Prunk und die Mittellosigkeit. Oder um es ganz wörtlich zu nehmen: Hell und dunkel. Aber am Ende ist es ja nie ganz schwarz und weiß. Die Facetten kennenzulernen, darauf freue ich mich am meisten. Denn das sind die Momente, die mich am meisten überraschen. Wenn ich es anders erwarte, als es am Ende kommt. Und bis dahin versuche ich, nicht jedesmal blind vor mich hinzustolpern, wenn ich nach Hause gehe.