Im Ankommen: Von Regenschirmen und Baguette-Automaten
Wenn sich eine Woche im Rückblick plötzlich wie ein Monat anfühlt, ist meistens viel passiert. Vor allem wenn es die erste Woche in der Stadt ist, die für die nächsten acht Monate dein neues Zuhause sein soll.
Viel passiert ist deshalb, weil sich die verschwommenen Konturen langsam zu erkennbaren Formen zusammenfügen. Langsam kenne ich die Wege zur Uni und zum großen Supermarkt, weiß, wo man sonntags auf Flohmärkten stöbern kann und habe die ersten anderen Studierenden an der Uni kennenglernt. Ich habe ein Bankkonto eröffnet, mir eine französische Nummer besorgt, ein Fahrrad gekauft.Vor allem aber hab ich mich durch riesigen Stapel an Welcome-Heften und Infobroschüren gekämpft, um die Stadt ein bisschen besser zu verstehen. Denn auch wenn ich jetzt auf den Markt zwischen den Einheimischen frisches Baguette kaufe und die scheinbar endlosen Vitrinen mit Käse und Austern bewundere, fühle ich mich immer noch genauso als Touristin wie am ersten Tag.
Um das zu ändern, mach ich mich auf die Suche nach Menschen und Plätzen, die zu mir passen, weil sie mir ein Gefühl des Ankommens geben. Solche Orte finden sich oft ganz von allein, durch Zufall, wenn man gar nicht damit gerechnet hat. Das kann das versteckte Café hinter der Uni sein, das frischen Chai-Tee serviert oder der kleine Platz mit einer schlichten Kirche und hohen französischen Fenstern, der so schön weit weg vom touristischen Gedränge in der Altstadt ist. Meine wohl schönste Entdeckung ist ein kleines Nachbarschaftsfest, auf das ich stoße, als ich am Abend auf dem Weg in die Stadt bin. Plötzlich schlägt mir rhythmischer Swing aus einer kleinen Seitenstraße entgegen. Als ich um die Ecke schaue, steht dort eine große Tafel mit selbstgemachten Essen und Wein, an der Omas und Opas, Mütter und Väter sitzen und zusammen essen und lachen. Kinder spielen auf der Straße, die Band spielt und davor hat sich eine feiernde kleine Menge Tanzender versammelt, zu der immer mehr Leute hinzustoßen. Als ich so zwischen den sandfarbenen französischen Häusern herumtanze, denke ich, so muss es sein: Frankreich, Bordeaux und das nächste Jahr.
Nicht ganz so einfach ist es dagegen, die Leute kennenzulernen, mit denen man auch wirklich Zeit verbringen möchte. Nicht nur zum Wein trinken und feiern, sondern zum reden und diskutieren. Zwar ist die Stadt vollgepumpt mit Studierenden, mit 53.000 um genau zu sein, die sich auf vier große Campus, in der ganzen Stadt verteilen. Doch auch wenn die Auswahl riesig ist, wird es schon etwas schwieriger die Schwelle zwischen oberflächlichem Zwangszusammensein zu durchbrechen und die Smalltalk-Eben zu verlassen. Weil hier aber am Anfang jeder und jede irgendwie ein bisschen verloren ist, geht alles dann doch recht schnell und es tut gut zu hören, dass andere genau das gleiche fühlen, wie man selbst. Im Gewirr aus Facebook, Whatsapp- und Telgrammgruppen und deutschen und Französischen Handynummern werden jeden Abend neue Pläne geschmiedet, die meistens irgendwas mit Wein zu tun haben. Ich habe Glück und treffe auch einige Leute, bei denen alles ganz einfach geht und Schwellen sich gar nicht erst bemerkbar machen.
Genauso wichtig wie das Vertraute zu suchen, ist aber offen für das neue Andere zu sein. Das fängt schon bei den schmalen Fußwegen an, auf denen sich selbst zwei sehr dünne Personen eng an einander vorbeizwängen müssen. Oft weichen die Entgegenkommenden nicht aus und wer es eilig hat, sollte weise vorausplanen, wann er überholen will. Und dann sind da immer wieder die Französinnen und Franzosen, die mit mindestens einem Baguette unter dem Arm durch die Straßen hetzten. Und weil dieses Bild so schön das Klischee erfüllt, wundere ich mich auch kaum noch als ich auf einer Straße einen Baguette-Automaten entdecke, der rund um die Uhr per Knopfdruck französisches Weißbrot liefert.
Neu ist vor allem das Wetter. Und das ist hier vor allem eins: Unentschieden. Immerhin ist auf den Regen ist Verlass. Der kommt zuverlässig jeden Tag mindestens zweimal, mal als Nieselregen, mal als plötzlicher Schauer, aber immer in Begleitung von tiefhängenden grauen Wolken. Die erste Lektion, die ich in Bordeaux lerne: Gehe niemals ohne Regenschirm oder Regenjacke aus dem Haus. Und so sehr das tropfende Nass auch auf die Stimmung schlagen mag, so ist es doch etwas Beständiges, etwas das von hier kommt und etwas bei dem man sicher sein kann, dass es morgen auch wieder da sein wird.
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