Illegale Zerstörung eines Kulturdenkmals: ein herber Schlag für die Kulturhauptstadt 2019
Das Tabakviertel in Plovdiv steht schon lange im Blickpunkt der Stadtentwicklung. Seine Zukunft ist im Spannungsfeld der Stadtgemeinde, der Immobilienentwickler und der Kulturschaffenden im Ungewissen. Jetzt wurde eines der Gebäude abgerissen – ein Aufschrei der Bürger folgte. Nach außen präsentiert sich die Stadt als aufstrebende, kreative Kulturhauptstadt für das Jahr 2019. In der Realität hat sie zugelassen, dass wichtiges kulturelles Erbe zerstört wurde.
Errichtet wurden die Lagerhallen im 19. Jahrhundert, in den 1920er Jahren zu Zeiten des Wirtschaftsbooms waren sie ein wichtiger Wirtschaftsstandort. Sie beeindrucken durch ihre neoklassizistische und Jugendstilarchitektur. Im Rahmen der Kulturhauptstadt sollte das verlassene Viertel wiederbelebt werden mit kulturellem Inhalt. Zahlreiche Interessierte stellten ihre Ideen für die Zukunft des Viertels in einer öffentlichen Debatte vor. Plovdivs Oberbürgermeister Ivan Totev versprach, die Gebäude im Rahmen der Kulturhauptstadt durch ein Umstrukturierungsprogramm als Räumlichkeiten für Kunst und Kultur zur Verfügung zu stellen. Ein zentrales Problem gibt es jedoch: die Häuser gehören nicht der Stadt, sie sind in privatem Besitz einer italienischen Firma. Und die Besitzer haben andere Pläne: Hotels, Büroräume, verglaste Hochhäuser – bis zu 60 Meter hoch. Dabei sind die teils verfallenen Hallen ein Dorn im Auge. Der einzige Grund, weswegen sie noch stehen ist der Denkmalschutz, unter dem sie stehen – denkste!
Ein langes Wochenende und den bulgarische Nationalfeiertag nutzt der Besitzer, um eines der Gebäude möglichst unbemerkt abzureißen: „Edirne 8“. Bagger und Bohrer zerstören das Gebäude innerhalb weniger Tage fast komplett. Passanten alarmieren die Polizei: die verkündet es sei alles legal und sie könnten nichts dagegen unternehmen. Dank Facebook verbreiten sich Fotos, Videos und Empörung rasant und bereits am nächsten Tag findet eine Demonstration statt. Als ich gegen 8:30 vor den Resten der Fabrikhalle ankomme haben sich schon etwa 100 Demonstranten gesammelt. Für Bulgariens kleine Zivilgesellschaft und der in der Gesellschaft vorherrschenden Biedermeiermentalität eine stolze Zahl. Auch zahlreiche Medien sind vor Ort. Wir fassen uns an den Händen vor der zerstörten Fassade. Wir blicken in die auf uns gerichteten Kameras und versuchen Stärke und Zusammenhalt auszustrahlen. Ich erkenne viele mir bekannte Gesichter: den Direktor des Zentrums für Contemporary Art und den eines Architekturfestivals. Die Veranstalter der Nacht der Museen und Galerien, Festival- und Konzertveranstalter, Initiatoren eines sozialen Projekts im lokalen Roma Ghetto, Fotografen und Galleristen. Ihr Verdienst ist es, dass die Stadt zur Kulturhauptstadt gekürt wurde.
9 Uhr: Jeder Anwesende nimmt einen Stein in die Hand und wir tragen diese zum Rathaus von Plovdiv. Dort laden wir die Steine und den Bauschutt auf den Treppen ab. Wir präsentieren der Stadt die Ruinen des Projektes Plovdiv 2019. Schon bald treffen Sicherheitsbeamte ein. Sie beginnen, die Steine wegzuräumen. Doch die Demonstranten türmen immer neue Steine auf und tragen die alten wieder herbei, bis die Beamten aufgeben. Wir fordern den Oberbürgermeister der Stadt, Ivan Totev auf, aus seinem Rathaus herauszutreten um uns Antworten zu darauf geben, was hier gerade passiert ist.
9:25 Uhr: Georgi Marinov, Bürgermeister für öffentliche Angelegenheiten taucht auf. Man bietet uns an, fünf Repräsentanten in die anstehende Konferenz um 10:30 zu entsenden. Wir lehnen ab – entweder alle oder keiner.
9:45 Uhr: Rumen Rusev, Hauptarchitekt der Stadt, tritt vor die Tür. Er wirkt äußerst verunsichert und labil, er trägt einen betrübten Gesichtsausdruck. Auf die empörten Fragen der Demonstranten flüstert er lediglich etwas vor sich hin, so leise, dass es nicht einmal die Mikrofone der Fernsehsender direkt neben ihm erfassen können. Es tue ihm leid, mehr bringt er nicht in Zimmerlautstärke hervor. 10 Uhr: immer weniger Demonstranten sind vor dem Rathaus – auch ich muss auf die Arbeit gehen. Zu diesem Zeitpunkt sind es etwa 40.
10:30 Uhr: Nur noch etwa 20 Demonstranten befinden sich vor dem Rathaus. Alle dürfen an der Konferenz teilnehmen. Viele Fragen, viel Empörung – wenige Antworten. „Der Abriss was legal, mir sind die Hände gebunden“ wiederholt Oberbürgermeister Ivan Totev immer wieder. Stück für Stück offenbart sich jedoch, was sich hinter den Kulissen abgespielt hat. Laut Dokumenten der Verwaltung wurde ein Fehler begangen. Aus Versehen wurde nur das gegenüberliegende Gebäude Nummer sechs unter Denkmalschutz gestellt – Nummer acht jedoch nicht. In einem Dokument vom August 2010 wird dem Gebäude keinerlei kulturelle Bedeutung, die zu einem Denkmalschutz führen kann eingeräumt. Aus Versehen? Oder vielleicht eher Korruption?
Doch bald meldet sich das Ministerium für Kultur zu Wort: Es hat andere Dokumente, die von denen des Gemeinde Plovdiv abweichen. Laut dem Dokument des Ministeriums für Kultur steht „Edirne 8“ unter Denkmalschutz. Das Dokument der Gemeinde besitzt keine Stempel und keinen Namen, wer dieses ausgestellt hat. Wie ist das möglich?! Außerdem hat die Gemeinde Plovdiv anscheinend schon eine Woche vor dem Abriss von der Absicht der Besitzer gewusst. Und hat dabei nichts eingewandt. Der Abriss des Gebäudes wird daraufhin eingestellt.
Der Kulturminister Bulgariens, Vezhdi Rashidov erklärt 2 Tage nach dem Abriss, dass das Gebäude wieder aufgebaut werden muss und der Originalzustand hergestellt werden soll. Ob das tatsächlich passieren wird? Ebenfalls spannend bleibt die Frage, ob der Vorfall personelle Konsequenzen haben wird in der Gemeindeverwaltung der Stadt.
Das Titelfoto stammt von Lina Krivoshieva, eine Fotografin, die den kulturellen Wandel der Stadt dokumentiert. Das Projekt nennt sich "The Plovdiv Project".
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