How to: teatime!
„Möchtest du gleich ein Abenteuer erleben oder lieber erst Tee trinken?“, fragte Peter. „Zuerst den Tee!“, sagte Wendy schnell.
~ aus J.M.Barrie: Peter Pan
„Can we have a tea break now?“: Ich weiß gar nicht wie oft ich diesen Satz während der letzten Tage von einem „meiner“ Residents gehört habe! Mindestens zweimal am Tag lassen wir unsere Beschäftigungen ruhen und setzten uns gemütlich an den Wohnzimmertisch. Für die Residents gibt es dann in der Regel eine Tasse decaf Schwarztee und für mich auch manchmal Kaffee und dazu ein paar Kekse oder eine Banane. Was mir zuerst etwas unnötig vorkam - schließlich sind unsere Tagesabläufe, die im Moment hauptsächlich aus kurzen Spaziergängen, Fernsehschauen, Vorlesen von Kindergeschichten oder Basteln bestehen, nicht wirklich anstrengend - ist inzwischen ein fester Teil meiner Alltagsroutine geworden und ich schätze die kurzen Momente, in denen man vielleicht auch mal eine etwas komplexere Diskussion mit einem anderen Co-Worker führen oder einfach kurz die Gedanken schweifen lassen kann. Und schließlich befinde ich mich hier in Nordirland ja schließlich immer noch im Vereinigten Königreich, einer traditionellen Hochburg für eine ausgeklügelte Teekultur. Mir ist aber auch aufgefallen, dass es unter nicht einheimischen Menschen eine enorme Verwirrung darüber gibt, wann genau in Großbritannien jetzt „teatime“ ist und wie man sich dabei verhalten sollte. Darum gibt es hier für euch eine kleine Zusammenfassung aller Missverständnisse und Fakten rund um diesen wesentlichen Bestandteil britischer Kultur, auf die ich während meiner Recherche gestoßen bin!
Besagte Missverständnisse fangen schon mit dem Begriff des Tees selber an. Zum einen kann dieser sowohl das Heißgetränk, als auch eine Mahlzeit beschreiben und zum anderen ist traditionell nicht alles, was wir in Deutschland als solchen bezeichnen auch wirklich Tee. In seiner ursprünglichen Bedeutung ist die Bezeichnung „Tee“ ausschließlich heißen Aufgussgetränken aus Blättern und Knospen der Teepflanze vorbehalten, wozu beispielsweise Schwarztee, Grüntee und Weißer Tee gehören. Diese Sorten unterscheiden sich übrigens grundsätzlich voneinander nur im Grade ihrer verarbeitungsbedingten Oxidation. Erst seit dem frühen 18. Jahrhundert gibt es in manchen Sprachen auch dieselbe Bezeichnung für Aufgussgetränke aus anderen Planzen (zum Beispiel Kräuter- oder Früchtetees).
Zwar steht Großbritannien seit mehreren Jahrhunderten an einer der ersten Stellen in der Rangfolge der größten Teekonsumenten, ist aber definitiv nicht das Geburtsland des Kultgetränkes. Ganz im Gegenteil wurden die ersten Teeimporte, hauptsächlich aus China, erst auf das 17. Jahrhundert zurückdatiert. Überlieferungen zufolge war es Katharina von Braganza, eine mit König Karl dem Zweiten verheiratete portugiesische Prinzessin, welche sich als Erste Tee aus China nach England liefern ließ, wo dieser bis dahin völlig unbekannt gewesen war. Asterix-Liebhaber kennen da allerdings natürlich eine ganz andere Geschichte.... Wie dem auch sei, breitere Beliebtheit, zumindest unter der adeligen Oberschicht, erlangte das Heißgetränk erst durch die kulinarischen Vorlieben von Queen Anne (1665-1714) welche zum Frühstück eine Tasse Tee dem bis dahin üblichen Warmbieres vorzog und damit gewissermaßen zur vintage Trendsetterin wurde. Auch wenn in den folgenden Jahren Tee in immer mehr Kaffeehäusern auftauchte und durch die neu entstehenden Teegärten auch Frauen vermehrt Zugriff darauf hatten (zu dieser Zeit waren Kaffeehäuser ausschließlich dem „starken Geschlecht“) vorbehalten), blieben die aromatischen Blätter unter anderem auf Grund hoher Teesteuern zunächst ein Luxusgut, welches sich ausschließlich die wohlhabende Oberschicht leisten konnte. Erst als im späten 18. Jahrhundert die Teesteuer gesenkt wurde und im darauffolgenden Jahrhundert England anfing, Tee auch vermehrt in den eigenen Kolonien anzubauen, eroberte er langsam auch die Küchen der Mittel- und Arbeiterschicht.
Auf diese lange Zeit sehr ausgeprägten Klassenunterschiede der britischen Gesellschaft gehen auch zwei der weitverbreitesten Traditionen einer „teatime“ zurück: der „afternoon tea“, auch „low tea“ genannt, und der „high tea“.
Die Erfindung des „low tea“ wird häufig einer gewissen Anna Maria Russel, einer Hofdame Königin Victorias, zugeschrieben. Erzählungen zufolge verspürte die adelige Dame in der langen Pause zwischen der leichten Mittagsmahlzeit und dem recht späten Abendessen des öfteren einen Anfall von Hunger, wogegen sie sich gerne eine Tasse Tee und ein paar kleinere Stärkungen auf ihr Zimmer bringen ließ. Natürlich blieb es nicht bei diesen stillen Snacks: die gute Anna begann, ihre Freundinnen zu ihren erfrischenden Pausen einzuladen, und bald verbreitete sich die Kunde von der Duchess´ interessanten Praktiken in den adligen Kreisen und wurde vielfältig imitiert. Je nach Quelle ist die richtige Zeit einen „afternoon tea“ zu sich zu nehmen zwischen drei und 5 Uhr am Nachmittag und traditionell werden dazu mehr oder weniger leichte, süße oder auch deftige Snacks wie Gebäckstückchen, Hefeteilchen, Scones oder auch kleine Sandwichhäppchen, gerne hübsch angerichtet auf einem Etagère, gereicht. Eine Untergattung des „low tea“ stellt beispielsweise der beliebte „cream tea“ dar, wozu für gewöhnlich Scones mit clotted cream und (Erdbeer)marmelade gereicht werden. Um aus einem gewöhnlichen „afternoon tea“ einen „royal tea“ zu machen, muss zusätzlich nur noch etwas Champagner oder Sherry serviert werden. Der Begriff „low tea“ bezieht sich übrigens darauf, dass der „afternoon tea“ in Abgrenzung zum „high tea“ traditionell nicht am Esstisch, sondern an einem niedrigeren Wohnzimmertischchen eingenommen wird.
So nett die Tradition des Nachmittagtees auch klingt, war sie definitiv nicht für die unteren Gesellschaftsschichten geeignet, welche weder die Mittel, noch die Zeit besaßen, täglich mitten am Tag eine Pause einzulegen und gepflegte Konversationen zu führen. Stattdessen entstand aus den Bedürfnissen und Tagesabläufen der Arbeiterschicht der „high tea“, eine Art frühes Abendessen, welcher so bald als möglich nach Arbeitsschluss, meist zwischen fünf und sieben Uhr, eingenommen wurde. Als Ersatz einer vollständigen Mahlzeit ist der „high tea“ logischerweise deutlich ausladender und reichhaltiger als die Snacks des Nachmittagstees und enthält oft auch deftige Pasteten, Salate oder Reste des kalten Bratens vom Vortag.
Als großer „Herr der Ringe“-Fan war ich besonders erfreut zu lesen, dass tatsächlich zumindest früher eine Mahlzeit namens „elevenses“ (so etwas wie ein zweites Frühstück), wie sie die Hobbits aus dem Auenland gerne zelebrieren, ein durchaus üblicher Brauch war. Darunter verstand man, wie der Name bereits verrät, einfach eine kleine Pause mit einem warmen Getränk und einem kleinen Snack gegen 11 Uhr am Vormittag, was im Grunde genommen nichts anderes ist, als was ich hier in meiner Arbeitsstelle tagein tagaus erlebe. Eine andere nennenswerte „teatime“ ist außerdem der „morning tea“, der sogar noch im Bett eingenommen werden kann.
Ein weiteres Thema, über das es viele unterschiedlichen Auffassungen und Traditionen gibt, ist die Wahl des Tees und seine richtige Zubereitung. Der britische Landsmann trinkt natürlich am liebsten schwarzen Tee, ob er aber Darjeeling, Ceylon oder Earl Grey bevorzugt, ist eine persönliche Entscheidung. Häufig ist bei der objektiven Beurteilung der Qualität auch nicht der Preis ausschlaggebend, sondern es wird ganz einfach das stärkste Gebräu bevorzugt. Entgegen so mancher Vorgaben, die man bezüglich Ziehzeiten in Deutschland so hört, lässt der wahre Engländer die Teebeutel oder losen Teeblätter übrigens bis zum Ende der Mahlzeit durch ziehen, wodurch der Tee langsam einen immer bittereren Geschmack annimmt und häufig sogar noch frisches heißes Wasser nachgegossen werden muss. Um der Bitterkeit entgegenzuwirken kann aber gerne etwas Milch und gegebenenfalls auch Zucker ergänzt werden. Eine große Streitfrage innerhalb Großbritannien besteht überwiegend darin, ob zuerst die Milch oder der Tee in die Tasse gegossen werden sollte. Dies geht auf eine Zeit zurück, in der das frühzeitige Eingießen des heißen Tees dem empfindlichen Geschirr geschadet hätte und man deshalb zunächst bevorzugt die kühlere Milch eingoss.
Während gerade der „afternoon tea“ früher mit einem riesigen Verhaltenskodex verbunden war und ungebührliches Benehmen angeblich schon so manchen Freier um seine Verlobungschanchen gebracht hat, sieht die Realität weit weniger reglementiert aus. Tee ist längst mehr als ein Statussymbol in wertvollen Porzellantässchen, wie man sie heutzutage beinahe nur noch in nostalgischen „tea rooms“ zur Feier von besonderen Anlässen antrifft. Genauso wenig ist der Konsum des wärmenden Getränks auf eine bestimmte Tageszeit limitiert. Wem der Sinn nach einer Teepause steht, der kann diese nehmen wann und wo immer er möchte, und muss dazu nichtmal zwingend wirklich Tee in seine Tasse füllen. Im Umkehrschluss wird natürlich auch nicht jede Mahlzeit zu der Tee konsumiert wird, wie das Frühstück oder das Abendessen, gleich als „teatime“ bezeichnet. Einen abschließenden Rat habe ich dennoch für alle Teeneulinge da draußen: was immer ihr auch tut, lasst den kleinen Finger eingeklappt! Niemand weiß so genau wo dieses Gerücht her kam, aber laut unzähliger vertrauenswürdiger Quellen, wird dies weder irgendjemand als vornehm ansehen, noch hilft es dabei die Teetasse in Balance zu halten! ;)
In diesem Sinne wünsche ich allen Teeliebhabern und allen die es werden wollen einen wunderschönen Nachmittag und möchte euch hiermit ermuntern, euch des öfteren mal wieder eine kurze Pause zum Abschalten und Durchschnaufen mit einer Tasse eures dampfenden Lieblingstees zu gönnen - die ein oder andere Frage konnte ich jetzt ja vielleicht klären.
Verwendete Literatur (letzter Zugriff auf alle Internetquellen am 05.12.20)
- https://www.npr.org/sections/thesalt/2015/06/30/418660351/high-tea-afternoon-tea-elevenses-english-tea-times-for-dummies?t=1606601452097&t=1607103245550
- https://learnenglishteens.britishcouncil.org/magazine/life-around-world/what-exactly-british-teatime
- https://www.amazing-green-tea.com/english-tea-time.html
- https://de.wikipedia.org/wiki/Tee
- https://www.thespruce.com/english-tea-party-4160380
- https://de.wikipedia.org/wiki/Britische_Teekultur
- https://www.rewe.de/ernaehrung/englische-kueche/tea-time/"
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