Hörsaalnostalgie und Orientierungslosigkeit: Die erste Woche an der Uni
Die Uni hat begonnen und das Erstie-Gefühl ist zurück: Jede Menge neuer Leute, nicht endende Vorlesungen und eine Prise Unsicherheit.
Dass man kein*e Tourist*in mehr ist, merkt man spätestens dann, wenn man an den besonderen Dingen ganz ohne das Smartphone zu zücken, einfach so vorbeilaufen kann - oder muss: Weil die Zeit drängt, weil die Uni ruft oder weil die Boulangerie gleich zu macht und das Baguette fürs Abendessen noch nicht gekauft ist. Das heißt nicht, dass man das neue Besondere nicht mehr sieht, sondern nur, dass der Schleier des Alltags das Faszinierende zur Norm gemacht hat.
So ein Schleier hat sich auch über mein tägliches Erleben gelegt. Auch wenn alles noch neu ist, stellt sich mit Beginn der Kurse doch langsam ein Alltagsrhythmus ein. Fast jeden Tag habe ich eine Vorlesung zweimal die Woche auch ein Sprachkurs. Ich fühle mich aber trozdem ein bisschen wie ein Erstie, weil ich einen Großteil meiner Zeit damit verbringe von Raum zu Raum irren, den Stundenplan nicht zu verstehen oder in der Vorlesung beim Mitschreiben hinterherzuhinken. Nebenbei bin ich immer noch damit beschäftigt Formulare auszufüllen und abzugeben und meine Kurse zu wählen. Aber Ungeduld ist fehl am Platz, denn hier braucht sowieso alles etwas mehr Zeit. Man könnte auch von Entschleunigung sprechen, aber dafür fühlt sich das Ganze einfach nicht entspannt genug an. Anders als in meiner Uni in Freiburg haben wir hier kaum Seminaren, sondern viel mehr verschulte Vorlesungen: Anstatt in kleinen Gruppen über das Gelesene zu diskutieren, spricht der/ die Dozierende und die Studierenden schreiben mit.
In Frankreich sind die Kurse in Vorlesungen "Les Cours Magistreaux" (CM) und seminarähnliche kleinere Gruppenarbeiten "Les Travaux Diriges" (TD) unterteilt. Ich besuche nur CMs, zweistündige Vorlesungen, die meist nichts anderes als gesprochene Monologe sind. Doch so viel Aufmerksamkeit und Konzentration dieKurse hier auch kosten mögen, eines ist sicher, ganz ohne Power-Point-Präsentation oder jegliche anderen pädagogischen Hilfsmittel ist doch allein die Rhetorik der Lehrenden, die die Studierenden bei Laune halten muss. Meist ganz ohne Notizen halten die französischen Dozierenden zwei ganze Stunden am Stück ihren Vortrag. In Deutschland habe ich das so noch nie erlebt. Vielleicht ist es genau das, was mich nostalgisch werden lässt, in der märchenhaften Annahme, das sei die Uni in ihrer Ursprungsform: Redegewandte Dozierende berichten von ihren Erfahrungen, oft ohne Struktur, im Idealfall passioniert und begeisternd. Vielleicht ist es aber auch nur das altehrwürdige Gebäude mit den hohen Decken und sandfarbenen Säulen und den hölzernen Bänken im Hörsaal, das mich träumen lässt. Denn eins ist sicher: Studierendenfreundlich ist dieses System nicht, vor allem nicht wenn alles auf Französisch läuft.
Akademische Nostalgie hin oder her: Nach zwei vollen Stunden monologischer Wissenspräsentation, zeigen sich meine wahren Grundbedürfnisse in bisher unbekanntem Ausmaß: Ich bin müde. Ich will kein Französisch mehr hören. Und vor allem: Ich habe Hunger. Doch wenn es ums Essen geht, wird es wieder schwierig. Denn Bordeaux ist vor allem eines: teuer. Wer ein richtiges Mittagessen einplanen will, muss locker 6 bis 10 Euro hinlegen. Dass das auf Dauer nicht geht, ist klar. Das Geld muss ja auch noch für den nächsten Soiree und eine gute Flasche Wein reichen. Die Folge sind lange Diskussionen, Unentschlossenheit und Unterzuckerung.
Da bleibt am Ende eigentlich nur noch die Mensa. Die wird in Bordeaux wie auch in allen anderen Städten in Frankreich vom regionalen Studierendenwerk, dem Centre régional des œuvres universitaires et scolaires (CROUS) geleitet. CROUS unterhält außerdem die Wohnheime, veranstaltet hin und wieder kulturelle Events und versorgt die Studierenden mittags und abends in den Mensen mit Essen. Nur sind die meisten Mahlzeiten alles andere als vegetarisch. Wer kein Fleisch isst, muss sich mit den Beilagen zufriedengeben. Und das sind hier oft Nudeln, Pommes und Brot. Keine allzu verlockenden Aussichten also. Irgendwann läuft es dann doch darauf hinaus, dass man bei CROUS landet und sich bei Pergamentpizza und Pommes darüber ärgert, dass eine Mensa kein gesundes, vegetarisches Essen auf den Tisch bringen kann.
Doch so sehr die erste Woche auch so etwas wie Alltagsstress und Orientierungslosigkeit bedeuten mag, so sehr ist sie auch ein Gefühl, das sagt: Das ist jetzt deine Uni, deine Mensa, in der es nur Fleisch gibt und dein Dozent der gerade zwei Stunden am Stück durchmonologisiert hat. Und das fühlt sich gut an.
Weitere Beiträge
- Bordeaux und der Sklavenhandel: Die dunkle Vergangenheit der Handelsstadt
- Vier grüne Parks, die das Leben in Bordeaux besser machen
- Was eine Schale Linsen mit Solidarität zu tun hat
- Noch einmal ankommen oder: Bordeaux 2.0
- Zwischen Styroporlebkuchen und Konsumwahnsinn: Zu Besuch in der Weihnachtshauptstadt Straßburg: