Grenzgänger
"Die Frustration von zwei Jahren ist zurück: Ein ganzes Wochenende freie Zeit und man verzweifelt was man mit ihr machen soll." Johannson verbringt Zeit in Magdeburg und stellt fest, wie wenig lebendig diese Stadt für ihn ist...
Zwei Tage nach Kalina und Elli, fuhr auch ich nach Magdeburg. Ziel war, Prüfer für meine BA Arbeit zu finden und mein Erasmus zu verlängern, denn im Moment bin ich in Polen offiziell gar nichts und habe auch meine schönen Studentenrabatts verloren. Die Zeit von Ende Februar bis Anfang April war ein so konstantes Rumgefahre zwischen Ländern und Städten, dass sogar ich fürs erste genug hab.
24.02.2009 - Magdeburg
Wie immer war der Gedanke völlig irreal geworden, noch einmal über die Elbebrücken zu fahren. Und in der Tat, als ich in der Straßenbahn saß, konnte ich es erst einfach nicht glauben, dass ich wirklich dort bin. Egal wie lange man sich darauf eingestellt hat, ist es etwas ganz anderes, all die Dinge in Wirklichkeit wieder zu sehen. Als ich im Dunkeln auf die letzte Straßenbahn wartete und die menschenleeren Straßen Magdeburgs hinunter blickte, hatte ich einen ziemlichen Kloß im Hals.
Am nächsten Morgen jedoch schien die Stadt auf einmal viel freundlicher. In Deutschland herrschte bereits Frühling und ich habe es zuerst kaum zur Uni geschafft, sondern alte Bekannte zum Kaffee eingeladen, mehr als ich eigentlich wusste zu haben.
Auf einmal war wieder das Gefühl da, als ich aus Magdeburg weggezogen bin: dass man in zwei Jahren doch echte Freunde gefunden hat und die nicht mehr so leicht zurück lässt, wie früher, als man im Ort sowieso keinen mochte. Arbeit wurde in Cafes oder an den Fluss verlegt. Abends bin ich mit Kalina und Schwester, mit denen ich sowieso den Großteil der Zeit verbrachte, tanzen gegangen und als ich dann nachts nach Hause fuhr, dachte ich mir tatsächlich so schlimm ist es vielleicht doch gar nicht. Aber natürlich ist es so schlimm, denn wenn etwas interessantes passiert, liegt es allein an Ausländern, Polen, Armeniern und natürlich Bulgaren.
26.02.2009
Es kommt was kommen musste: alles schien geplant, alles schien fertig, der Prüfer war da, das Konzept stand, ich wollte nur noch seine Unterschrift und wieder nach Hause; freute mich, dass mir hier einmal etwas schnell gelingen sollte. Dann stellt sich raus, das ich mal wieder das Kleingedruckte nicht gelesen hatte: ich brauche einen anderen Prüfer und kann wieder von vorne anfangen.
28.02.2009
Samstag 15 Uhr: die Unibibliothek schließt. Die öffentliche macht gar nicht erst auf. Die Museen: zu. Die Hauptstraße hoch und runter: alles zu. Ein paar Cafés sind offen, aber leer. Die Häuser so grau wie der Himmel darüber. Der Dom ist toll wie immer, und es sind sogar Archäologen unterwegs, aber kann man ja nicht ewig bleiben. Eine Stadt von einer viertel Million, und der einzige Ort mit etwas Leben ist das Einkaufszentrum. Die Frustration von zwei Jahren ist zurück: Ein ganzes Wochenende freie Zeit und man verzweifelt was man mit ihr machen soll. Spazieren gehen. Kaffee trinken. Nach Hause gehen. Ein Buch lesen. Die Anatomie ist lebendiger als diese Stadt.
12.03.2009
Zweieinhalb Wochen und fast nichts erreicht. Ein paar Unterschriften, aber nichts wofür ich hätte herkommen müssen. Die endlose Bürokratie macht mir wieder die Angst, hier gar nicht mehr rauszukommen: Jedes Mal, wenn man eine Sache erledigt, taucht eine neue auf. Die gesamte Uni ist noch lange auf Urlaub, die Gänge leer, keiner kommt auf den Gedanken, dass Studenten auch in den Ferien arbeiten. Vor Ende März ist hier niemand: ich fahre zurück.
17.03.2009
Zumindest sehe ich noch meine Familie. Ein Wochenende in Rostock, eins in Templin, auf dem Rückweg Halt in Frankfurt, wir laufen viel, ich entdecke einige neue Seiten der Orte und kriege zu viel Schokolade. Als der Zug die Grenze überquert, meint ein Pole beim ersten Dorf: "Schau, wir sind wieder in Polen...Felder...ein Pferd...eine Kuh...." Nach zwei Wochen Frühling erwartete ich auch in Polen Plusgrade, aber je näher ich Lodz kam, desto deutlicher wurden die Schneespuren.
Dafür bereitete die neue Wohnung keinerlei Probleme. Ich konnte sofort einziehen und lebe jetzt mit einem ausgesprochen netten französischem Paar mit eigenem Zimmer direkt im Zentrum. Trotzdem würde ich lieber ins Wohnheim, denn hier bezahle ich doppelt soviel und wenn niemand zu Hause ist, fühle ich mich ein bisschen allein.
So ändern sich die Zeiten: vor vier Jahren war ich glücklich mehrere Meilen von anderen Menschen zu leben, heute würde ich es vorziehen mein Zimmer zu teilen. Mit meinen Mitbewohnern bin ich direkt in die nächste Kneipe und spät zurück. Am nächsten Tag besuchte ich die Uni und Wunder oh Wunder, was mir in Magdeburg in zweieinhalb Wochen nicht gelang, erreichte ich hier in zwei Tagen.
Ich hatte einen Prüfer, eine weitere Professorin die mich unterstützt und sogar einen Kurs zu meinem Thema macht. Und endlich auf Polnisch.
Obwohl ich am Ende nur zwei Nächte blieb, schaffte ich es noch, den neuen Film über den Solidarnosc Priester Popieluszko zu sehen, eine weitere Produktion über Polen in den 80ern. Dann ging es schon weiter nach Warschau, was ob der Nähe eigentlich schon keinen Unterschied mehr macht.
Dort besichtigte ich das Gestapogefängnis Pawiak, das mein Vater vor 30 Jahren besucht hatte, und streunte dann durch einen dieser Basare, wo man die Alten und Verwirrten trifft, die von der Transformation liegen gelassen wurden. Am nächsten Tag suchte ich die an der Weichsel versteckte Syrena, auf die mich mein Opa hingewiesen hatte.
Auf dem Weg fand ich die Bibliothek der Warschauer Uni und war begeistert von der Ausstattung. Dort verbrachte ich den nächsten Tag, denn für zwei weitere Chipkarten im Portemonnaie können auch Nichtstudenten sofort alles nutzen.
Gutes Wetter brachte uns in den Lazienki Park. Am beeindruckendsten war aber gleich am ersten Abend ein Passionsgottesdienst. Die Kirche war bis auf einige Kerzen dunkel und man trug ein Holzkreuz von Station zu Station, wo jedes Mal die entsprechende Stelle aus der Leidensgeschichte vorgelesen wurde. Dann knieten alle und es war still, nur der Chor sang tieftraurige Dinge.
24.03.2009
Nach kaum einer Woche in Polen, aber mit dem beruhigenden Gefühl, dort alles organisiert zu haben, musste ich schon wieder zurück nach Magdeburg. Auf dem Weg fahre ich noch durch einen Schneesturm, in Deutschland ist wieder Frühling. Die Ankunft nimmt ihren gewohnten Lauf: Erst eine Stunde Frust, wie so etwas alles möglich ist, warum die Nachtbahnen um neun anfangen, und schon dann leer sind. Wie immer rettet einer die Situation: die Bulgaren. Für mich wurde schon gekocht, Wein ist da und nur mein Name hat wohl sofort eine ganze Wohnung frei gemacht.
Zwei Zimmer, Küche und Bad, ein richtiges Bett, zwei Minuten von der Uni, über mir und neben mir gleich meine Freunde; alles ganz für mich allein, gratis, wenn ich will für zwei Monate. Es ist fast wie in England bei Freiwilligen, die für mich kochen und Wein aus dem Kühlschrank holen. Um zwei bin ich betrunken und höre mit ihnen Chalga. Der tröstende Gedanke: selbst wenn hierher zurück muss, komme ich in gute Gesellschaft.
25.03.2009
Das Unglaubliche passiert: der morgendliche Termin, für den ich angereist bin a) findet statt b) bringt sofort Ergebnisse. Nach einer halben Stunde habe ich den Prüfer, den ich kurz zuvor zweieinhalb Wochen vergeblich gesucht hatte. Der Abend endet wie der davor: Mit Kalina und Adriana backe ich Pfannkuchen mit bulgarischem Honig, am Ende tanzen sie Chalga als wären sie nur dafür geschaffen worden. Sowas sieht auch nicht jeder.
Mit dem wichtigsten geschafft erledige ich noch einige aufgeschobene Dinge. Nach einem dreiviertel Jahr fahre ich in mein altes Viertel Buckau zum Zahnarzt. In der Straßenbahn treffe ich einige meiner Ukrainer, die gerade ihre Magisterprüfung abgelegt haben. Leider habe ich abends keine Zeit für die Party. Ich sehe meine Wohnung, der alte Block am Straßenende wird endlich gemacht - hier passiert also doch was.
Das Wetter ist schön, ich hole mir Frühstück aus meinem Lidl und beschließe den Rückweg zu laufen. Ein überaltertes Viertel in einer überalterten Stadt, die Fabriken sind leer und die Menschen in den kleinen Läden weißhaarig. An der sonnigen Elbe zum Zentrum, die Enten in der sachten Strömung lassen sich von keinem stören, Menschen sind sowieso nur im Park am anderen Ufer zu sehen. An einen blühenden Baum hänge ich das Frühlingsarmband, das mir die Bulgaren geschenkt haben.
Ich bleibe noch bis zum Wochenende, treffe meine Mutter und Schwester, gehe mit Freunden auf ein irisches Konzert, später wieder Salsa tanzen. Bei allem Rumgereise bin ich regelmäßig genug hier um jeden Donnerstags etwas zu lernen. Vor der Abreise noch ein kleines Drama, als ich mich aus der Wohnung ausschließe, die mir nicht gehört, in der ich gar nicht sein dürfte und die mir das Studentenwerk daher auch nicht aufschließen will.
Peinlich, peinlich das den Leuten sagen zu müssen, die sie mir in ihrem Namen organisiert haben. Doch zum Glück kommt just da die zweite Bewohnerin mit ihrem Schlüssel aus Bulgarien zurück und ich schaffe es zum Bahnhof. Am Ende sind die Wohnung und die Freunde so nett, dass es mir fast leid tut, zu fahren. Ich begebe mich noch einmal nach Templin, wo wir eine wunderschöne Tour über die sonnigen Dörfer machen.
31.03.2009
Seit Ende März lebe ich jetzt wieder und hoffentlich etwas länger in Lodz, hinter der Eisentür mit den vier Schlössern, denn wenn einer die Polen alle mehr für potentielle Einbrecher hält als westliche Ausländer, dann die Polen selber. Auf der Hauptstraße wurde endlich die Weihnachtsdeko gegen Hasen und Eier ausgetauscht. Inzwischen ist auch hier der Frühling angekommen. Die Cafés stellen Stühle auf die langen Straßen, auf denen ich nicht mehr der einzige Radfahrer bin, das ganze Land ist im Osterfieber und ich versuche unsere schwedischen Haushaltsgeräte zu entziffern.