Fremd in der Heimat
Wenn das Ausland zur Heimat wird und die Heimat zum Ausland.
Ist fremd sein das Gegenteil von heimisch sein? Oder kann man sich auch heimisch fühlen und gleichzeitig fremd sein? Und muss man unbedingt im Ausland sein um fremd zu sein?
Ich war schon sehr viel im Ausland - alleine, mit meiner Familie, mit Freunden. Egal in welchem Umfeld ich mich befand, es gab immer wieder Situationen, in denen ich mich fremd gefühlt habe. Das bedeutet nicht zwingend, dass ich schreckliche Erfahrungen gemacht habe, sondern schlicht, dass ich mich in gewissen Situationen unwohl gefühlt habe und die Menschen um mich herum nicht richtig verstehen konnte - sei es der Sprache oder des Verhaltens der Menschen wegen. Genauso erging es mir jedoch auch in meiner Heimat. Denn auch wenn man sie sein ganzes Leben lang kennt, sie einem vertraut ist und man sich auskennt, kann es passieren, dass sie einem plötzlich doch fremd vorkommt.
Natürlich habe ich als Erstes daran gedacht, wie verloren ich mich während des zweiwöchigen Schulaustausches nach Frankreich in der 8. Klasse gefühlt habe, weil ich mich mit meiner Austauschschülerin nicht verstand. Wie unwohl ich mich in der 6. Klasse bei meiner Cousine in England gefühlt habe, weil mein Englisch noch nicht so gut war und nicht alles verstanden habe. Dabei kannte ich diese furchtbar netten Menschen doch so gut - sie sind ja schließlich ein Teil meiner Familie. Als ich mich in der 11. Klasse für ein Jahr nach Brasilien ging und mich von meiner Familie für eine so lange Zeit verabschiedete, gab es unzählige Situationen, in denen ich mich fremd fühlte, genauso wie es mir zu Beginn hier in der Republik Moldau erging.
Doch ebenso, wie ich mich anfangs in diesen Ländern fremd gefühlt habe, erging es mir bei der Rückkehr in meine Heimat.
Im Ausland habe ich neue Menschen kennengelernt, mich mit ihnen über Gott und die Welt unterhalten, ihre Lebensweisen kennengelernt, ihre Geschichten gehört. Ich habe mich den verschiedenen Kulturen, Bräuchen und Sitten angepasst, sie immer besser verstanden und sie lieben gelernt. Unweigerlich fing ich irgendwann an in mich hineinzuhorchen, das Erlebte zu verarbeiten. Ich fragte mich, ob es nicht auch einen anderen Ort auf dieser Welt gibt, an dem ich mein Leben verbringen möchte, obwohl es für mich vor meiner Ausreise doch nie in Frage gekommen wäre meine Heimat, die ich doch über alles liebe und seit meiner Kindheit kenne, für immer zu verlassen. Aber ob meine Heimat der beste Ort zum leben ist? Ich schmiede immer wieder neue Pläne für meine Zukunft, ändere meine Einstellung zu den verschiedensten Dingen und passe mich komplett anderen Lebensverhältnissen an.
Doch all diese neuen Erkenntnisse erreichen mich eher unbewusst als bewusst und erst nach einer gewissen Zeit, bemerke ich, dass und wie sehr ich mich verändert habe.
Mit dieser Veränderung ging ich nun nach meinem Auslandsaufenthalt wieder in meine Heimat zurück, in die kleine, friedliche Stadt Meckenheim. Ich freute mich unglaublich meine Familie und meine Freunde wieder zu sehen; doch obwohl ich alle und alles so sehr vermisst hatte, von Menschen umgeben war, die ich seit meiner Kindheit kenne, fühlte ich mich fremd - denn die Zeit hat während meiner Abwesenheit nicht stillgestanden.
Menschen verändern sich. Nicht nur, wenn sie im Ausland sind, sondern permanent. Auch wenn man sich im Ausland radikal an eine neue Umgebung gewöhnen muss und neue Leute kennenlernen muss, verändern sich die Strukturen und die Personen, mit denen man agiert ebenso in der Heimat wie im Ausland. Mag die Zeit auch noch so schnell vergehen: in einem Jahr kann unglaublich viel passieren und wenn man im Ausland ist und selber so viele Dinge erlebt, vergisst man schnell, dass in der Heimat in derselben Zeit genauso viel passieret, sich verändert. So ist es völlig normal, dass man sich nach einem Jahr der Abwesenheit zu Beginn fremd vorkommt. Bei der Familie und einigen Freunden ist es so - und so wird es auch immer bleiben, da bin ich mir sicher - dass wir uns auch nach Monaten ohne jeglichen oder nur wenig Kontakt, immer noch genauso gut verstehen, als hätten wir uns gestern erst gesehen. Und für diese Menschen bin ich unglaublich dankbar, denn obwohl ich so viel weg bin, weiß ich, dass sie immer für mich da sein werden.
Mich komplett verstehen, werden aber wahrscheinlich trotzdem nicht alle. Denn mit meinen neuen Erfahrungen, Kenntnissen und Denkweisen, versuche ich mich nun nach meiner Rückkehr wieder in mein gewohntes Umfeld einzugewöhnen. Doch genauso, wie mir die Verhaltensweisen, die Sitten der Brasilianer oder der Moldauer zu Beginn komisch und fremd erschienen, kommen mir nun die deutschen Sitten und Bräuche komisch, ja fast fremd vor. So geht man in Deutschland Dinge auf eine bestimmte Art und Weise an - aber die Brasilianer gehen dieselbe Sache so an und so ist es viel einfacher, findet ihr nicht? Unverständnis. Missverständnis. Drüber lächeln und „normal“ weitermachen. Die brasilianischen Muster wieder vergessen. Schließlich bin ich ja in Deutschland. Doch so sehr ich es die ersten Monate nach meiner Rückkehr auch versuchte: es fiel mir schwer mich wieder in die deutsche Kultur einzugewöhnen - die brasilianische Kultur (und nun auch die moldauische) ist genauso ein Teil von mir, wie die deutsche. Erst ein paar Monate nach meiner Rückkehr fühlte ich mich wieder wirklich wie zu Hause. Ich war angekommen, fühlte mich nicht mehr fremd. Weil ich mich erneut angepasst hatte.