Freihändig nach Ksiaz
Johannson besichtigt das Schloss Ksiaz (Fürstenstein) und die darunter gelegenen Gärten. Warum er aus dem Schloss flüchtet, als sich ein Saxophonist einspielt, erfahrt Ihr hier.
Auch am zweiten Wochenende außerhalb von Wroclaw fahre ich ins Vorland der Sudeten. Nach Swidnica, Sobotka und dem Berg Sleza steht diesmal das Schloss Ksiaz (Fürstenstein) auf dem Plan. Die Anfahrt ist in meinem Reiseführer nicht besonders präzise beschrieben, darum hab ich mich auf gut Glück auf den Weg gemacht, wollte wie bekannt bis Swidnica und dort improvisieren.
You never walk alone
Das ist mir dank engagierter Mitreisender und Busfahrer auch gelungen. In Polen wird der regionale Verkehr nämlich bevorzugt von Bussen erledigt, und je kleiner die Orte, desto mehr wird das von privaten Minifirmen mit privaten Minibussen übernommen. Deren Fahrpläne sind natürlich nicht im Internet zu finden, sondern in den Köpfen der Fahrer und maximal als winziger, halb abgerissener Zettel an der Haltestelle, was Reiseplanung eh zwecklos macht.
Aber sobald ich in Swidnica mit Akzent fragte ob wir schon da sind, erhob sich im Kleinbus eine lebhafte Diskussion, der Busfahrer setzte mich an der richtigen Stelle ab und achtete geflissentlich darauf, dass ich sofort den richtigen Anschluss finde.
Das gleiche dann bei seinem Kollegen, der mich das letzte Stück Weges fuhr, und unter Anteilnahme sämtlicher Passagiere am Straßenrand bei der Abfahrt zum Schloss rausließ.
Mit dem Strom
Hier ist die Landschaft bereits geprägt von ersten Bergen. Von der Landstraße waren es nochmal zehn Minuten zu Fuß durch den Park und vorbei am Gestüt zum Parkplatz vor dem Schloss. Das ist wie man sich ein gutes deutsches Schloss vorstellt: über einem bewaldeten Tal gelegen, mit Prunksälen drin und Nazibunkern drunter, es fehlte nur noch Indiana Jones, der aus einem Eingang gehechtet kommt bevor alles in die Luft fliegt.
Das ist natürlich beliebt und die Leute aus den Reisebussen kommen in Scharen. In den Gebäuden entlang des pittoresken Vorhofes sind zwei Hotels, Restaurants, Cafés. Lange Schlangen vor den Schaltern mit den mäßig motivierten Verkäuferinnen, Hektik an den überladenden Souvenirständen daneben, Kinder jagen sich mit Holzschwertern durch die Menge.
Die meisten werden in Führungen gesteckt, aber auch wenn die Leiter kompetent scheinen, habe ich keine Lust zwischen Leute gedrängt durch die Säle zu hetzen.
Maximilian & Gabi
Wie sich herausstellen wird, wird das Ticket an diesem Tag kein einziges Mal kontrolliert, dafür sind die Stewards weit freundlicher als ihre Kollegen an der Kasse. Das Vorzeigestück ist der Maximiliansaal gleich im ersten Stock, der einzige auch wo alles Gold und Ebenholz neu erstrahlt.
Ein hoher Raum mit kleinen Logen für Fürst und Musiker, dazu diverse fünf Kronleuchter, Stuccos an den Wänden und alles andere was der Tourist vom Fürst erwartet. Die anderen Räume der ersten zwei Etage sind mehr Wohnräume der sich verbürgerlichenden Noblesse um 1900. Japanischer Salon hier, indischer Salon da, Seidensofas, Empireschreibtische, neo-Rokoko Stühlchen um schwarze Eichentische mit weißem Porzellan.
Alles schick und elegant, aber nicht mehr der Prunk aus der Blütezeit des Adels. Aus allen Zimmern aber ein herrlicher Ausblick in das steil abfallende Tal.
In den Nebenräumen der Seitenflügel temporäre Ausstellungen; Naturfotos, Münzen, das Antiquitätengeschäft „Gabi“.
In einem Saal hängen Bilder der letzten Fürstin im Haus, Prinzessin Daisy von Pless aus Wales, in diversen Kostümen, zusammen mit Bildern ihrer hochadligen Verwandtschaft und Gäste. Wer nicht alles hier war, englische Könige, deutsche Kaiser, indische Maharadschas, polnische Präsidenten. Hitler hatte sich auch schon ein Schlafzimmer herrichten lassen, ist dann aber doch lieber in seinem Bunker geblieben.
Gegen den Strom
In den abgelegeneren Gängen hört man immer deutlicher Musik. In den Hinterzimmern wird dort gerade für ein internationales Kammermusikfestival geprobt. Das passt so schön ins Schloss, dass ich in den kaum dekorierten Räumen eine kleine Pause einlege.
Als ich wieder runter zum Haupteingang komme, spielt sich im Maximiliansaal grad ein Saxophonist ein. Saxophone sind kein gutes Omen. Natürlich, es ist ja Samstag, ein Blick auf den Vorplatz bestätigt die schlimme Vorahnung: ein Brautschleier und ein Anzug werden bereits vor Kulisse abgelichtet.
Nachdem sie Kirchen unsicher gemacht haben, müssen die Pärchen mich auch noch auf diesen Felsen verfolgen. Ihre gesamte Großverwandtschaft haben sie gleich mitgebracht, die wohnen in den Schlosshotels. Touristen sind schon schlimm, Hochzeiten ein Graus, aber Hochzeitstouristen... Ich kämpfe mich gegen den aufgetakelten Strom die breite Haupttreppe runter, raus aus dem Schloss. Auch davor kann man nicht nach links oder rechts, ohne irgendwem das Foto zu verderben.
Schöner wohnen
Da im Schloss ohnehin weniger zu machen war als von außen vermutet, stelle ich mich noch einmal in die Kassenschlange um ein Ticket für die Gärten unterhalb der Burg zu erstehen. Das wird dann von der schläfrigen Teenagerin sogar kontrolliert, später entdecke ich aber, dass es aus den Schlossrestaurants ohnehin unbewachte Seitenzugänge gibt.
Von den Gärten führen versperrte Tunnel in die Bunker im Berg („Geheimnisse des Zweiten Weltkriegs“), sieht man die ganze Vielfalt der Anlage. Ein nach und nach vom Bollwerk zum Palast umgewandeltes Sammelsurium aller Stile, die Fundamente noch aus Feldstein, Fachwerkgänge, die oberen Stockwerke dann vor weniger als hundert Jahren zur Neo-Renaissance umgebaut, hoch über Tal und Terrassengärten hängt ein romantischer Balkon an rosa Fassade.
Am rauschenden Bach
Von unten, zwischen den Bäumen, hört man beständig das Rauschen eines Flusses. Vom Personal weiß allerdings niemand, ob und wie man ganz nach unten kommt. Einmal mehr an diesem Tag suche ich also selbst den Weg, raus aus dem Schloss und entlang des Talhanges, da ich wieder Lust auf eine Wanderung habe.
Nach einem Halt am dem Schloss gegenüber gelegenen Aussichtspunktes nehme ich einfach den nächstbesten Pfad, der den stark abfallenden Hang direkt nach unten führt. Keine fünf Minuten später bin ich schon am Flüsschen. Der Wald ist dicht, das Schloss durch die Wipfel gar nicht mehr sichtbar. Das Tal ist tatsächlich steil, vom Wasser tief eingeschnitten, auf beiden Seiten führen mehr oder minder saubere Pfade entlang.
Touristenbusverschickung
Ein flacherer, längerer Weg bringt mich im alten Park etwas abseits vom Schloss wieder hoch. Es ist halb sieben, Zeit den Bus zurück zu finden, irgendwie.
Ich will zuerst nach Walbrzych, der nahen Industriestadt vor der mich jeder gewarnt hat, aber die Haltestellenschilder helfen mir nicht weiter. Ich frage eine Frau, offenbar eine Mitarbeiterin die gerade Schluss hat. Ich verstehe kaum etwas, nur das der Bus "nicht direkt" nach Walbrzych führe, und weiß nicht, ob ich jetzt einsteigen soll oder nicht.
Aber sie winkt mich in den Bus, der Fahrer ist ganz offenbar ein Bekannter. Als sie später aussteigt, sagt sie ihm, ich und ein junges Paar müssen zum Busbahnhof. Kein Problem. An der nächsten Ampel hupt er den vor uns fahrenden Kollegen an und ruft, doch an der nächsten Haltestelle zu stoppen, uns zu übernehmen und darauf zu achten das wir auch am Busbahnhof aussteigen.
Nur Minuten später stehen wir drei vor dem regionalen Fahrplan, Busse nach Wroclaw gibt’s natürlich erst in drei Stunden wieder.
In den blauen Bergen warten wir
Meine Begleiter aus Jelenia Gora kennen sich auch nicht aus, wir fragen den nächsten Passanten nach dem Weg zum Eisenbahnhof. Dort, hurra, muss ich nur eine Stunde auf den Zug warten. Zeit, endlich was zu Essen zu holen und Zeitung zu lesen, während die Berge im verschwindenden Abendlicht immer blauer werden.
Der Zug verspätet sich und mir wird immer kälter: ich war lange nicht mehr so erschöpft. Nachdem der "Ekspres" endlich bis zum Bahnsteig gekrochen gekommen ist, verschlafe ich die fast zwei Stunden Fahrt.
Als ich um halb elf im Dunkeln nach Haus komme, liegt mein Mitbewohner auf dem Bett und guckt Fernsehen wie morgens als ich gegangen bin. Dafür steht in der Küche ein neuer Kuchen: Zitrone mit Schokoglasur.