Es geht voran
Johannsons umfangreicher Wochenrückblick zeugt von einer voll gepackten Woche, die zum einen anstrengend war, wegen der Kämpfe gegen Chaos, Kälte und Ordnung, aber auch aufregend, wegen neuer Wege, Arbeit, Sprache, Leute und Pläne.
Gute-Laune-Wochen bei McJohannson! Jeden Samstag gibt es den mächtigen BesucherBurger™ mit extra viel Spaß! Dieswöchiger Höhepunkt: meine ersten Besucher auf der Farm. Letzten Sonnabend in Seaham haben wir ausgemacht, dass ich nächstes Mal meinen Arbeitsplatz zeige. Das hat mich die ganze Woche über auf Trab gehalten, da ich a) mich & mein trautes Heim erstmal auf Leute vorbereiten musste und b) damit ziemlich wenig Erfahrung habe. So hatte ich naiverweise und in völliger Unterschätzung beider Aufgaben Nahrungseinkauf und Putzeinsatz zusammen auf Freitag gelegt. Zum Glück kündigte sich dann Mittwoch ganz plötzlich Claudia (aus Edinburgh) für das Wochenende an, sodass ich in auf einmal einsetzender Planungspanik spontan sofort nach der Arbeit nach Easington marschiert bin und den Co-op mit einer unverschämten Menge Geld für mit Sicherheit minderwertiges Essen beglückt habe. Gott sei Dank habe ich einen Teil meines monatlichen Gehalts gleich auf die Bank gebracht, sodass ich nicht alles ausgeben konnte, sondern (wegen Bargeldmangels) auf mein Konto zugegriffen habe. Aber wenigstens hat mir das Beine gemacht.
Marter am Mittwoch
Mit einem schweren Rucksack auf dem Rücken und zwei schweren Beuteln in den Händen, war ich meine aufkommenden Sorgen aber immer noch nicht los. Denn nach einem ersten begeisterten ‚Aber-klar-doch-Signal’ an Claudia fiel mir bei näherer Betrachtung auf, dass ich gar keine Schlafmöglichkeit für sie und einen angekündigten Freund hatte. Davon abgesehen: was sollte ich mit ihnen ein ganzes Wochenende lang machen? Einerseits kann man auf der Farm nicht viel unternehmen und ein Trip nach Newcastle ist teuer. Andererseits hatte ich am Samstag ohnehin Besucher und könnte sie mit denen herumführen, quasi zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Aber dann wäre der beste Tag für einen Ausflug dahin, und wir hätten immer noch einen Abend zu füllen. Mal ganz abgesehen von Freitag und Sonntag. Einerseits, wenn ich sie an ersterem vom Bahnhof abholen würde, wann sollte ich aufräumen? Andererseits willst Du doch spontaner sein. Einerseits würdest Du es hassen, den Leuten absagen zu müssen, die Dir das beste Wochenende Deines gesamten Aufenthalts ermöglicht haben. Andererseits würden Dich gelangweilte Gäste töten.
Prinzipien
Dieses Hin und Her zerfetzte meine Nerven und marterte mich den ganzen Abend, bis sich in mir der alte „Lieber nicht“ Gedanke durchsetzte. Schweren Herzens griff ich zum Telefonhörer und hatte eine wie immer ausnehmend freundliche Jenny an 0der Strippe. Oh, was für eine Erleichterung: Claudia war zwar gerade nicht zu Hause weil sie ihren Tai-Chi-Kurs absolvierte, hatte aber die Besuchsidee inzwischen selbst verworfen! Mein Gott, ist mir ein Stein vom Herzen gefallen, dass ich nicht selbst absagen musste.
Später habe ich sie noch persönlich erreicht und erfuhr, dass die Zugtickets zu teuer weil zu kurzfristig gebucht waren. Ich hatte mich schon gewundert, dass ich so kurzfristig benachrichtigt wurde. Denn, um halbwegs bezahlbare Fahrkarten zu bekommen, muss man mindestens eine Woche im Voraus bestellen, das heißt planen. Ach, war das schön; wie sehr hätte ich es gehasst, Nein sagen zu müssen. So habe ich Zeit, eine Matratze zu besorgen und ihren Aufenthalt zu planen. Der wird wahrscheinlich etwas kostspielig werden, da ich am liebsten eine Nacht in Newcastle einbauen würde, und das ewige Übernachtungsproblem wohl nur mit der Jugendherberge gelöst werden kann. Aber, wo sie schon einmal hier sind, müssen sie auch die Stadt sehen.
Also: alles wieder gut. Und man hatte auch noch zwei nette Gespräche mit Edinburgh. Natürlich wurde mir gesagt, man würde auch auf dem Boden schlafen. Aber solange ich noch einen Funken Selbstwertgefühl im Leib habe, kriegen meine Gäste eine vernünftige Unterkunft. Zumindest, wenn ich sie mag.
Kampf dem Chaos
So aber konnte ich mich auf die plötzlich viel harmloser erscheinende Herausforderung der regionalen Freunde konzentrieren. Auch hier hatte ich nämlich die Sorge der Unterhaltung, des Zeitfüllens. Und noch viel bedrohlicher hing über Allem das Damoklesschwert des Wetters. Das schien aber die Woche über nicht das Problem zu sein, denn der Frühling brach schon fast beängstigend durch. Ich mag den Frühling im Moment nicht, denn er erinnert mich an den Sommer mit seinem 30. August.
Na gut, doch, ich mag den Frühling, denn selten war es so angenehm, draußen zu arbeiten. So war also das einzige verbleibende Problem mein Zimmer und Bad, was ich erfolgreich bis zur letzten Sekunde vor mir her schob, um dann den gesamten Freitagabend dafür zu verlieren. Ich hasse Aufräumen und Schrubben, besonders im Bad. Die Zufriedenheit der Ordnung danach kompensiert bei mir nie den Frust der Arbeit davor. Trotzdem sollte ich öfter Gäste haben, denn nur sie bezwingen meinen Schweinehund, dessen Monstrosität sonst kein Drachentöter beikommt.
Mit sauberem Zimmer und (hoffentlich) genug Essen im berstenden Kühlschrank konnte ich danach ob der Zeit ohnehin nichts mehr machen und ging früh ins Bett, da ich, wie schon letzte Woche, relativ zeitig wieder raus musste, um die Ankömmlinge im ihnen völlig unbekannten Easington Colliery einzusammeln.
Kampf der Kälte
Trotzdem blieb mir morgens nicht einmal Zeit für ein Frühstück, da ich lieber den Abwasch machte, als noch mehr schmutziges Geschirr mich nervös machen zu lassen. Der Weg ins Dorf war dann niederschmetternd. Schon der Wetterbericht am letzten Abend war eine Hiobsbotschaft. Und wirklich: die Sonne verschwand natürlich pünktlich zum Samstagmorgen unter einer dicken Decke grauer Wolken. Kalt war es auch. Und in ebenjener Kälte setzte ich mich auf eine Bank und kämpfe mich frierend durch ein paar mehr Sätze in „Le Parfum“. Während ich dort saß, kamen vor mir die beiden einzig möglichen Linien ohne brauchbares Ergebnis durch. Und ich wusste, dass sie nur stündlich fahren. Mit der Aussicht auf eine Stunde fruchtloses Lesen auf einer kalten Bank, im kalten Wind mit gelegentlichem, kalten Nieselregen, entschied ich mich, lieber eine warme Umgebung zu suchen. Auch wenn dafür nur ein wenig versprechender Imbiss an der Hauptstrasse in Frage kam.
Gruppenbildung und Abgrenzung
Wie aber schon letzte Woche kam ich nicht weit, denn kaum war ich aufgestanden, kam auch schon Joanna mit der kleinen Madja (die eigentlich Madzia heißt) an der Hand um die Ecke. Wieder einmal glänzte sie somit in ihrer Rolle als Retterin vor schlechter Laune und Einsamkeit. Leider war das alles, was aus Seaham zu erwarten war. Renata und Jola mussten arbeiten und Asia war ja zwecks Papierkriegs nach Polen geflogen. Das ließ Madja für eine Woche allein und merklich beeinträchtigt. Auch Hanni hatte wegen der Arbeit absagen müssen, sodass wir nur noch auf Debby warteten. Die kündigte sich – mal wieder – später an, sodass ich meine beiden anwesenden Gästen schon einmal ein kleines Stück die Küste entlang führte; immer betonend, dass das saubere unser und das völlig verdreckte das Land der Gemeinde ist.
Kampf der Ordnung
Durch Letzteres musste ich nach Debbys Ankunft dann alle zur Farm führen. Aber nicht jeder macht sich über Alles Gedanken, und so waren meine Begleiter pure Frohnaturen mit rosaroter Brille. Zu Hause waren dann, wie durch Zauberhand, Küche und Eingansbereich steril sauber. Wofür ich einen ganzen Abend gebraucht hatte, schaffte Paul offensichtlich in den zwei Stunden meiner Abwesenheit. Ich machte mich sofort daran, alles wieder zunichte zu machen und öffnete meinen prallvollen Schrank, um die Küche mit Kuchen, Keksen, Schokolade und viel Verpackungspapier zu verunreinigen. Und um Himmels willen, auf einmal holten alle noch selbst mitgebrachte Tüten aus ihren Rucksäcken. Madja war über den Zitronenkuchen hocherfreut und plötzlich war es schon fast Mittag. Wie konnte ich mir jemals Sorgen um ein füllendes Programm machen?
Kinderhilfswerk
Man glaubt gar nicht, wie interessant man auf einmal ist, wenn man auf einem Bauernhof arbeitet. Gib den Leuten eine Hand voll Tiere und Natur und sie tragen Dich auf Händen. Nach uns bekam nämlich unser Streichelzoo etwas zu Essen (ich hatte sie morgens extra nicht gefüttert. :-) Madja war selig. Ich brauchte ihr nur die Futterbehälter in die Hand zu drücken und weg war sie, Körner verteilen und Wasser nachfüllen. Selbst meine lokalen Hassobjekte, Gänse, Frettchen und Bobby der Sittich, wurden mit unglaublicher Liebe versorgt. Netterweise waren Sheila und die Ziegen tatsächlich noch anwesend und Madja hat sie begeistert durch ihr Gehege gejagt. Nachdem ich etwa seit Dezember nur sechs Fotos gemacht hatte, füllte ich in einer knappen Stunde mehr als einen ganzen Film. Es war wirklich schön zu sehen, wie fröhlich sie war, wo es ihr ja zurzeit nicht so gut geht.
Ich bin mir sicher, Madja hätte den ganzen Tag so verbringen können. Aber wir hatten ja auch noch die Kühe im Stall. Wo für mich inzwischen selbst der Gestank reine Routine und der Rest – ob fehlender Zuständigkeit – ohne besonderes Interesse ist, war Madja im siebten Himmel. Besonders, als ich ihr die neugeborenen Kälber zeigte.
Irgendwann haben wir uns aber auch dort losgerissen, denn ich wollte ja noch etwas von unserer Küste, der Landschaft und unserer Arbeit zeigen. So verließen wir die Farm und wanderten über die Kliffwiesen zum Einsatzort der ersten Wochen, meiner Treppe, und über die hinunter zum Strand. Es ist unglaublich, womit man Kinder begeistern kann. Ich erklärte das Problem des Minenabraums, aber Madja fand diese mannshohe Schicht aus schmierigem Lehm und rotem Gestein einfach toll, weil man mit ersterem wie mit Knete spielen konnte. Und während sich Joanna und Debby, beide Pflegepersonal, von ihren kürzlich verstorbenen Patienten erzählten, passte ich auf, dass Madja nicht von der Schuttschicht fiel.
Hundehimmel
Alle waren glücklich. Madja war glücklich, weil sie mit Tieren und Erde spielen konnte. Debby war glücklich, weil sie bunte Steine sammeln durfte (und sowieso immer fröhlich ist). Joanna war glücklich, weil Madja glücklich war. Und ich war glücklich, weil meine Gäste glücklich waren. Sogar Rocky war glücklich, weil zehntausende Äste für ihn geschmissen wurden. Ja, ich glaube, Madja und Rocky sind ganz dicke Freunde geworden: sie suchte neues Holz, während „Big Doggie“ wie ein Wahnsinniger über den Strand hetzte. Unser großer, dummer, verspielter Hund war jedermanns Liebling und konnte sich vor lauter Chips, Schokolade und Streicheleinheiten gar nicht retten.
Restefix
Eigentlich wollte ich mit der Truppe ja noch Beacon Hill besteigen und ihnen vielleicht sogar noch Hawthorn Dene zeigen, aber Madja wollte lieber nach Hause, da sie, verständlicherweise, müde wurde. Na ja, die beiden Ziele sind sowieso am besten bei gutem Wetter zu besuchen.
Wieder zurück auf der Farm zwang ich noch jedem die restlichen Süßigkeiten auf, aber trotzdem blieb natürlich massig übrig. Ist ja immer dasselbe. Jetzt habe ich zwei Pizzas und zwei Liter Eis im Kühlschrank und weiß nicht, wohin damit. Und eine Büchse sündhaft teuren Kaffees, wo ich nie welchen selbst mache. Außerdem Erdbeermarmelade, wo ich möglichst nichts so zuckerhaltiges haben will. Nur das Baguette ist sehr nett.
Rückkehrhilfe
Jetzt entdeckte Debby, dass sie ja schon bald wieder gehen müsste, aber gar keine Ahnung von den Bussen hatte. Na, zum Glück habe ich mein ganzes Zimmer voll mit Plänen. Leider entschied dann auch Joanna, zu gehen, da sie müde war. Das fand nicht nur ich, sondern vor allem Madja sehr bedauerlich, da es gerade mal vier war. Fast musste ich dann aber die am Tisch sitzenden und redenden Gäste noch drängeln, um den gewünschten Bus zu bekommen. Zum Glück traf Madja dann noch auf Dot und Spot, Rons kleine Hunde, und war wieder froh. Als guter Gastgeber habe ich Debby ihren Bus gezeigt und bin mit den anderen beiden noch zum Village Green gefahren, damit sie auch wirklich ihre von dort gehende Linie erwischen. Es schien wirklich der Tag für kleine polnische Mädchen zu sein: Wir fuhren nicht nur oben in einem Doppeldecker, nein, er machte auf dem Weg durch das Dorf ganz unerwartet auch einen kleinen Umweg, direkt vorbei an einer Koppel voller Pferde.
Der Preis der Improvisation
Dann auf der Dorfwiese angekommen stellte sich aber heraus, dass Joanna ihren Plan falsch gelesen und wir ihren Bus um nicht viel mehr als zwei Minuten verpasst hatten. Da standen wir also, es war kalt und nass und ich kannte dort oben keinen empfehlenswerten Platz für solche Situationen. So setzten wir uns in einen Pub, oder besser eine Dorfkneipe. Was sollten wir auch machen. Dort erfuhr ich dann, weshalb Paul mir anfangs keine Lokalität im Dorf empfehlen konnte und wollte. Mein Gott, solche Toiletten hat man noch nicht gesehen. Nicht einmal das Licht funktionierte. Zumindest hatten wir unsere Ruhe und es war trocken und die Zeit ging erträglich schnell herum. Wäre die Lokalität besser gewesen, ich hätte nichts zu wünschen mehr. Madja zog sich unter die Kopfhörer ihres Discmans zurück und ich hatte mit Joanna einen interessanten Gesprächspartner. Mehr wollte ich hier nie haben. Auch wenn sie bei der Gelegenheit einen furchtbarer Musikgeschmack offenbarte. Aber das scheint bei meinen Freundinnen ja obligatorisch zu sein, nicht wahr Fräulein Stoppa?
Halb sechs kam ihr Bus und ich habe sie verabschiedet. Ich bin mir sicher, Madja kommt bald wieder. Ich werde ihnen mal die Bill Quay Farm in Newcastle zeigen. Die haben so viele Tiere, Madja wird sich da gleich einquartieren. Nun ja, ich bin danach wieder zurück gelaufen, ohne noch etwas Besonderes zu erleben, aber sehr zufrieden mit dem Tag, den ich dann bequem beendete. Paul war in Newcastle und ich hatte das Haus für mich, machte mir nur noch eine Tütensuppe und verbrachte den Abend mit einem langen TV-Dinner.
Die Woche in Schlagzeilen
Hier also, wie jeden Sonntag, habt Ihr den aktuellen Wochenbericht. Das scheint sich immer mehr auf diesen Tag einzuspielen. Die andere sonntägliche Tradition wird offensichtlich gerade von meiner Familie gebrochen: Bisher habe ich noch keinen obligatorischen Anruf erhalten, um mir zu sagen, dass es „eigentlich nichts Besonderes“ gibt.
Viel Text um nichts
So wirklich besonders oder aufwendig war der Samstag ja auch nicht. Trotzdem habe ich die Beschreibung wieder in unglaubliche Längen aufgebläht. Ich wette, die Redaktion hasst mich bereits. Auf dem Computer des zuständigen Editors steht inzwischen bestimmt eine kleine Puppe mit ganz vielen Nadeln drin.
Habt Ihr gelesen? Ich schreibe schon nicht mehr, ich parliere. Da habe ich letztens die Beschreibungen über Käse schon kurz gehalten, aber scheinbar zu spät. Um also eventuelle Erwartungen nicht zu enttäuschen, hier mein aktueller Vorratsstand: Nix! Nullina! Kein Käse mehr im Haus. Der letzte Brie ging gestern Abend mit der Suppe und dem Baguette weg. Ein weitere Grund, weshalb ich Claudias Besuch verschoben haben wollte. Schließlich will ich auch etwas Ordentliches zu Essen im Haus haben. Im Übrigen war die Busfahrt nach Seaham nicht spannend. Nur nervig.
Montag: Neue Wege
Das Wichtigste der Woche. Montag war irrelevant; im College habe ich kaum mit Joanna arbeiten können, da unser Raum besetzt war und wir uns so zwecks Schreiben an Computer gesetzt haben, was langweilig war. Aber ich habe entdeckt, dass Jasmina wieder zurück ist. Das ist die Bosniakin (Bosnierin muslimischen Glaubens), meine Hoffnung der ersten Wochen, bis sie kurz nach meiner Ankunft wieder zurück auf den Balkan fuhr.
Der Nachmittag war sehr nett. Da haben wir das angekündigte Arbeitsprogramm aufgestellt. Das heißt, wir sind im warmen Landrover unser Land abgefahren, sind kurz ausgestiegen, haben Sachen aufgeschrieben und sind wieder verschwunden. Scheinbar haben wir einen Großteil sogar nahe Seaham zu erledigen. Dort führte mich mein Weg dann abends gleich noch einmal hin, da ich diesmal einen alternativen Weg zum Französischkurs in Newcastle wählen musste. Paul hatte nämlich an diesem Tag nichts in der Stadt zu tun. Und so wäre es ziemlich sinnlos gewesen, wegen mir zweimal rein und wieder raus zu fahren.
Praktischerweise wohnt Denis Rooney in Seaham und hat mich genau zur richtigen Zeit zum Bahnhof gefahren. Von dort geht nämlich ein Zug direkt zum Hauptbahnhof, von wo es nur noch ein Katzensprung mit der Metro ist. Leider ist es auch teurer als der längere Weg über Sunderland. Aber gut, dass ich diese Möglichkeit jetzt kenne. Außerdem habe ich auf dem Bahnhof stehend plötzlich gemerkt, dass ich ganz nah am Haus der Polinnen bin, wo ich ja jetzt „jederzeit willkommen“ bin.
Im Kurs bin ich dann etwas zu spät angekommen, aber das macht dort ja nichts. Viel deprimierender war die Testprüfung in Vorbereitung auf unser GCSE-Examen im März. Zum Glück habe ich erfahren, dass man für ein A nur 35 (in Worten: fünfunddreißig!) Prozent richtig haben muss. Kein Wunder, dass hier jeder mit A+ herumläuft.
Dienstag: Neue Arbeit
Dienstag haben wir mit dem Umbau eines schon lange darauf wartenden Caravans begonnen. Der soll in ein Büro verwandelt werden, sodass Paul sein Haus nicht mehr dafür opfern muss. Das ist eine schöne Arbeit, mal was anderes, auch wenn ich handwerklich zu nichts zu gebrauchen bin. Aber ich durfte mit dem Hochdruckreiniger spielen und das Entfernen der alten Farbe ist für Extraarbeit am Wochenende prädestiniert, da zeitintensiv. Für die habe ich jetzt nämlich tatsächlich Freiraum, nachdem die letzte Post endlich beantwortet ist. Zwar ist auch gleich eine neue, lange Mail angekommen, aber ich glaub, die werde ich erstmal vor mir herschieben, wenigstens das kann ich ja hervorragend.
An diesem Tag hatten wir auch das erste Mal richtigen Sonnenschein und die Arbeit flog fast dahin. Wir haben jetzt wirklich massig zu tun und werkelten, das erste Mal seit langem wieder, bis zur Dunkelheit. Der Caravan macht echte Fortschritte. Leider ist er genau vor dem Haus geparkt und nimmt einem so auch jegliche Aussicht auf das Meer.
Mittwoch: Neue Sprache & Alte Probleme
Mittwoch war wieder College, und diesmal hatten wir unseren Raum für uns. Joanna hat mir die ersten Worte Polnisch beigebracht. Ich finde es immer wahnsinnig komisch, wenn sie meine Zischlaute korrigiert. Die Neun und Zehn sind solche Monster, ein Vokal mit einem Zisch! davor und zwei dahinter. Aber es macht Spaß.
Nachmittags durfte ich mich beim Sägen und Hämmern im Wohnwagen nutzlos fühlen. Und dann kam ja, wie gesagt, der Anruf aus Edinburgh mit seinen Folgen. Nächste Woche sind im Peterlee College zwar Ferien, und ich habe dort eigentlich nichts zu tun. Aber ich glaube, ich werde trotzdem mal hinfahren, um mich nach einer Matratze umzusehen. Denn natürlich freue ich mich auf einem Besuch von Claudia und würde selbst gerne schon wieder hochfahren. Außerdem sollte ich vielleicht auch Manuela mal wieder an meine Existenz erinnern. Eigentlich wollte ich mit ihr schon seit zwei Wochen zu „Team America“ gehen. Aber beim ersten Mal hat sie kurzfristig abgesagt. Daraufhin meinte ich: „Kein Problem, sag mir einfach Bescheid, wenn Du kannst.“ Natürlich ist bis heute keine Meldung gekommen. Und Mittwoch entdeckte ich dann plötzlich, dass der Film nur noch zwei Tage lang läuft. Und das zu unmöglichen Zeiten in Hartlepool. Was mich ziemlich frustrierte, da ich bereits Hanni und Debby eingeladen hatte. Sehr ärgerlich.
Donnerstag: Neue Leute & Alte Bekannte
Zum Glück sah ich den Streifen dann am Donnerstag, da Paul abends mit Jim, einem Freund der auch oft hier ist, nach Boldon ins Kino gefahren ist. Ich hatte mir zwar irgendwie etwas mehr vorgestellt, aber es hat sich trotzdem gelohnt. Und ich hab Schülerrabatt gekriegt. Danach sind Paul und ich noch nach Newcastle gefahren, wo ein anderer Freund, John, in einem kleinen Pub auflegte. Ich war zwar ziemlich müde und hatte lange überlegt, ob das klug wäre, mich aber am Ende doch dafür entschieden, wissend, dass ich es sonst bereuen würde.
So habe ich das erste Mal den Bigg Market gesehen, vor dem mich Paul sonst gewarnt hat. Aber unter der Woche ist es wohl harmlos und die Kneipe auch nicht so wirklich voll. Anlass war übrigens Bob Marleys sechzigster Geburtstag, daher also ein Abend voller Reggae. Es war das zweite Mal, dass ich mit Paul in einen Pub ging. Und wieder kannte ich niemanden dort und verstand kaum etwas. Trotzdem war es besser als das letzte Mal, da sich an unserem Tisch jede Menge wilde Gestalten in Form von Freunden und Bekannten sammelten. Insgesamt war es aber relativ leer. Und fast wünschte ich, es wäre so geblieben.
Denn dann kam die Geißel der englischen Nächte herein, eine Gruppe dieser 30+ Jahre alten Frauen in Klamotten, die man schon mit 15 nicht mehr tragen sollte. Wenn es etwas gibt, was ich hier nie verstehen werde, dann die Modekultur der Frauen. Dieses peinliche und hochgradig unästhetische Heischen nach Jugend. Genauso schlimm wie diese zwölfjährigen Mädchen in ihrem, sagen wir mal, frühreifen Outfit. Zum Glück sind die dann irgendwann wieder gegangen. Und zum Glück hatte ich danach keine Alpträume, denn geschlafen habe ich wie ein Baby.
Freitag: Neue Pläne
Am Freitag hatte ich dann, ja tatsächlich, frei. Paul nahm den Tag frei, und ohne ihn bin ich ja arbeitsmäßig aufgeschmissen. Eigentlich wollte ich ja vormittags putzen, nachmittags mein Tutortreffen abhaken und danach noch etwas freiwillig arbeiten. Aber wie erwähnt schlief ich sehr gut und auch lang und genehmigte mir dann ein Frühstück von drei Stunden, sodass es wieder nichts mit der Arbeit wurde und ich den gesamten Abend mit Räumen und Schrubben verbrachte. Zum Glück habe ich ja diesen großen, geräumigen Schrank, wo alles drin verschwindet, was der Besucher nicht sehen soll.
Das Treffen mit Peter Brabban brachte dann einige handfeste Ergebnisse. Die Leute von den Arbeitsurlauben haben sich zwar immer noch nicht gemeldet, dafür bin ich auf mehreren anderen National-Trust-Einrichtungen als Freiwilliger vorgemerkt. Mit etwas Glück werde ich zum Beispiel für einige Zeit auf Holy Island beschäftigt sein, gemeinhin besser als Lindisfarn bekannt. Vor allem werde ich anfangen, auf Gibside zu arbeiten. Das ist ein altes Schloss nahe Newcastle, wo ich sobald wie möglich jeden zweiten Freitag sein werde.
Leider muss ich dafür Bill Quay aufgeben. Das muss ich denen morgen mitteilen, was mich nicht so besonders freut. Aber natürlich kann Paul mich nicht dauernd woanders arbeiten lassen und auf Gibside werde ich etwas andere Aufgaben haben, was selbstverständlich interessanter ist. Vor allem werden dort zwei neue EVS Stellen entstehen. Das klingt jetzt gut was? Na ratet mal wann. Im Juli. Toll oder? Wenn ich hier so gut wie weg bin. Zwei Litauerinnen sind dafür eingeplant; das Schicksal muss mich dieses Jahr wirklich ganz besonders hassen. Da habe ich gerade geschrieben, dass mich kurz vorm Ende eintreffende Freiwillige töten würden, und dann kommt so etwas. Wieso? Wieso konnten die nicht im Juli letztes Jahr kommen?! Wieso wird das alles dem nächsten Freiwilligen vor die Füße geschmissen, nachdem ich hier fünf geschlagene Monate warten musste, ehe ich hier überhaupt jemanden entdeckt habe?
Na ja. Der Plan ist, dass ich jeden zweiten Donnerstagabends zu Peter Brabban in die Stadt fahre, dort übernachte und dann morgens nach Gibside fahre bzw. die letzten Kilometer laufe. Am Schrank gleich neben mir hängen ein paar Fotos; dass sieht wirklich nett aus. Davon abgesehen hat mir Peter nicht, wie erwartet, die letztens gemachten Fotos mitgebracht, sodass Ihr weiterhin warten müsst. Dafür muss diese Präsentation über meine EVS-Stelle hier langsam auf Touren kommen. Damit jeder zukünftige Freiwillige von Anfang an von den anderen in Gibside und Peterlee weiß.
Wochenrückblick
Das war die Woche, diesmal in chronologischer Reihenfolge, da viel Neues passiert ist. Überhaupt bin ich zurzeit in einer gewissen Aufbruchsstimmung und oft so ausgelastet, dass ich keine Zeit für überflüssiges Nachdenken habe. Es ist wirklich sehr befreiend, keine Post im Hinterkopf zu haben. Heute, Sonntag, habe ich das erste Mal seit Monaten Zeit zum Arbeiten gehabt. Und ich dachte schon, ich würde das nie mehr auf die Reihe kriegen. Zwar hat sich das Wetter eher verschlechtert und der heutige Walking-Group-Lauf hat in konstantem Regen statt gefunden. Mit meiner neuen wasserfesten Jacke ist das aber kein Problem. Die habe ich letztens gestellt gekriegt, und die lässt den Regen nicht einfach nur auf andere Kleidungsstücke ablaufen.
So habe ich nachmittags dreieinhalb wertvolle Stunden im Freien verbringen können und Nägel aus den Resten der abgebauten beziehungsweise zusammen gebrochenen Hühnerhäuser gezogen. Ja, wir hatten ja mal Hühner. Klingt nicht spannend? Ist es aber! Gut, nicht spannend, aber angenehme, leichte Arbeit. Und man ist motiviert, weil es für die eigene Freizeit ist. Ich habe die Menge wieder unterschätzt. Eigentlich wollte ich die Häuschen schnell erledigen und dann weiter Farbe vom Caravan kratzen, habe dann aber bis zur Dunkelheit gesessen und trotzdem nur zwei Drittel geschafft. Was gut ist, so füllt man Zeit. Nur Paul hat aus dem Küchenfenster gegrinst, als ich nach Sonnenuntergang plötzlich kaum noch was sah. Aber dafür hat er mir dann auch mit Essen gemacht.
Torschlusspanik
Und seitdem sitze ich an diesem Bericht. Joanna äußerte letztens die Vermutung, dass ich sehr ins Detail gehe. Man könnte fast denken, dass sie da Recht hat. Auch diese Tätigkeit wollte ich in zwei Stunden erledigt haben und dann noch schnell eine Französischübung schreiben. Aber jetzt ist es kurz vor Mitternacht, und ich kann froh sein, wenn ich noch halbwegs pünktlich ins Bett komme.
Morgen arbeite ich wieder auf der Bill Quay Farm, vielleicht zum letzten Mal. Danach muss ich irgendwann auf Gibside anrufen und den ersten Termin ausmachen. Ich bin schon sehr gespannt auf die Arbeit dort. Mir fällt diesmal kein vernünftiger Abschluss ein und der Eintrag muss weg. Darum nur viele Grüsse von mir, bye!