English Cuisine
Existiert sie überhaupt? Ja, schon.
Nur selten startet der englische Morgen mit dem weltbekannten „English Breakfast“. Dieses („full“) mehrgängige Frühstück beginnt traditionell mit einem Fruchtsaft (meist Grapefruit oder Orange) und anschließend folgen Cornflakes oder Porridge. Der warme Hauptgang besteht aus gebratenem Speck und Würstchen, Spiegel-oder Rühreiern mit gegrillten Tomaten und Champignons. Dazu gibt es entweder Baked Beans (weiße Bohnen in Tomatensoße) (hoffentlich mit Karnbonat versehen) oder die Brown Sauce (eine würzig-saure Würzsauce). Tee und Toast mit einer Auswahl von Zitrus-Marmeladen (keine Jams) bilden den Abschluss des Frühstücks.
Im Alltag hingegen liebt der Engländer, wie auch ich, seinen schnell gemachten warmen Haferschleim, sexier auch: Porridge. Die in Milch oder Wasser aufgekochten Haferflocken (alternativ Hafermehl) ergeben nach einer Weile eine cremige Konsistenz und können dann mit Obststückchen, Marmelade, Sirup und oder Zucker verfeinert werden. Besonders schnell gelingt die Zubereitung mit den „Instant-Oats“, wo die fertig abgepackten Hafer-Säckchen mit Milch in der Mirowelle binnen zwei Minuten aufgekocht werden. Ursprünglich kommt der Porridge aus den schottischen Highlands, dort wurde der „brochan“ ungekocht verzehrt und nur für Kinder gesüßt. In England ist er bis heute stets gesüßt, wohingegen die Schotten, die sich über diese „Schwäche“ der Engländer lustig machen, auch herzhafte Versionen kennen.
Und wer glaubt, Haferschleim sei nichts für ihn, hat wohl noch nichts von der „Oat Cuisine“ gehört. Müsli und Joghurt sind Schnee von gestern (hoffentlich auch die „Müsli-Mütter“) 2016 wird nämlich geporridgt. Wie Müsli und Joghurt bietet der Schleim nämlich die perfekte Grundlage, um sich kreativ und suuuper individuell auszudrücken/toben/probieren: Chiasamen (ein Must-Have, allerdings auch nicht mehr allzu neu) und frisches Obst (je ausgefallender desto besser) sind ein absolutes Muss. Wenn das Ganze noch in einer schönen Schale angerichtet und mit passender Belichtung fotografiert wird, dann ist der Porridge nicht nur schon kalt geworden, sondern auch ein perfekter Instagram-Post entstanden: #poshporridge #vegan #healthylifestyle. (Manchmal glaube ich, dass ich in meiner Zeit echt fehl am Platz bin).
Zurück zum englischen Morgen: Sobald der Engländer am Arbeitsplatz angekommen ist, macht er sich und seinen Kollegen erstmal eine „cuppa“. In England gilt es als sehr unhöflich, seinen Kollegen nicht anzubieten, ihnen etwas aus der Küche mitzubringen - auch dann, wenn es sich um ein Großraum-Büro handelt -. Sehr typisch ist es deshalb, dass in der Küche eine Tabelle hängt, die zeigt, wer, wie seine cuppa mag. Variiert wird mit der Menge an Zucker, der Teeorte und der verwendeten Milchmenge. Wenn der Engländer dann anfängt, die Tees zu kochen, ist es von großer Bedeutung, zuerst den Teebeutel in die Tasse zu legen und dann das Wasser einzugießen. (Ein Vorgehensfehler bedeutet das Aus für diesen armen Teebeutel und viel Ärger für den unwissenden deutschen Freiwilligen, mich). Wenn Kaffee gewünscht wird, handelt es sich meist um löslichen Kaffee. Nur ein einziges Mal habe ich das probiert, seitdem lehne ich es kategorisch ab, hier Kaffee zu trinken. Es ist wirklich Geschmackssache.
Das Lunch, was meistens am Arbeitsplatz gegessen wird, packen die meisten aus ihren „Lunch-Bags“ aus. Das kann etwas Vorgekochtes oder das berühmte englische Sandwich sein. Diese Sandwichs – zwei Toastscheiben, belegt mit Schinken, Bacon, Salami, Käse, Mayonaise, Butter, die immer (!) in Dreieicke halbiert werden– lassen sich wirklich überall finden. Absolut unglaublich. Anfangs dachte ich nämlich, dass nur meine Kollegen ihnen verfallen wären. Nun gut. Nach dem Sandwich folgen die Crisps (also Chips, aber Achtung Verwechslungsgefahr: die englischen Chips sind Pommes). Das Besondere an den englischen Crisps ist, dass man sie auch in kleinen 50g Packungen kaufen kann (man achtet schließlich auf seine Gesundheit, nicht aber auf die Folgen für die Umwelt) und ihre große Auswahl an Geschmacksrichtungen: Vom klassischen Vinegar, Salty and Sweet Chilli, zu Smokey Bacon, Barbecue und Prawn Cocktail. Es werden auch Wurzelgemüse-Chips angeboten, eine geniale Sache! Wenn man dann noch nicht satt ist, stehen die Chancen, einen „pudding“ (Dessert), insbesondere einen Doughnut, angeboten zu bekommen, gut. Aber Achtung, der englische Doughnut ist unser Kreppel (=Berliner).
In Kantinen lassen sich neben dem uns wohl „bekannten“ Essen auch die sogenannten „Jacket Potatoes“ finden. Das sind große Offenkartoffeln, die man wahlweise mit Baked Beans (die oben vorgestellten tomatigen Bohnen) oder Sour creme verzehren kann. Sehr lecker und angenehm warm im Winter!
Wo ich es gerade von Sour Creme habe: Es ist ein absoluter Albtraum die passende Übersetzung, geschweige denn das passende Produkt für den deutschen Schmand, Schlagsahne, Schlagober, Sauerrahm, Creme fraiche usw. zu finden. Es ist nicht genug, dass mich schon in Deutschland (und Österreich) die starken Verwendungsunterschiede verwirren, auch in England wechseln die Namen mit dem Supermarkt. Dasselbe gilt für die Mehlsorten, oft verbringe ich Stunden vor Strong white bread flour, Strong wholemeal bread flour, Wholegrain spelt flourbaking, self-raising flour usw, wo ich doch eigentlich nur schnell Pfannkuchen backen wollte. Typbezeichnungen gibt es leider nicht.
Zuletzt möchte ich noch eine englische Festspeiße, das „Beef Wellington“, vorstellen, welches ich schon selbst auf einer Weihnachtsfeier genießen durfte. Es handelt sich dabei um ein Rinderfilet, das mit „Duxelles“, einer Mischung aus gehackten Champignons und Blätterteig, ummantelt ist. Dazu werden geschmorte Rosenkohknöspchen, Karotten und ein Gemüse, dessen Name ich immer noch nicht herausfinden konnte, serviert. Im Übrigen gibt es viele Gerichte in Großbritannien, die von einem Teig ummantelt sind, ein berühmtes Beispiel dafür sind die „Scottish Eggs“. Diese hart gekochten Eier werden mit Brotkrumen paniert, frittiert und kalt verzehrt.
Nun, es gibt also eine ganze Reihe an englischen bzw. britischen kulinarischen Besonderheiten. Doch wer England besucht, der erwartet in der Regel keine Gaumenzauber und ich bin geneigt zu sagen, dass - bei aller Liebe für Porridge und Scones - ich kulinarisch Reisenden eher andere Länder empfehlen würde. Mir ist auch aufgefallen, dass es im Englischen keine entsprechende Übersetzung des französischen „Bon appétit“, des italienischen „Buon appetito“ oder des deutschen „Guten Appetit“ gibt, man sagt hier einfach nur: „Enjoy your meal!“.